Innenminister Armin Schuster und der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen, Dirk-Martin Christian, haben heute den Sächsischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021 vorgestellt.
Dieser informiert über die verfassungsfeindlichen Entwicklungen in den Phänomenbereichen Rechts- und Linksextremismus, Reichsbürger und Selbstverwalter, Islamismus, sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug sowie über Spionageaktivitäten.
Im Berichtsjahr kam der neue Phänomenbereich Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates hinzu. Auch dazu führt der Jahresbericht aus. Außerdem beleuchtet er die regionale Ausprägung der einzelnen Beobachtungsobjekte und gibt darüber hinaus Prognosen zur weiteren Entwicklung extremistischer Bestrebungen im Freistaat Sachsen.
Rechtsextremisten gelang im zweiten Jahr der Corona-Pandemie der weitere Ausbau ihrer Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte
»Rechtsextremisten besetzen seit geraumer Zeit verstärkt gesellschaftlich relevante Themen, von denen sie annehmen, dass sie mit ihrer verfassungsfeindlichen Sicht auf die Dinge Gehör in nicht-extremistischen Kreisen der Bevölkerung finden«, sagte Innenminister Armin Schuster heute in Dresden. »Das ist gestern noch die Corona-Pandemie gewesen, und morgen können es vielleicht schon die Inflation und steigende Energiepreise sein. Ihr Ziel: die Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte austesten, verfassungsfeindliche Ideologieelemente auf subtile Art und Weise in diese Bevölkerungsgruppe einsickern lassen und perspektivisch verfassungsfeindliches Gedankengut mehr und mehr hoffähig machen. Die Corona-Pandemie zeigte uns auf bedrückende Art und Weise, dass offenkundige Verfassungsfeinde mit dieser Taktik auch in 2021 erfolgreich waren«, so Schuster.
»Die Corona-Pandemie hat uns allen beispielhaft gezeigt, wie komplex, wie schwierig die Viruseindämmung und wie wichtig für manche Menschen in diesem Kontext das Finden einfacher Lösungswege war. Diese konnte es jedoch nicht geben und gab es nicht. Niemand hat gesagt, dass Demokratie stets einfach ist, dass demokratische Entscheidungsprozesse in föderalistischen Strukturen schnell verlaufen und für auf eine uneingeschränkte Zustimmung stoßen. Aber akzeptiert werden müssen die Entscheidungen. Das rechtfertigt aber nicht, dass Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft unsere Staatsform unter dem Corona-Vorwand in ‚großem Stil‘ verächtlich machen, Politiker diffamieren, Widerstandsgedanken hegen, sich krudesten Verschwörungstheorien hingeben und sich zum Handlanger von Rechtsextremisten und Reichsbürgern machen. Die Schaffung des neuen bundesweiten Phänomenbereiches Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates erscheint vor dem Hintergrund dieser besorgniserregenden Entwicklung nur folgerichtig«, betonte der Innenminister.
Auch die im Juni 2021 vom LfV Sachsen als erwiesene rechtsextremistische Bestrebung eingestufte Kleinstpartei »Freie Sachsen”, die erst wenige Monate zuvor von namhaften Rechtsextremisten gegründet wurde, avancierte insbesondere in den sozialen Medien zur ‘Protest-Mobilisierungsmaschine’ schlechthin.
»Am Beispiel dieser Partei kann man gut erkennen, dass es keiner großen Parteiapparate mehr bedarf, um in der Öffentlichkeit omnipräsent zu erscheinen und an der politischen Meinungs- und Willensbildung teilzunehmen«, sagte LfV-Präsident Dirk-Martin Christian. »Über die unmoderierten ‘Echokammern’ in den sozialen Medien gelangen – orchestriert von Rechtsextremisten und Delegitimierern – Hass, Hetze, Fake-News sowie Verschwörungstheorien in den Orbit und schaffen ein gefährliches gesellschaftliches Klima.«
Die Sprache sei zunehmend enthemmt und verroht. Das Unsagbare werde plötzlich sagbar. Aus Worten könnten Taten werden. Der Extremismus sei längst im Zeitalter der Digitalisierung angekommen und habe sich gewandelt, so Christian.
»Die Corona-Proteste haben in Sachsen eines offengelegt: dass sich Menschen, die politisch eher indifferent sind und mit den politischen Rändern bisher keine Berührung hatten, für die multiplen Annäherungsversuche und Umarmungsstrategien von Rechtsextremisten und Reichsbürgern in erschreckender Weise empfänglich gezeigt haben«, sagte Christian.
