Der Rechtsausschuss hat sich am Mittwochnachmittag im Rahmen einer öffentlichen Anhörung mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf „zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“ (20/9471) befasst. Mit dem Entwurf plant die Bundesregierung zum einen, im Völkerstrafgesetzbuch Formen der sexualisierten Gewalt als Tatbestände stärker zu verankern. Zudem soll im Strafgesetzbuch ein Straftatbestand zum Verschwindenlassen von Personen aufgenommen werden. Verfahrenstechnisch soll in Verfahren zu Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zum anderen die Nebenklagebefugnis erweitert werden. Zudem sollen die Hauptverhandlungen „für wissenschaftlich und historische Zwecke“ aufgezeichnet werden.

Die Sachverständigen aus der Rechtswissenschaft sowie der staatsanwaltschaftlichen, anwaltlichen und richterlichen Praxis beurteilten den Entwurf in ihren schriftlichen Stellungnahmen sowie vor den Abgeordneten differenziert. Während die materiell-rechtlichen Änderungen grundsätzlich auf Zustimmung stießen, wurden die Erweiterung der Nebenklagebefugnis sowie die Aufzeichnung der Hauptverhandlung kritischer kommentiert. Ferner mahnten einige Sachverständige an, auch eine Regelung zur funktionalen Immunität ins Auge zu fassen.

Für den Deutschen Juristinnenbund begrüßte Dilken Çelebi die geplanten Neuregelungen im Völkerstrafgesetzbuch. Sie würden zu „mehr Geschlechtergerechtigkeit im Völkerstrafgesetzbuch“ führen, sagte die von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige.

Die Rechtswissenschaftlerin Professor Julia Geneuss von der Universität Bremen ging unter anderem auf den neuen Straftatbestand zum Verschwindenlassen von Personen im Strafgesetzbuch ein. Damit werde zum einen das Internationale Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen umgesetzt, zum anderen eine formelle Strafbarkeitslücke geschlossen. Auch kriminalpolitische Erwägungen sprächen für die Schaffung eines selbstständigen Tatbestandes, führte die ebenfalls von der SPD-Fraktion benannte Juristin aus. Allerdings attestierte sie dem Entwurf – wie auch andere Sachverständige – eine Umsetzungslücke aufgrund einer Fokussierung auf die Tathandlung des Verschleierns.

Geneuss begrüßte die geplante Ton- und Videoaufzeichnung von Verhandlungen. In ihrer schriftlichen Stellungnahme führte die Sachverständige aus, dass die dagegen vorgebrachten Bedenken hinsichtlich des Aussageverhaltens von Opferzeugen ernst zu nehmen seien. „Allerdings lässt sich ein solches Unbehagen aus der – mit verzögerten Übertragungen ganz erheblich umfangreicheren Dokumentation – Praxis des IStGH nur rudimentär ableiten und kann durch weitere Schutzmechanismen minimiert werden“, so Geneuss.

Eine gegenteilige Meinung zu diesem Punkt vertrat der Bundesanwalt am Bundesgerichtshof Jasper Klinge (Deutscher Richterbund e.V.). Die geplante Neuregelung trage dem Zeugen- und Opferschutz nicht hinreichend Rechnung, führte der von der CDU/CSU-Fraktion benannte Sachverständige aus. Es bedürfe zusätzlicher, effektiver Schutzmechanismen. Schon jetzt könnten Verhandlungen aufgezeichnet werden. Die geplante Verwendung für wissenschaftliche und historische Zwecke sei unklar. Einmal erfolgte und weitergegebene Aufzeichnungen seien schlichtweg nicht mehr zu kontrollieren, so der Bundesanwalt. „Diese Unsicherheit wird viele Zeugen von einer umfassenden und wahrheitsgemäßen Aussage spätestens in der Hauptverhandlung abhalten“, kritisiert Klinge.

Ebenfalls mit Bezug auf den Opferschutz lehnte Andreas Schmidtke, Richter am Oberlandesgericht in Düsseldorf, die geplante Aufzeichnung der Verfahren ab. Der von der CDU/CSU-Fraktion benannte Sachverständige sah zudem die Neuregelung der Nebenklagebefugnis kritisch. Es sei „dringend erforderlich“, diese weiter einzuschränken, um den Kreis der möglichen Nebenkläger zu beschränken.

Eine Lanze für die Nebenklage brach der Rechtsanwalt Patrick Kroker vom „European Center for Constitutional and Human Rights“ in Berlin. Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Sachverständige verwies auf Verfahren in Völkerstrafsachen, in denen die Nebenklage „essenzielle Beiträge“ geliefert habe. Entsprechend kritisierte Kroker aus seiner Sicht einschränkende Regelungen in dem Entwurf. Unter anderem forderte Kroker, wie andere Sachverständige, auch Opfer von Kriegsverbrechen gegen das Eigentum den Zugang zur Nebenklage zu ermöglichen.

Von mehreren Sachverständigen aufgegriffen wurde das Thema der „funktionellen Immunität“. Dieses Thema sei in dem Entwurf nicht geregelt worden, aber zentral für die Verfolgung von Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch, meinte etwa der Rechtswissenschaftler Professor Kai Ambos von Georg-August-Universität Göttingen. Der von der FDP-Fraktion benannte Sachverständige schlug vor, im Völkerstrafgesetzbuch eine gesetzliche Klarstellung vorzunehmen, nach der die funktionelle Immunität in diesen Fällen keine Anwendung finde. Insgesamt äußerten sich neun Sachverständige in der Anhörung.

(c) HiB Nr. 61, 01.02.2024

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