Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat mit Urteil vom 20.2.2024 ein freisprechendes Urteil des Amtsgericht Freiburg gegen einen Klimaaktivisten wegen seiner Beteiligung an drei Straßenblockaden aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Freiburg zurückverwiesen.

Der Entscheidung lag eine Sprungrevision der Staatsanwaltschaft Freiburg gegen ein Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 21.11.2022 zugrunde, mit dem der heute 32 Jahre alte Angeklagte aus Freiburg vom Vorwurf der Nötigung in drei Fällen freigesprochen wurde.

Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils beteiligte sich der Angeklagte am 7.2.2022, am 11.2.2022 und am 15.2.2022 an nicht angemeldeten und nicht angekündigten Straßenblockaden des Aktionsbündnisses „Aufstand Letzte Generation“ in Freiburg. Blockiert wurden am 7.2.2022 ab 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kronenbrücke einschließlich der Abfahrt zur Kronenstraße, am 11.2.2022 ab 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kaiserbrücke in östlicher Richtung sowie am 15.2.2022 ab 8:14 Uhr die Fahrbahn des Autobahnzubringers A 5 Freiburg-Nord an der Einmündung zur L 187/B 294. Der Angeklagte setzte sich jeweils mit weiteren Beteiligten auf die Straße. Bei den Blockaden am 7.2.2022 und am 15.2.2022 klebten sich drei bzw. zwei weitere Beteiligte mit Sekundenkleber am Asphalt der Fahrbahn so versetzt fest, dass jeweils die Möglichkeit zur Bildung einer Rettungsgasse bestand. Polizeilichen Aufforderungen zur Räumung der Fahrbahn kam der Angeklagte jeweils nicht nach, weshalb er ohne Gegenwehr von der Polizei von der Fahrbahn getragen wurde.

Zu den Auswirkungen der Blockaden sind im Urteil folgende Feststellungen getroffen:

  • 7.2.2022: Der Verkehr kam vollständig zum Erliegen. Es entstanden innerhalb kürzester Zeit ein mehrere Kilometer langer Rückstau bis hin zur Berliner Allee und eine Zeitverzögerung von mindestens 30 bis 45 Minuten.
  • 11.2.2022: Trotz sofort durch die Polizei eingeleiteter Umleitungsmaßnahmen kam es zu vorübergehenden Verkehrsbeeinträchtigungen.
  • 15.2.2022: Es kam zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Der Verkehr auf der BAB A 5 staute sich in südlicher Richtung bis auf ungefähr 18 Kilometern.

Mit den Sitzblockaden wollte der Angeklagte nach den Feststellungen des Amtsgerichts auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen und für ein „Essen-Retten-Gesetz“ eintreten, nach dem große Supermärkte genießbares Essen nicht mehr wegwerfen dürften, sondern weiterverteilen müssten. Durch die Demonstrationen wollte der Angeklagte sowohl bei den Medien als auch bei den Autofahrern Aufmerksamkeit für die Verschwendung von Lebensmitteln und den zu hohen CO2-Ausstoß insgesamt schaffen. Zudem tritt die „Letzte Generation“ für eine Mobilitätswende ein und fordert eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf Autobahnen. Das Aktionsbündnis wollte mit den Blockaden auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung zu wenig für den Klimaschutz unternehme.

Das Amtsgericht sprach den Angeklagten aus rechtlichen Gründen frei. Das Amtsgericht sah zwar jeweils den Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) als verwirklicht an, verneinte jedoch in allen Fällen die die Rechtswidrigkeit begründende Verwerflichkeit gemäß § 240 Abs. 2 StGB.

Die gegen dieses Urteil erhobene Sprungrevision der Staatsanwaltschaft hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe als begründet angesehen. In dem auf die bloße Kontrolle von Rechtsfehlern beschränkten Revisionsverfahren hat der Senat zunächst die Bewertung des Amtsgerichts bestätigt, nach der gemäß der sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs in allen Fällen der Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) verwirklicht wurde. Das Handeln der jeweils weiteren Beteiligten an der Straßenblockade war dem Angeklagten dabei nach den Regeln der Mittäterschaft zuzurechnen.

