Das Verwaltungsgericht Münster hat mit heute bekannt gegebenem Beschluss vom 7. Juni 2023 der Stadt Münster im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, einem unter dreijährigen Kind ab dem 1. August 2023 einen Betreuungsplatz zur frühkindlichen Förderung mit dem Umfang von 45 Stunden wöchentlich in einer Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflegestelle zur Verfügung zu stellen, der in nicht mehr als 30 Minuten von der Wohnung des Kindes erreichbar ist.

Die Eltern des am Stadtrand Münsters wohnenden Kindes hatten im Mai 2022 den Betreuungsbedarf zum 1. August 2023 über den sogenannten Kita-Navigator der Antragsgegnerin angemeldet. Das Kind war jedoch weder bei der im Februar 2023 stattgefundenen Platzvergabe noch im Rahmen des wegen technischer Probleme im März 2023 wiederholten Vergabeverfahrens berücksichtigt worden. Dem daraufhin Ende April gestellten sogenannten Eilantrag hat das Gericht nunmehr im Wesentlichen stattgegeben.

In den Gründen des Beschlusses heißt es unter anderem:

Der Antrag sei nicht als verfrüht anzusehen. Nach dem Kinderbildungsgesetz sei den Eltern zwar ein Betreuungsplatz erst spätestens sechs Wochen vor dem angemeldeten Betreuungsbeginn nachzuweisen. Da nach den Verlautbarungen der Antragsgegnerin das Vergabeverfahren für den 1. August 2023 bereits weitgehend abgeschlossen sei und derzeit etwa 1700 vorgemerkte Kinder keinen Betreuungsplatz erhalten hätten, sei es nicht zumutbar, mit Blick auf die vage Möglichkeit eines mehr oder weniger zufällig freiwerdenden Betreuungsplatzes mit der Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes zu warten.

Der Antrag habe auch in der Sache Erfolg. Das Kind habe gegenüber der Antragsgegnerin einen einklagbaren Anspruch auf Förderung in einer öffentlich geförderten Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Dem stehe nicht entgegen, dass nach den Angaben der Antragsgegnerin eine Vielzahl der Kindertageseinrichtungen in Münster aufgrund der angespannten Personalsituation momentan keine zusätzlichen Plätze anbieten könne. Der Anspruch auf frühkindliche Förderung sei nicht auf den vorhandenen Vorrat an Plätzen begrenzt, sondern letztlich auch auf die Erweiterung der vorhandenen Kapazitäten gerichtet, bis ein dem Bedarf in qualitativer und quantitativer Hinsicht gerecht werdendes Angebot bestehe. Es handele sich um eine unbedingte Bereitstellungs- bzw. Gewährleistungspflicht, der der Jugendhilfeträger nicht mit dem Einwand der Unmöglichkeit begegnen könne. Zwar seien die gegenwärtigen Schwierigkeiten bei der Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots an Kinderbetreuungsplätzen nicht zu verkennen. Der vom Gesetzgeber ausdrücklich vorbehaltlos gewährleistete Rechtsanspruch drohte aber leer zu laufen, wenn sich die Träger der Jugendhilfe auf eine fehlende Erfüllbarkeit wegen Kapazitätsauslastung berufen könnten. Für den Anspruch sei es auch unerheblich, ob die zur Verfügung stehenden Betreuungsplätze im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verteilungsverfahrens vergeben worden seien. Denn das jeweilige Kind konkurriere nicht mit Gleichaltrigen um die wenigen Betreuungsplätze, sondern habe wie die Gleichaltrigen auch einen unbedingten Anspruch auf Gewährleistung der Förderung.

Ein Anordnungsanspruch sei jedoch zu verneinen, soweit der Antrag auf den Nachweis eines Betreuungsplatzes allein in einer Kindertageseinrichtung beschränkt sei. Da die frühkindliche Förderung in einer Kindertageseinrichtung und die Förderung in Kindertagespflege in einem gesetzlichen Gleichrangigkeitsverhältnis stünden, könne der Träger der Jugendhilfe seine Verpflichtung zur Förderung von unter dreijährigen Kindern gleichermaßen mit dem Nachweis eines zumutbaren Platzes in einer Kindertagesstätte und mit dem Nachweis eines zumutbaren Platzes in der Kindertagespflege erfüllen.

Ein Anordnungsanspruch sei auch nicht glaubhaft gemacht, soweit hier über einen Betreuungsumfang von 45 Stunden wöchentlich hinaus eine nach bestimmten Uhrzeiten bemessene Betreuung erstrebt werde. Der Anspruch auf frühkindliche Förderung sei nicht auf Schaffung von in jeder Hinsicht optimalen Kinderbetreuungsmöglichkeiten gerichtet. Auch wenn er auf die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit gerichtet sei, zwinge dies nicht dazu, etwaigen Idealvorstellungen der Eltern hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten Rechnung zu tragen. Vielmehr sei der Anspruch bereits durch den Nachweis eines Betreuungsplatzes mit einem dem individuellen Bedarf entsprechenden, nach Wochenstunden bestimmten Betreuungsumfang erfüllt, ohne dass dem Wunsch nach einer nach konkreten Uhrzeiten bestimmten Betreuung Rechnung getragen werden müsse.

An einem Anordnungsanspruch fehle es schließlich auch, soweit die Verpflichtung zum Nachweis eines Betreuungsplatzes erstrebt werde, der in nicht mehr als 15 Minuten erreichbar sei. Derartiges könne nicht aus der Entscheidung des Gerichts vom 20. Juli 2017 (6 L 1177/17, https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_muenster/j2017/6_L_1177_17_Beschluss_20170720.html) hergeleitet werden, wonach für den Innenstadtbereich Münsters davon ausgegangen werden könne, dass hier ein Betreuungsplatz jedenfalls in nicht mehr als 15 Minuten erreicht werden könne. Dabei handele es sich jedoch nicht um eine in jedem Einzelfall zu beachtende Obergrenze, die noch dazu auch außerhalb der Innenstadt Münsters Gültigkeit hätte. Vielmehr könne jedenfalls für das einstweilige Verfahren im Regelfall eine Entfernung von der Wohnung des Kindes von maximal 30 Minuten pro Weg als zumutbar angesehen werden.

Gegen den Beschluss kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe Beschwerde eingelegt werden.

Der Beschluss wird in Kürze in der Rechtsprechungsdatenbank www.nrwe.de veröffentlicht.

Az.: 6 L 409/23 – nicht rechtskräftig

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