Der 2. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 13. Oktober 2022 in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung.


1) 11.00 Uhr – B 2 U 5/22 R – Dt.J.e.V., Bay.J.e.V., F.v.M., E.P.,J.S. ./. SVLFG


Vorinstanzen:
Sozialgericht Kassel – S 11 R 250/17, 09.08.2018
Hessisches Landessozialgericht – L 9 U 175/18, 28.01.2022


Die Revision der Beklagten war erfolgreich. Die Wahlanfechtungsklage ist unbegründet. Die Sozialwahlen zur Vertreterversammlung in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung im Jahr 2017 in der Gruppe der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte ist frei von mandatsrelevanten Wahlfehlern in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung durchgeführt worden.
Die Entscheidung des Wahlausschusses der Beklagten, die Wahl ausschließlich im Zweig der landwirtschaftlichen Unfallversicherung durchzuführen, steht im Einklang mit den bundesrechtlichen Wahlvorschriften, die der Senat nicht für verfassungswidrig hält (siehe hierzu die Ausführungen in der Revisionssache B 2 U 6/22 R unter 2.).
Auch sonst liegen keine zur Ungültigkeit der Wahl führenden ausreichend substantiierten Wahlbeanstandungen nach der SVWO vor. Konkurrierende Listenvertreter bzw Wahlbewerber sind unstreitig von ihren Ämtern im Wahlvorstand entbunden worden. Bei Funktionären bzw leitenden Mitarbeitern von Verbänden führt eine nur behauptete Interessenkollision nicht zum Aus-schluss vom Amt im Wahlausschuss. Das beanstandete Unterschriftenquorum von 1000 Unterzeichnungen hat die von den Klägern zu 1 und 2 als Liste “Jagd“ eingereichte Liste auch als sog freie Liste erreicht. Zutreffend hat der Wahlausschuss die Liste lediglich als freie Liste unter Verwendung der Namen der Vorgeschlagenen zugelassen. Die Kläger zu 1 und 2 sind keine vorschlagsberechtigten berufsständischen Personenvereinigungen oder Verbände der Landwirtschaft. Das berufsständische Vorschlagsrecht für die Gruppe der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte ist begrenzt auf Vereinigungen, die die Interessen der dazu gehörigen bei der Beklagten versicherten Inhaber von Jagden vertreten. Die Kläger zu 1 und 2 sind dagegen Vereinigungen, die generell die Interessen der Jäger bzw Jagdscheininhaber wahrnehmen. Die Streichung des unzulässigen Zusatzes „Jagd“ durften die Kläger nicht über den Hinweis auf die Streichung in der ansonsten möglichen Selbstdarstellung der freien Liste umgehen. Hinsichtlich der Wahlausweise hat die Beklagte wegen eines ggf unzureichenden Datenbestandes im Unternehmerverzeichnis zwar – anders als in der SWVO vorgesehen – die bei ihr gemeldeten Unternehmer aufgefordert, die Anschreiben an weitere wahlberechtigte Mitunternehmer weiterzugeben. Es ist aber nicht ersichtlich, dass diese Vorgehensweise für den Fall ihrer Fehlerhaftigkeit Mandatsrelevanz hatte. Die von den Klägern hierzu eingereichten eidesstattliche Versicherungen haben sich im Detail als nicht belastbar erwiesen. Die Auszählung der Stimmen ist erkennbar nicht durch Externe erfolgt. Die Niederschrift über die Wahl in der Gruppe der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte belegt stattdessen die Einhaltung der Wahlvorschriften bei Auszählung der Stimmen durch die Mitglieder des Wahlausschusses als Mitglieder der Briefwahlleitung. Der hohe Anteil ungültiger Stimmen belegt nicht das Gegenteil.


