Die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat mit Urteil vom 07.05.2024 (13 K 9542/16) vier Klagen der Deutschen Bahn AG und zwei bahneigener Gesellschaften (im Folgenden: Eisenbahninfrastrukturunternehmen) gegen das Land Baden-Württemberg, die Landeshauptstadt Stuttgart, den Verband Region Stuttgart und die Flughafen Stuttgart GmbH abgewiesen.

Im Jahr 2009 schlossen die Deutsche Bahn AG sowie die Eisenbahninfrastrukturunternehmen mit den Beklagten einen Finanzierungsvertrag für das Projekt „Stuttgart 21“ ab. In § 6 dieses Finanzierungsvertrages wurden die damals prognostizierten Gesamtkosten von ca. 3,1 Mrd. Euro auf die Vertragsparteien verteilt. In § 8 Abs. 3 ist geregelt, wie Mehrkosten bis zu einem Betrag von ca. 4,5 Mrd. Euro von den Vertragsparteien zu tragen sind. Für darüber hinausgehende Kostensteigerungen enthält der Vertrag keine ausdrückliche Verteilungsregelung. § 8 Abs. 4 Satz 1 sieht lediglich vor, dass im Falle „weiterer Kostensteigerungen“ die Eisenbahninfrastrukturunternehmen und das Land Baden-Württemberg Gespräche aufnehmen (im Folgenden: „Sprechklausel“).

Die Klägerinnen begehren mit ihren Klagen im Wesentlichen, dass sich die Beklagten an weiteren Kostensteigerungen für das Projekt „Stuttgart 21“ bis zu einer Höhe von ca. 11,8 Mrd. Euro beteiligen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die 13. Kammer hat die Klagen in vollem Umfang abgewiesen. Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerinnen keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Übernahme weiterer Finanzierungsbeiträge für Mehrkosten des Projekts „Stuttgart 21“ haben.

Ein solcher Anspruch kann nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung insbesondere nicht auf die „Sprechklausel“ des § 8 Abs. 4 des Finanzierungsvertrages gestützt werden. Die Kammer ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Vertragsparteien mit der „Sprechklausel“ keine verbindliche Regelung für die Vereinbarung weiterer Finanzierungsbeiträge im Wege der Fortschreibung des Finanzierungsvertrages treffen wollten. Der Wortlaut dieser Regelung verlangt die Aufnahme von Gesprächen, ohne dass hieraus eine Verhandlungspflicht oder gar ein Anspruch auf Vertragsanpassung abgeleitet werden kann. Auch aus der systematischen Stellung der „Sprechklausel“ im Vertrag lässt sich ein solcher Anspruch nicht ableiten, vielmehr sieht der Finanzierungsvertrag an anderer Stelle ausdrücklich Verhandlungen (und nicht nur die Aufnahme von Gesprächen) vor. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Umstände des Zustandekommens des Vertrages. Vielmehr ergibt sich gerade aus diesen Umständen, dass sich die Vertragsparteien nur auf die „Sprechklausel“ einigen konnten. In einem früheren Vertragsentwurf war noch ein Projektabbruch für den Fall vorgesehen, dass sich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen und das Land Baden-Württemberg in den „Sprechklausel“-Gesprächen nicht über die weitere Finanzierung einigen können. Auch wenn das Land Baden-Württemberg in den weiteren Vertragsverhandlungen auf Wunsch der Klägerinnen auf die Projektabbruchklausel verzichtet hat, folgt daraus nicht im Umkehrschluss, dass mit der verbliebenen Sprechklausel eine Übernahme weiterer Finanzierungsbeiträge verbunden ist. Auch aus dem Sinn und Zweck der Sprechklausel bzw. des Finanzierungsvertrages ergibt sich keine Verpflichtung der Beklagten zu einer weiteren finanziellen Beteiligung. Die Kammer ist nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Vertragsparteien mit dem Finanzierungsvertrag eine gemeinsame Finanzierungsverantwortung für das Projekt Stuttgart 21 mit der Folge vereinbaren wollten, dass sich alle Vertragsparteien über die festgelegten Finanzierungsbeiträge hinaus an allen weiteren Mehrkosten zu beteiligen haben. Einer solchen gemeinsamen Finanzierungsverantwortung steht bereits entgegen, dass der Finanzierungsvertrag nach seiner Gesamtkonzeption als öffentlich-rechtlicher Subventionsvertrag zu qualifizieren ist.

Der Anspruch der Klägerinnen kann auch nicht auf die vertragliche Anpassungsklausel in § 16 Abs. 13 Satz 3 des Finanzierungsvertrags gestützt werden. Nach dieser Vorschrift ist zur Ausfüllung einer Regelungslücke im Finanzierungsvertrag eine Bestimmung zu vereinbaren, die dem von den Vertragsparteien angestrebtem Zweck am nächsten kommt. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses entsprach es gerade nicht dem gemeinsamen Willen aller Vertragsparteien, die rund 4,5 Mrd. Euro übersteigenden Finanzierungskosten des Projekts S 21 bereits vollständig und verbindlich auf die Vertragsparteien aufzuteilen.

Der geltend gemachte Anspruch lässt sich auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung herleiten. Denn diese setzt voraus, dass der Finanzierungsvertrag eine planwidrige Regelungslücke aufweist. Eine solche fehlt aber im Finanzierungsvertrag, denn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatten die Vertragsparteien nicht die Absicht, mit dem Finanzierungsvertrag die Verteilung sämtlicher möglicher Mehrkosten vollständig zu regeln.

Eine Ergänzung des Finanzierungsvertrags um weitere Regelungen zur Mehrkostenverteilung kann auch nicht im Wege einer Vertragsanpassung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG verlangt werden. Denn eine Vertragsanpassung nach dieser gesetzlichen Vorschrift würde neben einer Regelungslücke einen nachträglichen Wegfall von tatsächlichen Umständen oder rechtliche Bedingungen voraussetzen, die von den Vertragsparteien zwar nicht zum Vertragsinhalt gemacht worden sind, deren Bestand für die Vertragsparteien bei Vertragsschluss jedoch so maßgeblich gewesen ist, dass diesen ein Festhalten an dem Vertrag in seiner ursprünglichen Fassung nach dem Wegfall dieser Umstände nicht mehr zugemutet werden kann. Weitere Kostensteigerungen über den Betrag von ca. 4,5 Mrd. Euro hinaus haben die Vertragsparteien jedoch bereits bei Vertragsschluss für möglich gehalten, lediglich über die Verteilung solcher weiteren Mehrkosten ist bei Vertragsschluss keine Einigung erzielt worden.

Nach alledem besteht der von den Klägerinnen im Kern verfolgte Anspruch auf Vertragsanpassung bereits dem Grunde nach nicht, weil es hierfür weder eine vertragliche noch eine gesetzliche Anspruchsgrundlage gibt. Die zwischen den Beteiligten streitige Folgefrage, ob einem bestehenden Vertragsergänzungsanspruch von den Beklagten mit Erfolg die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden könnte, kann daher dahinstehen, weshalb es auch keiner Beweisaufnahme hierzu mehr bedurfte.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Berufung wurde nicht zugelassen. Die Klägerinnen können aber innerhalb eines Monats einen Antrag auf Zulassung der Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stellen. Diese Frist beginnt erst mit der Zustellung des vollständigen Urteils.

(c) VG Stuttgart, 07.05.2024

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