Bundesverfassungsrichterin Dr. Sibylle Kessal-Wulf scheidet aus dem Amt – Nachfolger Dr. Holger Wöckel

Am heutigen Tage hat Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier Frau Richterin des Bundesverfassungsgerichts Dr. Sibylle Kessal-Wulf ihre Entlassungsurkunde ausgehändigt. Sie scheidet nach Ablauf ihrer 12-jährigen Amtszeit aus dem Dienst. Wegen ihrer Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland verlieh ihr der Bundespräsident bei diesem Anlass das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Frau Dr. Sibylle Kessal-Wulf wurde im Jahr 1958 in Stadthagen/Schaumburg-Lippe in Niedersachsen geboren. Sie studierte ab 1977 Rechtswissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und absolvierte im Jahr 1982 die Erste juristische Staatsprüfung in Schleswig. 1985 legte sie die Große juristische Staatsprüfung in Hamburg ab und trat noch im selben Jahr als Richterin in den Justizdienst des Landes Schleswig-Holstein ein. Dort war sie zunächst an den Landgerichten Kiel und Flensburg sowie am Amtsgericht Flensburg tätig. 1991 wurde Dr. Sibylle Kessal-Wulf an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in Schleswig abgeordnet und dort im Jahre 1992 zur Richterin am Oberlandesgericht ernannt. 1995 promovierte sie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Das Thema ihrer von Prof. Dr. Dieter Reuter betreuten Doktorarbeit lautete: „Die Innenverbände am Beispiel Publikumsgesellschaft, Franchising, Mitarbeiterbeteiligung und Betriebsverband“. Für die Dissertation erhielt sie den Fakultätspreis und den Preis des Kieler Doctores Iuris e.V. Im Jahr 2001 wurde Frau Dr. Sibylle Kessal-Wulf zur Richterin am Bundesgerichtshof ernannt und gehörte dort dem IV. Zivilsenat an. Im Februar 2011 folgte die Ernennung zur Vorsitzenden Richterin am Bundesgerichtshof.

Am 25. November 2011 wurde Frau Dr. Sibylle Kessal-Wulf durch den Bundesrat zum Mitglied des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts gewählt und am 19. Dezember 2011 vom Bundespräsidenten zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts ernannt. Ihr Dezernat umfasste insbesondere das Straf- und Strafverfahrensrecht, das Finanzverfassungs- und Haushaltsrecht, das allgemeine Zivilrecht sowie das Recht des Versicherungswesens.

Frau Dr. Sibylle Kessal-Wulf hat als Berichterstatterin zahlreiche bedeutsame Senatsverfahren vorbereitet. Hierzu zählen unter anderem die Entscheidungen zur Rechtsstellung der Mitglieder und Aufgabe der Bundesversammlung (BVerfGE 136, 277), zum Libyen-Einsatz der Bundeswehr (BVerfGE 140, 160), zu einer Strafvorschrift im Rindfleischetikettierungsgesetz (BVerfGE 143, 38), zur Kernbrennstoffsteuer (BVerfGE 145, 171), zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Suizidhilfe) (BVerfGE 153, 182), zu einer Blankettstrafvorschrift im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (BVerfGE 153, 310), zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung bei bereits vor Inkrafttreten des Reformgesetzes verjährten Erwerbstaten (BVerfGE 156, 354), zum Straftatbestand „Verbotene Kraftfahrzeugrennen (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB)“ (BVerfGE 160, 284), zur Verzinsung zu Unrecht entrichteter Kernbrennstoffsteuer (BVerfGE 162, 325), zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 (BVerfGE 164, 1), zu vereinigungsbedingten ökologischen Altlasten (2 BvG 1/19, 2 BvG 1/21) sowie zum Kommunalinvestitionsförderungsgesetz (2 BvF 1/18).

Zudem war sie Berichterstatterin in zahlreichen Kammerverfahren, etwa zur Wahlfeststellung zwischen (gewerbsmäßig begangenem) Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei (2 BvR 167/18), zum NSU-Prozess (2 BvR 2222/21), zum sogenannten Ku‘damm-Raser-Fall (2 BvR 1404/20), zum strafbewehrten Cannabisverbot (2 BvL 9/23 u.a.) und zur überlangen Dauer eines Haftprüfungsverfahrens (2 BvR 825/23).