Linksextremisten bedrohten Demokratie und Rechtsstaat durch hohes Aktionsniveau und nach wie vor hohe Gewaltbereitschaft
»Leipzig etabliert sich zum ‘Mekka’ für Linksextremisten aus der ganzen Bundesrepublik. Diese Entwicklung, die grundsätzlich mit einer hohen Gewaltbereitschaft einhergeht, betrachte ich als Innenminister mit großer Sorge. Straf- und Gewalttaten werden vorrangig unter Berufung auf die Aktionsfelder Antifaschismus, Antirepression und Antigentrifizierung begangen und von Linksextremisten als durchweg legitimes Mittel zum Zweck betrachtet«, sagte Innenminister Armin Schuster.
»Ihren Hass gegenüber dem politischen Gegner, dem Staat, der Polizei sowie Bau- und Immobilienfirmen ließen insbesondere Autonome auch im Berichtsjahr nach wie vor unverhohlen zumeist auf der Straße raus – bei Versammlungen, Hausbesetzungen, Brandanschlägen und sonstiger Gewalt gegen Sachen und Personen. Dass der Rechtsstaat gegen die Straftaten von Linksextremisten gleichfalls konsequent und mit aller Härte des Gesetzes vorgeht, zeigt das gegenwärtige Verfahren des Generalbundesanwaltes gegen die Linksextremistin Lina E. und weitere drei Angeklagte wegen des Verdachts der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung«, so Schuster.
»Wohnungsdurchsuchungen, Festnahmen, Gerichtsverfahren, polizeiliche Kontrollmaßnahmen, Versammlungsverbote und Polizeipräsenz im ‘Kiez’ – vor allem im Leipziger Stadtteil Connewitz – lassen die linksextremistische Szene aufhorchen und vorsichtiger agieren. ‘Kiez-Folklore’ ist toll, ‘Kiez-Krawalle’ zählen aber nicht darunter! Der Staat setzt Recht durch und duldet keine ‘Kieze’ in Form von rechtsfreien Räumen. Und daran wird sich auch nichts ändern«, hob Schuster hervor und dankte in diesem Zusammenhang Polizei und Verfassungsschutz für ihre gute Zusammenarbeit im Hinblick auf die Bekämpfung extremistischer Strukturen im Freistaat Sachsen.
LfV-Präsident Dirk-Martin Christian ergänzte: »Ein Teil der linksextremistischen Szene, der sich insbesondere im Bereich der autonomen Anarchisten in Leipzig verorten lässt, hat sich weiter radikalisiert. Damit haben sich innerhalb der Szene bereits vorhandene Spaltungstendenzen, zum Beispiel zwischen ‘Altautonomen’ und jüngeren zugezogenen Szeneangehörigen, weiter verstärkt. Die Loslösung einzelner Personen von etablierten Strukturen birgt die Gefahr, dass sich Teile der Szene abkapseln und damit nicht mehr erreichbar sind. Insgesamt scheinen im Berichtsjahr jene Kräfte in der autonomen Szene gestärkt worden zu sein, die der Überzeugung sind, der ‘strukturellen Gewalt’ von Staat und Kapital mit Gegengewalt begegnen zu müssen.«
Von Islamisten geht weiterhin eine hohe abstrakte Gefährdungslage aus
Schuster und Christian betonten abschließend, dass auch vom jihadistischen Salafismus weiterhin eine abstrakt hohe Gefährdungslage ausgehe, wenngleich sich das Personenpotenzial im bundesweiten Vergleich mit 450 Personen (darunter ca. 270 Salafisten) im Freistaat Sachsen unverändert auf niedrigem Niveau befände.
»Wie konkret eine Gefährdung durch Islamisten plötzlich werden kann, angesichts einer ansonsten nach wie vor abstrakten terroristischen Gefährdungslage, führten uns im Berichtsjahr Attentate in Afghanistan, Neuseeland, Frankreich, England und nicht zuletzt in einem ICE in Deutschland vor Augen«, führte der Innenminister aus.
»Terrororganisationen wie der IS und Al-Qaida lassen nichts unversucht, ihre Mitglieder und Sympathisanten in aller Welt zu mobilisieren, an symbolträchtigen oder weichen Anschlagszielen terroristische Gewalttaten zu verüben. Die Strategen setzen dabei gezielt auf die Verwundbarkeit einer freiheitlich-liberalen Gesellschaft. Krisenzeiten können für sie ein willkommener Anlass sein. Die Sicherheitsbehörden werden deshalb auch in diesem Phänomenbereich besonders wachsam bleiben«, betonte der LfV-Präsident.
Eine Kurzzusammenfassung des Verfassungsschutzberichtes 2021 befindet sich im Downloadbereich. Der vollständige Bericht ist auf der verlinkten Homepage des Sächsischen LfV abrufbar.
Quelle: Sächsisches Staatsministerium des Innern, Pressemitteilung vom 31. Mai 2022