Im Zuge der aktuellen Fahndung nach untergetauchten RAF-Terroristen werden wieder einmal Forderungen nach einer flächendeckenden Videoüberwachung mit biometrischer Gesichtserkennung laut. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt seit Jahren vor diesem Überwachungsinstrument. Ein solcher Dauer-Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger sei nicht hinnehmbar. Angesichts der hohen verfassungsrechtlichen Hürden fehle es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Die als Erfolg verkauften Zahlen des Pilotprojekts am Bahnhof Berlin-Südkreuz seien überdies trügerisch.

Totgesagte leben länger? Wenn es nach der Vorstellung der Ermittlungsbehörden geht, ist der präferierte Untote des Tages die biometrische Gesichtserkennung. Der DAV warnt seit jeher vor einer derartigen anlasslosen und unterschiedslosen Massenüberwachung der Bevölkerung.

„Wenn massenhaft Gesichter von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern im öffentlichen Raum gescannt werden, dann liegt darin ein schwerer Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung“, mahnt Dr. David Albrecht, Mitglied des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht des DAV. Bereits zum umstrittenen Pilotprojekt am Bahnhof Südkreuz in Berlin hatte der DAV massive Kritik geäußert, wie auch zu Überlegungen, solche Systeme flächendeckend an Bahnhöfen und Flughäfen einzusetzen.

BVerfG stellt hohe Hürden auf

Nach Ansicht des DAV gibt es derzeit keine Rechtsgrundlage, die eine Gesichtserkennung an öffentlichen Orten rechtfertigt. Dass eine solche geschaffen werden kann, ist angesichts der hohen Hürden des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch zweifelhaft: So warnte Karlsruhe in mehreren Entscheidungen, etwa zur Vorratsdatenspeicherung oder zum automatisierten Erfassen von Kfz-Kennzeichen, vor einem nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und der Einschüchterung.

Unbeantwortet blieben auch stets die Fragen: Wie fehleranfällig ist das System? Können Missbrauch und Manipulation der Technik verhindert werden? Für wie lange, durch wen und wo werden diese Daten gespeichert?

80 Prozent Trefferwahrscheinlichkeit – deutlich schlechter als es klingt

Mangelnde Diversität der Testpersonen (Alter, Geschlecht, Ethnie), unrealistisch optimale Vergleichsbilder, paralleler Einsatz dreier Systeme: Die seit dem Testlauf am Südkreuz als Erfolg verkauften Zahlen (rund 80 Prozent Trefferquote) sind nicht nur nach empirischen Grundsätzen zweifelhaft, sie hielten auch einem Real-Einsatz nicht stand und bieten daher eine trügerische Sicherheit.

Hinzu kommt eine Falsch-Positiv-Rate von 0,67 Prozent: Nimmt man eine Veranstaltung wie den Karneval der Kulturen in Berlin mit rund einer Million Besucher:innen, würden statistisch 6.700 von ihnen an diesem Wochenende einen falschen Alarm auslösen und unrechtmäßig ins Visier der Ermittler geraten. Dies kann nicht im Sinne des Rechtsstaats sein.

Auch die Fahndung nach der kürzlich festgenommenen RAF-Terroristin, mit der die automatische Gesichtserkennung häufig in Verbindung gebracht wird, führte auf anderem Wege zum Erfolg. Hier sollte sich eher auf die bestehenden Ermittlungsmethoden konzentriert werden: denn auch ohne die Ressourcen der Sicherheitsbehörden hatte bereits 2023 ein Podcast die Spur der untergetauchten Person und ihres öffentlichen Social-Media-Profils aufgenommen.

(c) DAV, 04.03.2024

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