Herr Dr. Holger Wöckel, geboren 1976 im heutigen Chemnitz, tritt als Nachfolger von Dr. Sibylle Kessal-Wulf in den Zweiten Senat ein. Er war zuletzt Richter am Bundesverwaltungsgericht und dessen Präsidialrichter. Herr Dr. Holger Wöckel wurde am 15. Dezember 2023 vom Bundesrat zum Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählt und hat heute vom Bundespräsidenten seine Ernennungsurkunde erhalten.

Bundesverfassungsrichter Peter Müller scheidet aus dem Amt – Dr. Andreas Frank wird Nachfolger

Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier hat am heutigen Tage Richter des Bundesverfassungsgerichts Peter Müller die Entlassungsurkunde ausgehändigt. Damit endete seine 12-jährige Amtszeit.

Herr Peter Müller wurde am 25. September 1955 in Illingen/Saar geboren. Er studierte von 1975 bis 1983 Rechts- und Politikwissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Universität des Saarlandes. Nach dem Ersten juristischen Staatsexamen im Jahr 1983 war Peter Müller bis 1986 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht II der Universität des Saarlandes. Im Jahr 1986 legte er das Zweite juristische Staatsexamen in Saarbrücken ab. Es folgte von 1986 bis 1990 eine vierjährige Tätigkeit als Richter, zunächst am Amtsgericht Ottweiler und dann am Landgericht Saarbrücken. Von 1987 bis 1990 war Peter Müller Lehrbeauftragter der Universität des Saarlandes sowie Dozent an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie des Saarlandes. In dieser Zeit war er auch Mitglied im Justizprüfungsamt Saar. Von 1990 bis 2011 bekleidete Peter Müller durchgehend das Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU-Landtagsfraktion im Saarland und war ab 1994 deren Fraktionsvorsitzender. Am 29. September 1999 wurde Peter Müller zum Ministerpräsidenten des Saarlandes gewählt und blieb in diesem Amt bis zum Jahr 2011. Wegen seiner Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland verlieh ihm der Bundespräsident im Jahr 2007 das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Herr Peter Müller wurde am 25. November 2011 durch den Bundesrat zum Mitglied des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts gewählt und vom Bundespräsidenten am 19. Dezember 2011 zum Richter des Bundesverfassungsgerichts ernannt. Sein Dezernat umfasste zuletzt insbesondere das Wahlrecht, das Parteienrecht und das Parlamentsrecht, soweit die Stellung des einzelnen Abgeordneten den Schwerpunkt bildet, sowie das Strafvollstreckungsrecht.

Als Berichterstatter hat er zahlreiche bedeutende Senatsverfahren vorbereitet. Hierzu gehören insbesondere die Entscheidungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung im Anschluss an eine psychiatrische Unterbringung (BVerfGE 133, 40), zu Äußerungsbefugnissen von Regierungsmitgliedern (BVerfGE 137, 29), zur Verwerfung (A-limine-Abweisung) von Anträgen im Organstreitverfahren betreffend die Frage der Passivlegitimation von im Bundestag vertretenen Fraktionen (BVerfGE 133, 273), zur Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden für eine Durchsuchungsanordnung (BVerfGE 139, 245), zur Organklage gegen die Mittelzuweisung an Fraktionen, politische Stiftungen und für Abgeordnetenmitarbeiter im Haushalt 2012 (BVerfGE 140, 1), zum Antrag auf ein Parteiverbot der NPD (BVerfGE 144, 20), zur Verletzung des Rechts einer Partei auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb durch die Pressemitteilung einer Bundesministerin (BVerfGE 148, 11), zur Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung bezüglich der Mandatsausübung von Bundestagsabgeordneten (BVerfGE 149, 374), zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich der Zusammensetzung des 19. Deutschen Bundestags (BVerfGE 149, 378), zum Eilantrag auf Untersagung von Äußerungen des Bundesinnenministers (BVerfGE 150, 163), zu Wahlrechtsausschlüssen für Betreute in allen Angelegenheiten und wegen Schuldunfähigkeit untergebrachter Straftäter (BVerfGE 151, 1), zu Eilanträgen gegen die Änderung der Parteienfinanzierung (BVerfGE 151, 58), zur Verletzung des Rechts einer Partei auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb durch Veröffentlichung eines Interviews auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums (BVerfGE 154, 320), zur „elektronischen Fußfessel“ (BVerfGE 156, 63), zur Wahlprüfungsbeschwerde betreffend die mögliche Nichtzählung einer Stimme bei der Bundestagswahl 2017 (BVerfGE 160, 129), zum Vorschlagsrecht bei der Wahl eines Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages (BVerfGE 160, 368), zur Wahlprüfungsbeschwerde der NPD wegen Nichtzulassung der Landesliste im Land Berlin für die Bundestagswahl im Jahr 2017 (BVerfGE 161, 136), zu Äußerungen der Bundeskanzlerin zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen 2020 (BVerfGE 162, 207), zur Anhebung der „absoluten Obergrenze“ für die staatliche Parteienfinanzierung (2 BvF 2/18), zum Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens zur Anhebung der „absoluten Obergrenze“ der Parteienfinanzierung (2 BvE 5/18), zur staatlichen Förderung politischer Stiftungen in Bezug auf das Erfordernis eines gesonderten Parlamentsgesetzes (2 BvE 3/19), zum Bundeswahlrecht 2020 (2 BvF 1/21) und zur Wiederholung der Bundestagswahl 2021 in Berlin (2 BvC 4/23).

