Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat die Bundesrepublik Deutschland
    mit jetzt bekannt gewordenem Urteil vom 9. November 2021 dazu verpflichtet, zwei russische
    Staatsangehörige wegen ihrer Religionsausübung als Zeugen Jehovas als Asylberechtigte
    anzuerkennen. Der BayVGH hatte sich dabei als erstes Oberverwaltungsgericht
    in Deutschland mit der Frage der Verfolgung von Zeugen Jehovas in der Russischen
    Föderation zu befassen.

    Die Kläger gehören zur Gruppe der ca. 170.000 Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation
    und sind im Jahr 2018 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ihre Asylanträge
    wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt. Die hiergegen
    erhobene Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth blieb ohne Erfolg.
    Der BayVGH hat das Urteil des Verwaltungsgerichts nun abgeändert und die Bundesrepublik
    Deutschland dazu verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen
    und sie als Asylberechtigte anzuerkennen. Den Klägern drohe in der Russischen
    Föderation als Zeugen Jehovas wegen ihrer Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
    eine staatliche Verfolgung. Das Oberste Gericht der Russischen Föderation habe die
    Zeugen Jehovas im Jahr 2017 als extremistische Gruppe eingestuft und ihnen sämtliche
    Aktivitäten verboten. Seitdem könne die Ausübung des Glaubens sowohl im öffentlichen
    als auch im privaten Bereich zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Dies stelle eine
    schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit dar, weil es die Möglichkeit öffentlicher
    Zusammenkünfte und sonstiger Glaubensbetätigung weitgehend unterbinde. Zwar bewege
    sich die Zahl der strafrechtlich Verfolgten im Verhältnis zur Gesamtzahl der aktiven
    Glaubensangehörigen noch in überschaubaren Größen. Dies spreche aber nicht generell
    gegen die Annahme einer drohenden Strafverfolgung. Da die Zeugen Jehovas seit dem
    Verbot weitestgehend auf öffentliche Glaubensbekundungen wie z. B. das Predigen an
    öffentlichen Orten und das Missionieren verzichteten, könne diese Zahl für die Feststellung
    einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht den Ausschlag geben. Das
    Verbot und die drohenden Sanktionen träfen die Kläger auch in persönlicher Hinsicht
    schwer. Das Gericht sei davon überzeugt, dass die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen
    und das öffentliche Missionieren ihre religiöse Identität präge und für sie unverzichtbar
    sei.

    Die Bundesrepublik Deutschland kann gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde
    zum Bundesverwaltungsgericht einlegen.

    (BayVGH, Urteil vom 9. November 2021, Az. 11 B 19.33187)

    Quelle: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Pressemitteilung vom 28. Februar 2022

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