Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat heute unter dem Vorsitz von Herbert Anderer das Urteil in einem Verfahren gesprochen, das sich (noch) gegen elf Angeklagte im Alter zwischen 34 und 64 Jahren richtete, denen insbesondere vorgeworfen worden war, eine terroristische Vereinigung, die in Teilen der Medien sogenannte „Gruppe S.“, (rädelsführerschaftlich) gegründet, sich an dieser beteiligt oder diese unterstützt zu haben.

Feststellungen des Senats zum Tatgeschehen:

Nach den Feststellungen des Senats standen jedenfalls seit spätestens Mitte 2019 alle Angeklagten Flüchtlingen, insbesondere dunkelhäutigen Menschen und Muslimen feindselig gegenüber und waren der Auffassung, dass die Ausbreitung des Islams in Deutschland gestoppt werden müsse. Einige Angeklagte waren in dieser Zeit in rechtsextremen, bürgerwehrähnlichen Gruppierungen, die teilweise bundesweit agierten, aktiv und übten dabei Führungspositionen aus.

Ab Sommer 2019 suchte der 57-jährige, aus dem Raum Augsburg stammende, Angeklagte S. – zunächst überwiegend im Internet in verschiedenen Chatforen – nach Gleichgesinnten, die seine ausländerfeindliche Einstellung teilten und bereit waren, sich zusammenzuschließen und sich der vermeintlich drohenden Übernahme Deutschlands durch Flüchtlinge und Muslime mittels Gewalttaten unter Einsatz von Schusswaffen entgegenzustellen. Hierbei unterstützte ihn der 43-jährige Angeklagte E. aus dem Landkreis Uelzen in Niedersachsen.

Im Zuge dieser Vernetzungsbestrebungen kam es im Sommer / Herbst 2019 zu mehreren Treffen in unterschiedlicher Besetzung, unter anderem am 28./29. September 2019 auf dem Grillplatz „Hummelgautsche“ in Alfdorf im Rems-Murr Kreis. An diesem Treffen nahm neben anderen Personen auch der 51-jährige Angeklagte U. aus Mosbach teil. Dieser hatte sich bereits seit Frühjahr 2019 in rechtsgerichteten Foren im Internet bewegt. Parallel hatte U. den Kontakt zu verschiedenen Sicherheitsbehörden gesucht, diese über seine Erkenntnisse informiert und seine Mitarbeit angeboten. Von Anfang an wurde ihm bei Kontakten verdeutlicht, dass er nicht in polizeilichem Auftrag handele. Seit Mitte September 2019 wurde er dann aufgrund seiner eigenen Angaben als Beschuldigter behandelt und unter anderem im Zuge vielfältiger polizeilicher Vernehmungen entsprechend belehrt. Vorgaben zur Ausgestaltung seiner Kontakte in die rechte Szene, Zusagen oder Zuwendungen seitens der Ermittlungsbehörden – gleich welcher Art – erhielt er zu keinem Zeitpunkt. Dennoch entschied sich der Angeklagte U., die ermittelnden Polizeibeamten weiterhin fortlaufend über seine Erkenntnisse zu unterrichten.

Nach einem weiteren Treffen im Zusammenhang mit einer Demonstration in Berlin am 3. Oktober 2019 bestellte der 39 Jahre alte Angeklagten Ba. aus dem Salzlandkreis auf Wunsch des Angeklagten S. bei einer ihm bekannten Person für S. drei sogenannte „Slamguns“, im Eigenbau gefertigte Schusswaffen aus frei verkäuflichen Baumaterialien. In einem kurz danach erfolgten Telefonat bestärkte der 51-jährige Angeklagte Bä. aus dem Landkreis Esslingen, der auch Teilnehmer an dem Treffen an der „Hummelgautsche“ gewesen war, den Angeklagten S. in seinem – ihm (dem Angeklagten Bä.) spätestens jetzt bekannten – Vorhaben. Dies erfolgte unter anderem dadurch, dass er dem Angeklagten S. anbot, er könne ihm aufgrund seiner handwerklichen Kenntnisse dabei behilflich sein, die „Slamguns“ zu modifizieren und verbessern. Ungefähr Mitte Oktober 2019 bestellte der Angeklagte S. zudem unter Vermittlung des 34 Jahre alten Angeklagten Kra. aus dem Landkreis Wittenberg bei einer dritten Person ein Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte S. diese bestellten Waffen auch erhalten hat.