Die Bewertung des Amtsgerichts, dass alle drei Taten nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB – und daher nicht rechtswidrig gewesen – seien, hielt dagegen der rechtlichen Überprüfung durch den Senat nicht stand. Der Begriff der Verwerflichkeit sei nicht im Sinne eines moralischen Werturteils zu verstehen, sondern meine sozialwidriges Verhalten. Bei der Beurteilung, ob ein Verhalten verwerflich sei, müssten deshalb alle für die Mittel-Zweck-Relation wesentlichen Umstände und Beziehungen erfasst und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden Situation vorgenommen werden. In diesem Rahmen seien auch die Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente seien deshalb unter anderen die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, etwaige Ausweichmöglichkeiten sowie der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.

Eine Abwägung nach diesen Maßstäben könne nach den Vorgaben der Strafprozessordnung nur auf der Grundlage der dazu im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen insbesondere zum Ausmaß der durch eine Straßenblockade herbeigeführten Beeinträchtigungen vorgenommen werden. Dies betreffe auch die durch die örtlichen und zeitlichen Verhältnisse bestimmte Verkehrssituation im Einzelfall. Das Urteil des Amtsgerichts sei insoweit lückenhaft, weil es nicht zu allen für die Abwägung maßgeblichen Umständen hinreichende Feststellungen getroffen habe. So habe das Amtsgericht die Dauer der Blockade und das Ausmaß der durch sie ausgelösten Verkehrsbeeinträchtigung nicht in jedem Fall konkret genug festgestellt. In allen Fällen fehle es zudem an hinreichenden Feststellungen zu Ausweichmöglichkeiten für die von den Straßenblockaden betroffenen Verkehrsteilnehmern.

Auch darüber hinaus sei das Amtsgericht dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Prüfungsmaßstab nicht vollständig gerecht geworden. Insbesondere habe das Amtsgericht nicht ausreichend in seine Abwägung eingestellt, in welcher Beziehung die von den Blockaden betroffenen Personen zu dem Kommunikationsanliegen des Angeklagten standen. Die blockierten Autofahrer hätten nur zu einem Teil des verfolgten Anliegens – nämlich als CO2-Emittenten und zur Forderung nach einem Tempolimit auf Autobahnen – einen direkten Bezug aufgewiesen. Zu dem Thema der Lebensmittelverschwendung habe dagegen allenfalls eine mittelbare Verbindung bestanden.

Der Senat hat das freisprechende Urteil des Amtsgerichts Freiburg daher wegen Rechtsfehlern aufgehoben. Weil dem Senat eine abschließende Beurteilung der Sache nicht möglich war, hat er das Verfahren gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafrichterabteilung des Amtsgerichts Freiburg zurückverwiesen. Abschließend hat der Senat darauf hingewiesen, dass ungeachtet der noch im Einzelnen zu treffenden Feststellungen jedenfalls bei einer unangekündigten Blockade einer Hauptverkehrsstraße über einen nicht unerheblichen Zeitraum, die mangels hinreichender Ausweichmöglichkeiten zu einem erheblichen Rückstau mit erheblicher Zeitverzögerung für die davon betroffenen Personen führe, angesichts des nur teilweisen Bezugs der von der Blockade betroffenen Personen mit den von dem Angeklagten und seinen Mitstreitern verfolgten Zielen die Verneinung der Verwerflichkeit eher fernliegen dürfte.

Die Entscheidung des Senats ist nicht mit Rechtsmitteln anfechtbar. Das Verfahren wird vor dem Amtsgericht Freiburg weitergeführt werden.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 20. Februar 2024, Aktenzeichen: 2 ORs 35 Ss 120/23

Vorinstanz: Amtsgericht Freiburg, Urteil vom 21. November 2022, Aktenzeichen: 24 Cs 450 Js 18098/22

(c) OLG Karlsruhe, 20.02.2024

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