Der 4./11. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 29. November 2022 in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende und des Arbeitsförderungsrechts.
1) 10.30 Uhr – B 4 AS 64/21 R – C. V. ./. Jobcenter team.arbeit.hamburg
Vorinstanzen:
Sozialgericht Hamburg – S 29 AS 2751/19, 07.07.2020
Landessozialgericht Hamburg – L 4 AS 189/20, 05.08.2021
Der Senat hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Zwar war der Beklagte ursprünglich zu der Feststellung berechtigt und verpflichtet, dass ein Leistungsanspruch im streitigen Zeitraum nicht bestand, nachdem die Klägerin der Aufforderung zum Nachweis der Betriebseinnahmen und -ausgaben nicht innerhalb der gesetzten Frist und auch nicht bis zum Abschluss des Vorverfahrens nachgekommen war. Insbesondere hatte der Beklagte mit der Aufforderung hinreichend über die Rechtsfolgen einer Nichtvorlage belehrt. Hierfür ist lediglich erforderlich, dass über die primären und spezifischen Rechtsfolgen des § 41a Abs 3 Sätze 3 und 4 SGB II belehrt wird. Dies ist hier geschehen. Nicht erforderlich ist hingegen, dass über die sekundäre Erstattungspflicht nach § 41a Abs 6 Sätze 3 und 4 SGB II belehrt wird.
Zu Recht ist das LSG aber davon ausgegangen, dass die im Berufungsverfahren von der Klägerin vorgelegten Unterlagen bei der Berechnung des Anspruchs zu berücksichtigen sind. Dem steht zum einen eine prozessuale Präklusion (§ 106a Abs 3, § 157a SGG) nicht entgegen. Weder das SG noch das LSG hat die diesbezüglichen Erklärungen und Beweismittel der Klägerin zurückgewiesen. Dies kann von vornherein keinen vom Revisionsgericht zu berücksichtigenden Verfahrensmangel darstellen. Zum anderen folgt aus § 41a Abs 3 Sätze 3 und 4 SGB II keine materielle Präklusion. Aufgrund der einschneidenden Folgen müssen sich Präklusionsvorschriften durch ein besonderes Maß an Rechtsklarheit auszeichnen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Bereits dem Wortlaut des § 41a Abs 3 Sätze 3 und 4 SGB II lässt sich nicht hinreichend klar entnehmen, dass der Betroffene mit weiterem Sachvortrag nach Abschluss des Vorverfahrens ausgeschlossen sein soll. Eine solche Regelungsintention geht auch aus den entstehungsgeschichtlichen Materialien nicht hervor.
2) 10.30 Uhr – B 4 AS 58/21 R – M. P. ./. Jobcenter team.arbeit.hamburg
Vorinstanzen:
Sozialgericht Hamburg – S 53 AS 1162/20, 30.07.2020
Landessozialgericht Hamburg – L 4 AS 215/20, 22.06.2021
Die Beteiligten haben im Hinblick auf die Entscheidung des Senats im Verfahren B 4 AS 64/21 R zur Erledigung des Verfahrens einen Vergleich geschlossen.
3) 12.30 Uhr – B 4 AS 38/21 R – S. Ö. ./. Jobcenter Gelsenkirchen
Vorinstanzen:
Sozialgericht Gelsenkirchen – S 8 AS 1957/19, 25.05.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 7 AS 992/20, 18.02.2021
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die Revision zurückgenommen.
4) 13.30 Uhr – B 11 AL 12/21 R – S. P. ./. Bundesagentur für Arbeit beigeladen: Jobcenter Cottbus
Vorinstanzen:
Sozialgericht Cottbus – S 39 AL 619/15, 07.03.2017
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – L 14 AL 20/18, 11.03.2021
Der Senat hat die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG zurückgewiesen. Der Kläger hat für Juni 2015 wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da das beigeladene Jobcenter gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch hat.