Nachdem zwei weitere Termine für Treffen im Dezember 2019 und im Januar 2020 abgesagt worden waren, kam es am 8. Februar 2020 zu einem Treffen im Haus des 59-jährigen Angeklagten N. in Minden. An diesem Treffen nahmen neben den Angeklagten S., E., N., U., Ba. und Kra. auch der 64-jährige Angeklagte H. aus München, der 38-jährige Angeklagte Krü. aus Minden, der 64-jährige Angeklagte Wi. aus Koblenz, der 54-jährige Angeklagte Wo. aus Hamm sowie der damals 38-jährige frühere Angeklagten Wie. aus Pfaffenhofen an der Ilm und der – vor Anklageerhebung verstorbene – frühere Beschuldigte R. teil. Der Angeklagte Bä. war von dem Angeklagten S. zu diesem Treffen nicht mehr eingeladen worden. Dennoch war dieser weiterhin an einem Kontakt mit dem Angeklagten Bä. interessiert, da er diesen für die Umsetzung seiner Pläne als nützlich erachtete und davon ausging, dass Bä. auch weiterhin zu einer Unterstützung bereit sei.

Bei diesem Treffen kam es zunächst zu einer von dem Angeklagten S. initiierten Vorstellungsrunde, bei welcher jeder Anwesende erklären sollte, ob er „offensiv“ oder „defensiv“ sei. Wie alle Teilnehmer erkannten, zielte diese Frage darauf ab, wer bereit sei, sich an Anschlägen zu beteiligen. Zumindest die Angeklagten E., U., H., N. und Wi. erklärten, dass sie „offensiv“ seien. Der Angeklagte S. führte sodann aus, dass man Anschläge auf Moscheen begehen müsse, um so letztlich einen Bürgerkrieg auszulösen. Den Vorschlag des Angeklagten U., die Moschee in Köln als größte Moschee Deutschlands für einen Anschlag auszuwählen, lehnte er ab, da dort das Risiko zu groß sei, gefasst zu werden. Zielführender seien nacheinander durchgeführte Anschläge auf fünf oder sechs etwas kleinere Moscheen, die einen bedeutenden Imam hätten, so dass auf muslimischer Seite mit besonders großer Empörung und Gegenreaktionen zu rechnen sei. Diesem Plan stimmten zumindest die Angeklagten E., U., H., N. und Wi. zu. Auch die Angeklagten Ba., Wo., Krü. und Kra. billigten die Zielsetzung des Angeklagten S. jedenfalls grundsätzlich. Der Angeklagte Ba. erklärte, Schusswaffen für die besprochenen Anschläge zu beschaffen, wofür 50.000 Euro benötigt würden. Hierauf sagten die Angeklagten S., E., H., Wi., N., U. und Wo. jeweils Beträge von 5.000 Euro für die Waffenbeschaffung zu, wobei der Angeklagte S. bereit war, seinen Anteil auf bis zu 10.000 Euro aufzustocken. Die Angeklagten Ba. und Kra. sagten zu, jedenfalls 500 Euro beizusteuern, der Angeklagte Krü. wollte sich – ohne konkrete Betragszusage – ebenfalls beteiligen. Auf Frage des Angeklagten S. bestellten die Angeklagten S., U., Wo., N., Wi., H. und E. Schusswaffen, der Angeklagte U. zudem Handgranaten. Der Angeklagte H. erklärte, dass er Pistolen in Tschechien beschaffen und unbemerkt mit dem Motorrad in das Bundesgebiet schmuggeln könne. So wurde vereinbart, dass der Angeklagte H. die Kurzwaffen von dort gemeinsam mit dem Angeklagten S. besorgen solle und der Angeklagte Ba. sich um die Beschaffung der Gewehre und Handgranaten kümmert. Die Anwesenden vereinbarten zudem, dass der Angeklagte Wi. Westen mit ballistischen Schutzelementen für die Durchführung der Anschläge beschafft. Die Abholung der Waffen sollte am 21. März 2020 erfolgten. Der Angeklagte S. kündigte zudem ein weiteres Treffen nach der Beschaffung der Waffen an. Dann sollten Pläne zur Durchführung der Anschläge an konkreten Anschlagszielen ausgemacht werden. An diesem Treffen sollten von den Anwesenden nur noch sieben Personen teilnehmen, die sich dann auch an den Anschlägen beteiligen sollten. Zu diesen sieben Personen gehörten zumindest die Angeklagten S., E., N., U., H. und Wi.. Der Angeklagte Ba. klärte verabredungsgemäß noch am selben Abend mit positivem Ergebnis ab, dass die Waffenbeschaffung möglich ist und teilte dies dem Angeklagten S. unmittelbar mit.

Feststellungen des Senats zum Nachtatgeschehen

Nach dem Treffen kam bei den übrigen Angeklagten der Verdacht auf, dass es sich bei dem Angeklagten U. um einen Verräter handeln könne. Dennoch gaben zumindest die Angeklagten S., E., N., H., Ba. und Wi. ihre Planungen nicht vollständig auf. Allerdings stornierte der Angeklagte Ba. als Vorsichtsmaßnahme die bereits erfolgte Waffenbestellung. Obwohl dem Angeklagten Bä. bekannt geworden war, dass der Angeklagte U. ein Spitzel sein könnte, brachte er am 13. Februar 2020 dem Angeklagten S. gegenüber zum Ausdruck, dass er den von diesem eingeschlagenen Kurs befürwortete und weiterführen wollte.