2) 12.00 Uhr – B 2 U 6/22 R – H.E. ./. SVLFG


Vorinstanzen:
Sozialgericht Kassel – S 11 R 246/17, 09.08.2018
Hessisches Landessozialgericht – L 9 U 173/18, 28.01.2022


Die Revision der Beklagten war auch hier erfolgreich. Die Wahlanfechtungsklage ist unbegründet. Die Sozialwahlen zur Vertreterversammlung in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung im Jahr 2017 in der Gruppe der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte ist frei von Wahlfehlern nur in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung durchgeführt worden.
Die Vertreterversammlung der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau setzt sich zusammen zu je einem Drittel aus Vertretern der versicherten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte (sog Drittelparität). Diese Versicherten wählen die Vertreter ihrer Gruppen in die Vertreterversammlung getrennt auf Grund von Vorschlagslisten. Zur Gruppe der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte zählen neben den versicherten Selbstständigen und ihren Ehegatten die Rentenbezieher, die dem vorgenannten Personenkreis unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der “versicherten Tätigkeit“ angehört haben (§ 47 Abs 3 Nr 2 SGB IV). In Betracht kommen wegen der Bezugnahme auf die in § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII legal definierte “versicherte Tätigkeit“ allein Bezieher einer Rente aus eigener Versicherung (§ 47 Abs 5 SGB IV) in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Die Fusionierung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zu einem bundeseinheitlichen Verbundträger zum 1.1.2013 hat zwar die Organleihe der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften an die landwirtschaftlichen Alters- und Krankenkassen (§ 32 SGB IV aF) obsolet werden lassen, nicht aber den Sachgrund für die Beschränkung auf Wahlen in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Die Beschränkung auf in der Landwirtschaft aktiv Erwerbstätige dient unverändert dem Ziel, die Partizipation der sachnah Betroffenen in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung als einer im Kern geschlossenen berufsständischen Solidargemeinschaft sicherzustellen. Diese schließt bei typisierender Betrachtung die Verletztenrentner mit ein, während die Alters- und Erwerbsminderungsrentner typischerweise ihre Erwerbsbiographien beendet haben.
Der Senat hält die Beschränkung der Wahl auf den Zweig der landwirtschaftlichen Unfallversicherung und den damit einhergehenden Ausschluss der Alters- und Erwerbminderungsrentner von der Wahl nicht für verfassungswidrig. Der Ausschluss ist an dem für Wahlen zur Selbstverwaltung heranzuziehenden Prüfmaßstab der Wahlgleichheit im Arbeits- und Sozialwesen zu messen (Art 3 Abs 1 GG). Danach sind Einschränkungen der Wahlgleichheit möglich, soweit diese durch die spezifischen Sachaufgaben der Sozialversicherungsträger geboten sind. Denn trotz autonomer Selbstverwaltung besteht die Hauptaufgabe der Sozialversicherungsträger in dem Vollzug einer detaillierten Sozialgesetzgebung (BVerfGE 39, 302). Die auf die Gruppe der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte erweiterte Gruppenwahl in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ist indes dem Umstand geschuldet, dass den spezifisch berufsständischen Interessen der Solo-Selbstständigen unter den Landwirten Rechnung getragen werden soll. Damit ist eine Zusammensetzung der Vertreterversammlung nicht vereinbar, in der sich die besondere Wirtschaftsstruktur in der Landwirtschaft nicht mehr widerspiegelt, wenn zusätzlich sachfernen Personengruppen ein Wahlrecht zur Vertreterversammlung eingeräumt wird. Angesichts der ausgeprägten Verrechtlichung der Selbstverwaltung und der staatlichen Aufsicht (§ 87 SGB IV) einerseits sowie dem Bestandschutz der Renten auch nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (, BVerfGE 149, 86) und der Garantie der Leistungsfähigkeit dieses Alterssicherungssystems durch den Bund (§ 78 ALG) andererseits ist dem Ausschluss des Wahlrechts kein besonders starkes Gewicht beizumessen. Alters- und Erwerbsminderungsrentnern ist es (nach Abschaffung der Hofabgabeklausel sogar ohne Flächenlimitierung) unbenommen, durch den Rückbehalt von Flächen die Unfallversicherungspflicht aufrechtzuerhalten und auf diese Weise losgelöst vom Rentenalter als Erwerbstätige wahlberechtigt zu bleiben (§ 2 Abs 1 Nr 5a SGB VII). Angesichts der überwiegend steuerfinanzierten Teilrenten der landwirtschaftlichen Alterssicherung (Lagebericht der BReg 2017: 79%, 2021: 81 %) sieht der Senat auch keine Notwendigkeit zu einer Gleichstellung mit den Vollrentnern der allgemeinen Rentenversicherung (§ 47 Abs 1 Nr 3 SGB IV).

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