Herr Dr. Peter Frank, geboren 1968 in Lauda, tritt als Nachfolger von Peter Müller in den Zweiten Senat ein. Er war seit 2015 Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, wurde am 24. November 2023 vom Bundesrat zum Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählt und hat heute vom Bundespräsidenten seine Ernennungsurkunde erhalten

Rede von Bundespräsident Steinmeier:

„Herzlich willkommen im Schloss Bellevue – so kurz vor Weihnachten. Wir ziehen die Bescherung ein wenig vor: Es gibt Urkunden und einen Orden.

Und ich verstehe, wenn die Kolleginnen und Kollegen, die ich ernenne und vereidige, nach der spannenden Phase von öffentlicher Debatte und Richterwahl in großer Vorfreude auf den neuen Schreibtisch in Karlsruhe sind. Ich werde dem nicht im Wege stehen. Erlauben Sie mir dennoch ein paar Sätze über das Gericht, die scheidenden und künftigen Richterinnen und Richter.

Wie selten zuvor war das Bundesverfassungsgericht in den letzten Wochen in aller Munde – in der Politik und in den Medien. Ich bin froh darüber, dass dies – mit wenigen Ausnahmen – mit dem gebotenen Respekt geschah. Unser Rechtsstaat wird durch eine Gerichtsbarkeit vollendet, deren Aufgabe es ist, über die Einhaltung der Verfassung zu wachen und ihre Bestimmungen letztverbindlich auszulegen, selbst wenn einzelne Entscheidungen die Politik vor schwierige Aufgaben stellen. Eine Verfassung hat nicht die Aufgabe, es der Politik leicht zu machen. Vielmehr haben wir uns eine Verfassung gegeben, um die Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt zu kontrollieren, damit die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger geschützt wird. Wie wichtig dies ist, sehen wir daran – Ihr ehemaliger Präsident Voßkuhle hat in der „Zeit“ jüngst daran erinnert –, dass meist eine sofortige Entmachtung der unabhängigen Justiz in Staaten erfolgt, in denen Autokraten die Macht errungen haben. Voßkuhle zieht daraus für uns den Schluss, das Bundesverfassungsgericht verfassungsfester zu machen. Auch mir wäre wohler, wenn manches von dem, was wir im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt haben, Wahlverfahren und Amtszeiten etwa, in die Verfassung überführt und damit durch das Erfordernis einer verfassungsändernden Mehrheit gesichert würde.

Liebe Frau Kessal-Wulf, lieber Herr Müller, mit Ihnen, verabschieden wir zwei Richterpersönlichkeiten, die für das breite Spektrum von Verfassungsrichtern stehen: Sie, liebe Frau Kessal-Wulf, sind geprägt durch das Bild der Richterin, die es durch ihr gesamtes Berufsleben gewohnt war, ausschließlich durch ihr Urteil zu sprechen. Und Sie, lieber Herr Müller, haben nach Ihrer Zeit als Ministerpräsident des Saarlandes– so haben Sie es einmal beschrieben – Ihre Aufgabe der Gestaltung gegen unbedingte Pflicht zur Genauigkeit in der juristischen Entscheidung eingetauscht. Ein ganz neues Leben!

Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick auf diese ganz unterschiedlichen Biographien werfen:

Liebe Frau Kessal-Wulf, Sie sind in Stadthagen, in Schaumburg-Lippe geboren. Ein wenig war Ihnen die Juristerei in die Wiege gelegt, denn Ihr Vater war Leitender Oberstaatsanwalt. Und wenn ich richtig informiert bin, sind auch Ihre beiden Brüder Juristen. Nach dem Studium an der Universität in Kiel absolvierten Sie 1982 in Schleswig die erste Staatsprüfung, 1985 in Hamburg die zweite. Sie traten dann in den höheren Justizdienst des Landes Schleswig-Holstein ein, wo Sie 1988 zur Lebenszeitrichterin am Amtsgericht in Flensburg ernannt wurden.

Nach einer Abordnung an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht wurden Sie 1992 dort zur Richterin ernannt. Bereits mit 33 Jahren! Besonders beeindruckend, neben Ihrer Tätigkeit als Richterin promovierten Sie 1995 an der Universität Kiel zum Thema „Die Innenverbände am Beispiel Publikumsgesellschaft, Franchising, Mitarbeiterbeteiligung und Betriebsverband.“ Ihre Arbeit wurde nicht nur mit summa cum laude bewertet, sondern auch mit dem Fakultätspreis und dem Preis der Kieler Doctores Iuris e.V. ausgezeichnet.

Am Oberlandesgericht in Schleswig-Holstein gehörten Sie dem Senat für Gesellschafts-, Bank- und Börsenrecht an. Im Bundesgerichtshof, wohin Sie im Jahre 2001 der Richterwahlausschuss wählte, waren Sie im 4. Zivilsenat, der für Erb- und Versicherungsvertragsrecht zuständig war. Die Presse schrieb anlässlich Ihrer Wahl zur Bundesverfassungsrichterin über Ihren beruflichen Werdegang, Sie hätten eine „rasante Karriere hingelegt“. Ihnen eilte der Ruf voraus, fachlich herausragend zu sein. Offenbar auch in besonderem Maße unparteiisch! Denn zum Bundesgerichtshof sind Sie noch auf Vorschlag der grünen Justizministerin aus Schleswig-Holstein gewählt worden, aber im November 2011 wählte Sie dann der Bundesrat auf Vorschlag der CDU/CSU zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts – übrigens als erst zweite Frau, die von den Christdemokraten für das Verfassungsgericht vorgeschlagen wurde. Am 19. Dezember.2011 wurden Sie ernannt und vereidigt.

Am Bundesverfassungsgericht folgten Sie Rudolf Mellinghoff nach. Das Recht des Versicherungswesens, das Straf- und Strafverfahrensrecht, das Recht der Wiederaufnahme und Wiedereinsetzung, Untersuchungshaft und Ordnungswidrigkeiten fielen in Ihr Dezernat. Zuständigkeiten, in denen der Geschäftsfall hoch ist. Eine Zuständigkeit indes spielte lange keine Rolle, nämlich die für Finanzverfassungs- und Haushaltsrecht. Hier wurden Sie erst zum Ende ihrer Amtszeit als Berichterstatterin tätig. Die FAZ betitelte Sie als „Die Besonnene“.

Liebe Frau Kessel-Wulf, mich beeindrucken die folgenden Zahlen immer wieder, zeigen Sie doch, wie viel Arbeit in Karlsruhe erledigt werden muss. Ich erwähne sie aber auch, weil sie verdeutlichen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeiten, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, in Anspruch nehmen und nutzen. Bis zum 18. Dezember 2023 haben Sie, liebe Frau Kessal-Wulf, insgesamt 4119 Entscheidungen als Berichterstatterin vorbereitet, davon 3970 Verfassungsbeschwerden und 14 Senatsentscheidungen. Das kann man nur bewältigen, wenn man wie Sie „eindeutig ein Ausnahmetalent für juristisches Arbeiten gepaart mit Disziplin“ ist. Und herausragende fachliche Leistungen bringt, fleißig, diszipliniert und keine Draufgängerin ist – wie die FAZ anerkennend feststellte. 