Am 9. Februar 2020 machte der Angeklagte U. in einer Vernehmung durch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg umfangreiche Angaben zu den Ereignissen während des Treffens in Minden. Wenn es ihm dabei auch vor allem darum ging, sein Geltungsbedürfnis zu befriedigen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, in zeugenschutzähnliche Maßnahmen aufgenommen zu werden, verfolgte er dennoch zugleich nicht ausschließbar das Ziel, dass die anderen Angeklagten in Haft kämen, die am Vortag gegründete Vereinigung dadurch zerschlagen würde und Anschläge somit vereitelt würden. Seine Angaben waren – neben den Erkenntnissen der Durchsuchungen vom 14. Februar 2020 – die entscheidende Grundlage für die Festnahmen der übrigen Angeklagten.

Bei den Durchsuchungen wurden bei vielen Angeklagten Waffen und waffenähnliche Gegenstände aufgefunden, unter anderem bei dem Angeklagten S. eine halbautomatische Schusswaffe und Patronenmunition und bei dem Angeklagten Ba. eine „Slamgun“ mit Schrotpatronen.

Urteil des 5. Strafsenats

Der Senat hat den Angeklagten S. wegen rädelsführerschaftlicher Gründung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe und Patronenmunition zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

Der Angeklagte E. wurde wegen rädelsführerschaftlicher Gründung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt.

Den Angeklagten Ba. hat der Senat wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und in weiterer Tateinheit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz einer doppelläufigen Einzelladerwaffe und Patronenmunition zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Der Angeklagte Bä. wurde wegen Beihilfe zur rädelsführerschaftlichen Gründung einer terroristischen Vereinigung zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Der Angeklagte H. wurde wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen ein Waffenbesitzverbot zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt.

Den Angeklagten Kra. verurteilte der Senat wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Patronenmunition zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilte der Senat den Angeklagten Krü. zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Den Angeklagten N. verurteilte der Senat wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen ein Waffenbesitzverbot zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten.

Eine Freiheitsstrafe von vier Jahren wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlichen Straftaten nach dem Waffengesetz verhängte der Senat gegen den Angeklagten Wi..

Wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung wurde der Angeklagte Wo. zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Den Angeklagten U. hat der Senat freigesprochen.

Daneben wurde die Einziehung der tatbefangenen Waffen und von – bei den Angeklagten N. und Wi. sichergestelltem und der Waffenbeschaffung dienendem – Bargeld in Höhe von insgesamt 9.800 Euro angeordnet.

Weitere Informationen zum Verfahren

Der 5. Strafsenat verhandelte seit dem 13. April 2021 an 173 Verhandlungstagen. Im Rahmen der sehr umfangreichen Beweisaufnahme vernahm er 132 Zeugen und Sachverständige, nahm unter anderem über 210 Mitschnitte von überwachten Telefonaten in Augenschein und führte rund 1.000 Urkunden, darunter eine Vielzahl von Ausdrucken der sichergestellten Chatkommunikation mit teilweise mehreren hundert Seiten durch Verlesung in die Verhandlung ein. Außerdem hatte der Senat sich mit mehr als 600 Anträgen der Verfahrensbeteiligten zu befassen.

Das Verfahren gegen den früheren Angeklagten Wie. war, nachdem dieser im September 2023 verstorben war, abgetrennt worden.

Mit Ausnahme des Angeklagten U. wurde zunächst gegen alle Angeklagten und den früheren Beschuldigten R. ab dem 14. Februar 2020 Untersuchungshaft vollzogen. Die gegen die Angeklagten Bä., Kra., Krü., Wo. und H. gerichteten Haftbefehle hat der Senat zwischenzeitlich außer Vollzug gesetzt.

Der Senat hob in seiner mündlichen Urteilsbegründung insbesondere hervor, dass die Darstellung, wonach den Verfahrensbeteiligten der Zugang zu erheblichen Aktenteilen verwehrt oder zu spät ermöglicht wurde, jeder tatsächlichen Grundlage entbehre. Der Vorsitzende erklärte, dass die von Verfahrensbeteiligten erhobene Behauptung „der Existenz von mehr als 99 % nicht zur Verfügung gestellten Aktenmaterials schlicht keine tatsächliche Grundlage“ habe. Weiter wies er den zum Teil unverhohlen erhobenen Vorwurf von Verfahrensbeteiligten gegen Polizeibehörden, den Generalbundesanwalt sowie gegen Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Stuttgart und insbesondere des Bundesgerichtshofs, sich in gesetzeswidriger oder gar strafbarer Weise verhalten zu haben, mit allem Nachdruck zurück.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Den verurteilten Angeklagten und dem Generalbundesanwalt steht gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen, die binnen einer Woche nach Verkündung des heutigen Urteils eingelegt werden muss.

Aktenzeichen

5 – 2 StE 7/20 – Oberlandesgericht Stuttgart

(c) OLG Stuttgart, 30.11.2023

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