Der Beigeladene war gegenüber der Beklagten im Juni 2015 der nachrangig verpflichtete Leistungsträger gemäß § 104 Abs 1 SGB X, da das Arbeitslosengeld bei rechtzeitiger Auszahlung Ende Juni 2015 nach dem Zuflussprinzip des SGB II als Einkommen angerechnet worden wäre. Die Nachrangigkeit der Leistungen des Beigeladenen entfällt nicht dadurch, dass der Kläger im streitigen Zeitraum zusätzlich zu seinem Anspruch auf Arbeitslosengeld „aufstockend“ einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende hatte. Lediglich in Höhe dieses Differenzbetrags der „Aufzahlung“ besteht zwischen den beteiligten Leistungsträgern kein Rangverhältnis.
Die Höhe des Erstattungsanspruchs umfasst das gesamte von der Beklagten für die Zeit vom 11.6.2015 bis zum 30.6.2015 bewilligte Arbeitslosengeld (527,60 Euro) und ist nicht auf die vom Beigeladenen anteilig für diese 20 Tage erbrachten Leistungen begrenzt (370,23 Euro), da auf den Monat als Bezugsgröße abzustellen ist. Zwar gilt für die Berechnung des Arbeitslosengelds das Kalendertags-, für die Auszahlung jedoch das Monatsprinzip. Die monatsweise Betrachtung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Erstattungsregelungen, wonach Doppelleistungen vermieden werden sollen und die Erstattungshöhe dem Betrag entsprechen soll, den der erstattungspflichtige Träger bei rechtzeitiger Leistung hätte erbringen müssen.
5) 14.30 Uhr – B 11 AL 33/21 R – G. B. ./. Bundesagentur für Arbeit
Vorinstanzen:
Sozialgericht Cottbus – S 39 AL 191/19, 19.05.2020
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – L 18 AL 62/20, 01.02.2021
Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des LSG ist keine Sperrzeit durch ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit der dem Kläger angebotenen Maßnahme zur beruflichen Eingliederung eingetreten. Denn der Kläger ist nicht zutreffend über die Rechtsfolgen eines versicherungswidrigen Verhaltens belehrt worden.
Ob dem Kläger – wie die Beklagte und das SG meinen – eine Ablehnung oder – wie das LSG meint – ein Abbruch der ihm von der Beklagten bewilligten Maßnahme vorzuwerfen ist, kann dahinstehen, weil in beiden Fällen für den Eintritt einer Sperrzeit dieselben Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung gelten. Diese sind hier nicht erfüllt; es fehlt an einem Hinweis auf den Beginn der Sperrzeit. Die Rechtsfolgenbelehrung gibt daher keine Antwort auf die Frage, für welche konkreten Tage der Zahlungsanspruch entfallen würde, und kann nicht in Gänze ihr Ziel erreichen, dem Arbeitslosen unmissverständlich zu vermitteln, welche Nachteile ein versicherungswidriges Verhalten für ihn haben würde. Dem stehen auch keine unüberwindbaren Hindernisse im Hinblick auf die Verwaltungspraktikabilität entgegen. Das BSG hat es in der Vergangenheit stets genügen lassen, wenn der Beginn der drohenden Sperrzeit mit der Formulierung „vom Tag nach … an“ in Aussicht gestellt worden ist. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest, solange das sperrzeitbegründende Ereignis hinreichend konkretisiert wird.
6) 14.30 Uhr – B 11 AL 35/21 R – B. A. ./. Bundesagentur für Arbeit
Vorinstanzen:
Sozialgericht Aachen – S 10 AL 146/17, 18.01.2019
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 9 AL 34/19, 31.05.2021
Die Beklagte hat im Hinblick auf die Entscheidung des Senats im Verfahren B 11 AL 33/21 R die Berufung zurückgenommen, womit sich das Revisionsverfahren erledigt hat.
Quelle. Bundessozialgericht, Pressemitteilung vom 30. November 2022