Unter den von Ihnen vorbereiteten Entscheidungen waren viele mit grundlegender Bedeutung. Ich denke dabei etwa an den Beschluss vom 23. September 2015 über die Reichweite des Parlamentsvorbehalts für Streitkräfteeinsätze bei Gefahr im Verzug. Hier ging es um einen Libyen-Einsatz der Bundeswehr. Eine gesellschaftspolitisch besonders wichtige Entscheidung war der Beschluss vom 26. Februar 2020, der sich mit der Suizid-Hilfe befasste. Hier bestätigte das Bundesverfassungsgericht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Unter den zahlreichen Kammerentscheidungen gab es ebenfalls einige, die weitreichende Wirkung entfalteten, etwa der Beschluss vom 30. September 2022 zum NSU-Prozess oder zu den sogenannten Kudamm-Rasern .

Schon bei Ihrer Wahl galten Sie als durchsetzungsfähig, orientiert am juristischen Argument und beharrlich. Ihre Mitarbeiter heben Ihre Offenheit und Neugierde hervor.

Über sich selbst haben Sie – so habe ich gehört – einmal gesagt: „Ich suche nicht den Konflikt, aber ich halte ihn aus“. Dass Sie sich nicht gescheut haben, auch unbequeme Entscheidungen als Berichterstatterin vorzubereiten, ist auch in der Entscheidung zur Nichtigkeit des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes vom 15. November 2023 deutlich geworden. Kaum ein anderer Beschluss hat die Politik beschäftigt wie dieser.

Auch wenn diese Entscheidung ganz sicher ein Paukenschlag war, Sie werden als „Frau der leisen Töne“ gerühmt. Die richterliche Zurückhaltung wird vielleicht noch durch Ihr norddeutsches Naturell verstärkt. Sie mögen es nicht, sich in den Vordergrund zu drängen, so hört man. Bei aller Zurückhaltung werden Sie als großartige Chefin beschrieben, die sich sehr für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interessiert und auch ihren Lebensweg verfolgt. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, so höre ich, haben gerne für Sie gearbeitet und begrüßten den Teamspirit in Ihrem Dezernat, – das zeigen auch die Dezernatstreffen, die immer wieder stattfanden. 

Liebe Frau Kessal-Wulf, ein neuer Lebensabschnitt beginnt heute. Mir wurde berichtet, dass Sie neugierig auf die Welt und ohnehin schon weitgereist sind. Vielleicht haben Sie in Zukunft nun etwas mehr Zeit für Reisen an die Orte, die Sie noch nicht kennen. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute!

Lieber Herr Müller, als der Bundesrat Sie vor zwölf Jahren in das Verfassungsgericht wählte, nahm dies mancher mit Skepsis auf. Ein Politiker im Verfassungsgericht – ein ehemaliger Ministerpräsident sogar – das war manchen zu viel Politik im Gericht. Andere wiederum betonten schon damals, das Gericht benötige die Expertise und die Erfahrung eines gestandenen Politikers, der aber selbstverständlich auch als Jurist die notwendigen Qualifikationen für das höchste deutsche Gericht mitbringt. 

Mein Eindruck ist, Sie haben beide Gruppen zufriedengestellt. Diejenigen, die Ihrer Wahl wegen Ihrer politischen Rolle kritisch gegenüberstanden, haben Sie dadurch überzeugt, dass Sie sich größte Zurückhaltung in der Öffentlichkeit auferlegt haben. Sie haben sich auf Ihr neues Amt konzentriert und im besten Sinne des Wortes durch die von Ihnen mitgeprägten Urteile gesprochen. Und das Gericht, so habe ich von verschiedenen Seiten gehört, haben Sie durch Ihre Erfahrung aus Ihrem politischen Leben bereichert, zumal Sie diese Expertise immer juristisch verorten konnten.

Sie haben selbst einmal auf die Frage hin, welche Tätigkeit spannender sei – die des saarländischen Ministerpräsidenten oder die des Verfassungsrichters – geantwortet, es seien völlig verschiedene Welten. Die Tätigkeit am Bundesverfassungsgericht sei durch die absolute Pflicht zur kohärenten juristischen Argumentation geprägt. Und spannend sei die intellektuelle Herausforderung!

