Bei der anstehenden Justizministerkonferenz (JuMiKo) wird auch die Ausweitung des Strafbefehlsverfahrens diskutiert. Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren auf Bewährung könnten danach künftig ohne Hauptverhandlung „per Post“ verhängt werden. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert diese Überlegungen wegen der schweren Nachteile für Beschuldigte. Auch der Entlastungseffekt für die Justiz sei mindestens fraglich.

Die mögliche Ausweitung des Strafbefehlsverfahrens auf Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren auf Bewährung sieht der DAV kritisch. „Die potentielle Strafe würde bis zur Obergrenze der Freiheitsstrafen gehen, bei der gerade noch eine Aussetzung zur Bewährung möglich wäre – das ist viel zu weitgehend“, mahnt Rechtsanwalt Martin Rubbert, Mitglied des Ausschusses Strafrecht des DAV. Denn darin läge eine Gefahr: Sollte es zeitnah zu weiteren Verurteilungen kommen, die die Bildung einer Gesamtstrafe zuließen, wäre die Bewährung plötzlich vom Tisch. Auch ein Bewährungsverstoß könne zum Widerruf der Bewährung führen. „Beschuldigten droht damit unter Umständen eine beachtliche Haftstrafe, ohne je einen Gerichtssaal von innen gesehen zu haben“, so der Strafverteidiger aus Berlin.

Waffengleichheit wahren

Angesichts dieser weitreichenden Folgen reicht aus Sicht des DAV ein rein schriftliches Verfahren nicht aus. Vermeintliche Effizienz und Beschleunigung dürfen nicht einseitig auf dem Rücken der Beschuldigten ausgetragen werden.

Im Strafbefehlsverfahren ist der Fair-Trial-Gedanke der Waffengleichheit ohnehin eingeschränkt – dies vermag auch der Einsatz einer Pflichtverteidigung nicht ohne Weiteres auszugleichen: „Die Beiordnung einer Verteidigung kann hier nur Abhilfe schaffen, wenn Beschuldigte einen Strafbefehl überhaupt zur Kenntnis nehmen und verstehen – das ist in der Realität regelmäßig nicht der Fall“, warnt Rubbert. Und selbstverständlich müsse dann der Kontakt zwischen Beschuldigten und Verteidigung auch tatsächlich zustande kommen. Dann könne etwa die Existenz weiterer Ermittlungsverfahren geklärt und angemessene Beratung ermöglicht werden.

Zweifelhafter Entlastungseffekt

Insbesondere in Fällen, in denen ein Kontakt zur Verteidigung nicht zustande kommt, seien lege artis arbeitende Strafverteidiger:innen nach Auffassung des DAV verpflichtet, Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen. Dies sei geboten, um zu vermeiden, dass weitere drohende Strafen unberücksichtigt bleiben, und um die Situation mit dem Beschuldigten beraten zu können. Damit wäre der Entlastungseffekt für die Justiz hinfällig.

Quelle: Deutscher Anwaltverein, Pressemitteilung vom 9. November 2022

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