Mit Ihrer Wahl zum Richter des Bundesverfassungsgerichts als Mitglied des Zweiten Senats am 25. November 2011 durch den Bundesrat und mit Ihrer Ernennung am 19. Dezember 2011 wurden Sie Nachfolger von Udo Di Fabio. In Ihr Dezernat fielen zunächst nicht unbedingt die Rechtsmaterien, die gemeinhin für spannend gehalten werden: Strafvollstreckungsrecht, Wohnungseigentumsrecht oder das Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Aber mit der Zeit kamen auch spannendere Rechtsgebiete wie zum Beispiel das Parlamentsrecht, das Parteienrecht oder das Wahlrecht hinzu.

Wichtige Entscheidungen haben Sie, lieber Herr Müller, vorbereitet. Nur wenige kann ich hier nennen: Der Beschluss vom 6. Februar 2013 über die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Anschluss an eine psychiatrische Unterbringung hatte Auswirkungen auf unser gesamtes Justizvollzugssystem. Denn der Senat kam zu dem Ergebnis, dass diese nur unter engen Voraussetzungen zulässig sei. Große öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr das von Ihnen vorbereitete NPD-Verbotsverfahren, das am 17. Januar 2017 nicht zu einem Verbot führte, weil nach Auffassung des Gerichts Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele fehlten. Weichenstellend sind auch die Entscheidungen zur Parteienfinanzierung und zur Finanzierung der Arbeit der politischen Stiftungen. Und bis zuletzt hat Sie das Bundeswahlrecht beschäftigt, auch wenn Sie die jüngst anhängig gemachten Verfahren nicht mehr vorbereiten müssen. Aber bis zum 15. Dezember.2023 haben Sie 260 Senatsentscheidungen vorbereitet, davon waren 226 Wahlverfahren! Insgesamt 3.755 Entscheidungen weist Ihre Bilanz als Berichterstatter auf.

Kein Wunder, dass Ihre Kolleginnen und Kollegen Sie als die gleichzeitige Verkörperung von Fleiß und Geselligkeit beschrieben haben. Abends sollen Sie immer der Letzte im Gericht gewesen sein, und selbst wenn es spät wurde, dennoch morgens häufig einer der ersten am Schlossplatz.

Alle, die Sie kennen, namentlich ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, heben Ihre Bodenständigkeit, Ihren Humor, Ihre Offenheit jedem gegenüber hervor. Mit Blick auf die Bodenständigkeit verwundert es kaum, dass Sie nicht nur nach wie vor in Ihrem Heimatort Eppelborn leben, sondern dort der zweite Vorsitzende des Fußballklubs Eppelborn sind. Dazu passt auch, dass Sie eine Runde Skat selten ablehnen – egal, ob mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Dezernat oder mit Ihrem Fahrer. Und genau so, dass Sie sich beim Grillen mit Freunden das eigenhändige Schwenken auf dem Schwenker nicht nehmen lassen. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben sich bei Einladungen zu Ihnen ins Saarländische ebenfalls davon überzeugen können.

Lieber Herr Müller, zwölf Jahre plus Verlängerung am Bundesverfassungsgericht gehen heute zu Ende. Mein Eindruck ist, Sie haben diese Zeit trotz der Arbeit sehr genossen. Aber Sie richten den Blick auch schon ein wenig in die Zukunft: Jüngst traten Sie hin und wieder in Ihrer saarländischen Heimat öffentlich auf. Es gab bereits Vermutungen, Sie wollten zurück in die Politik. Ich habe keine Ahnung, ob da was dran ist. Ich höre auch das Gegenteil. Andere sagen: Ihr nächstes Lebensziel sei wieder ein Richteramt – eins, das Ihre große Leidenschaft für das Kartenspiel fortführt. Deshalb, so munkelt man in der Szene, streben Sie das Amt als Richter auf Lebenszeit am Skatgericht in Altenburg in Thüringen an. Ich bin sicher, auch dieses Gericht würden Sie mit Ihrer Expertise bereichern.  

Richterwechsel am Verfassungsgericht folgen gewissen Traditionen, zu denen regelmäßig auch die Verleihung des Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband gehört. Ausnahmsweise wird das bei Ihnen heute nicht der Fall sein, denn Sie wurden bereits als Ministerpräsident des Saarlandes mit dieser Ordensstufe ausgezeichnet. Lassen Sie mich meinen Dank und meine Anerkennung für Ihre Tätigkeit als Richter am Bundesverfassungsgericht – auch ohne neuerliche Ordensurkunde – zum Ausdruck bringen.

Lieber Herr Müller, daher bleibt mir nur, Sie gleich zur Überreichung der Entlassungsurkunde nach vorne zu bitten. Schon jetzt: Alles Gute für Sie!

Liebe Frau Kessal-Wulf und lieber Herr Müller, Ihre so unterschiedlichen Persönlichkeiten waren ein großer Gewinn für das Bundesverfassungsgericht und ein Glücksfall für unsere Demokratie. Dafür danke ich Ihnen von Herzen:

Nun gehen Ihre Amtszeiten zu Ende. Zunächst darf ich nun Sie, liebe Frau Kessal-Wulf, zur Überreichung der Entlassungsurkunde nach vorne bitten, gemeinsam mit Ihnen, Herr Präsident, und Ihnen, Herr Minister und Herr Staatssekretär.

Liebe Frau Kessal-Wulf, unser Land ist Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Ich danke Ihnen herzlich für Ihren herausragenden Einsatz. Und ich freue mich, Ihnen dafür das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen.

Lieber Herr Müller, an Ihrem Revers befindet sich bereits die Würdigung, die die ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen üblicherweise erhalten. Deshalb gehen Sie heute leer aus. Trotzdem darf ich Ihnen nochmals herzlich für Ihren Einsatz danken. Sie haben sich um unser Land verdient gemacht.

Lieber Herr Frank, lieber Herr Wöckel, der Bundesrat hat Sie beide am 24. November beziehungsweise am 15. Dezember zu Richtern des Bundesverfassungsgerichts gewählt. Dazu gratuliere ich Ihnen herzlich!

Für Sie beginnt ein neuer beruflicher Lebensabschnitt, voller Herausforderungen. Und mit einer hohen Verantwortung, die das Amt der Richterin und des Richters des Bundesverfassungsgerichts mit sich bringt. Die Verfahrenszahlen, die ich eben nannte, werden auch Sie bewältigen müssen. Aber ich bin überzeugt, dass Sie das nicht abschreckt.

Lieber Herr Frank, seit dem 5. Oktober 2015 sind Sie Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof. Mit 47 Jahren bei Amtsantritt waren Sie der jüngste Generalbundesanwalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Studium in Würzburg und München legten Sie die beiden Juristischen Staatsexamen mit Prädikat ab und promovierten zum Strafverfahrensrecht summa cum laude.

Sie arbeiteten als Staatsanwalt in München und in verschiedenen Funktionen der bayerischen Justiz. Der bayerische Justizminister lobte damals schon Ihren juristischen Sachverstand, Ihre Führungskompetenz und Ihre Begabung im Umgang mit Menschen. Bei Ihrer Ernennung zum Generalbundesanwalt charakterisierte Sie der Bundesjustizminister als „exzellenten Juristen“ und „engagierten Beamten mit Sensibilität und Führungsstärke“, als erfahren und belastbar.

Dass Sie auch umgänglich und locker sind, habe ich selbst bei unseren Zusammentreffen und Gesprächen erfahren. Ihr neuer Arbeitsplatz ist nicht weit entfernt vom alten. Das mag das rasche Ankommen und Eingewöhnen erleichtern.

Lieber Herr Wöckel, auch Sie kommen als Bundesrichter an das Bundesverfassungsgericht. Seit 1. Februar 2021 sind Sie Richter am 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts. Davor waren Sie Richter in der nordrhein-westfälischen Justiz, in meiner ostwestfälischen Heimat, am Verwaltungsgericht in Minden. Während dieser Zeit waren Sie bereits an das Bundesverwaltungsgericht abgeordnet, später auch schon einmal an das Bundesverfassungsgericht. Aufgewachsen in Chemnitz, studierten Sie in Dresden und Freiburg Jura. Nach dem Referendariat am Landgericht Freiburg waren sie von 2004 bis 2010 Assistent am Institut für Öffentliches Recht der Universität Freiburg bei Dietrich Murswiek, bei dem Sie auch Ihre Dissertation schrieben. „Ein glänzender, parteiloser Richter am Bundesverwaltungsgericht“, kommentierte Reinhard Müller Ihre Wahl in der FAZ.

Lieber Herr Frank, lieber Herr Wöckel, Sie beide sind bestens gerüstet für die vor Ihnen liegenden Aufgaben.“

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