Konnte das Landratsamt Sächsische Schweiz die bei einer Versammlung der „Freien Sachsen“ geplante Straßentheateraufführung „Habecks Prozess“ durch eine versammlungsrechtliche Auflage untersagen? Dies wird das Verwaltungsgericht Dresden im Rahmen einer von der Partei heute eingereichten Fortsetzungsfeststellungsklage entscheiden müssen.
Ausweislich der von der Klägerin heute vorgelegten Klageschrift hat sie am 2. August 2022 für den gestrigen 8. August 2022 einen Aufzug durch Heidenau (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) mit abschließender Kundgebung zum Thema „Regierungsrücktritt – jetzt!“ angemeldet. Geplant sei in diesem Rahmen „u.a. die Durchführung eines Straßentheaters“ gewesen, „bei dem ein symbolischer Prozess gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck stattfinden sollte.“ Dies sei in der Anmeldung auch geschildert worden. „Als Hilfsmittel“ seien „eine Stoffpuppe und ein symbolischer Pranger angemeldet“ worden. Die Versammlungsbehörde des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge hat mit Bescheid vom 4. August 2022 die ordnungsgemäße Anmeldung sowie die Demonstrationsstrecke einschließlich der angezeigten Kundgebungsmittel zunächst bestätigt, sowie einige Auflagen hinsichtlich der Versammlungsdurchführung erlassen.
Mit Änderungsbescheid vom 5. August 2022 gab die Behörde der Veranstalterin (zusätzlich) Folgendes auf:
„Vor Beginn des Straßentheaters ist den Versammlungsteilnehmern sowie der Allgemeinheit der Versammlungszweck und die gewählte Darstellungsform verständlich zu erklären. Dazu hat der Versammlungsleiter das Theaterstück kurz vorzustellen und zu verdeutlichen, dass es sich bei der Handlung um einen fiktiven Gerichtsprozess handelt. Es wird nochmals auf die Grenzen der Meinungsfreiheit insbesondere bei persönlichen Beleidigungen gegen bestimmte Personen hingewiesen.“
Am Tag der Veranstaltung, dem 8. August 2022, erließ die Behörde unter Anordnung des Sofortvollzugs einen weiteren Änderungsbescheid – der Bestandteil des Ausgangsbescheids werden sollte – mit folgenden Bestimmungen:
„a. Wegen der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist es den Rednern und den Versammlungsteilnehmern untersagt, Äußerungen zu tätigen, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören, die zur Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens aufstacheln und die Menschenwürde anderer verletzen, selbst wenn die Grenze zur Strafbarkeit noch nicht überschritten sein sollte. Darunter fällt insbesondere das Skandieren und Darstellen der Anklageschrift, Verurteilung und der prozessualen Behandlung von Personen des politischen Lebens im Rahmen des Straßentheaters „Habecks Prozess“.
b. Das Mitführen von Kundgebungsmitteln zum Zwecke der Durchführung des Straßentheaters insbesondere Puppen, symbolischer „Pranger“ oder andere Gegenstände sowie Tonaufnahmen, die der Darstellung „Habecks Prozess“ dienen, ist untersagt und ist daher zu unterlassen.“
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass „die im Verlauf der Werbephase für die Versammlung erfolgte Beweisaufnahme“ zu dem Ergebnis geführt habe, dass der Tatverdacht von Straftaten geprüft werde (§ 145d StGB Vortäuschen einer Straftat, § 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten). Obwohl nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass es bei jeder Versammlung der Klägerin zu Straftaten oder Verstößen nach § 188 StGB komme, bestehe gerade für die Versammlung am 8. August 2022 eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Gefahrenlage eintrete. Diese ergebe sich auch durch die zu befürchtende Art und Weise der Durchführung der Versammlung. Das Erfüllen des Straftatbestands der gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung im Sinne des § 188 StGB gelte hier als ausreichend wahrscheinlich. Die beabsichtigte Durchführung des Straßentheaters werde daher als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gesehen, die im Ausnahmefall eine Einschränkung der Demonstrationsfreiheit der Klägerin rechtfertige.
Mit ihrer heute erhobenen Fortsetzungsfeststellungsklage will die Klägerin gerichtlich festgestellt wissen, „dass es 1. rechtswidrig gewesen ist, den Änderungsbescheid vom 8. August 2022 erst um 18.40 Uhr, unmittelbar vor Beginn der Versammlung am 8. August 2022 in Heidenau, zuzustellen“ sowie 2., dass die Auflagen im Änderungsbescheid vom 8. August 2022 rechtswidrig waren.
Hinsichtlich des ersten Punktes sehe sich die Klägerin in ihrem Anspruch verletzt, rechtzeitig gerichtlichen Rechtsschutz gegen staatliche Maßnahmen erlangen zu können. Obwohl die Versammlungsbehörde einen Bescheid vorbereitet habe, sei dieser erst vor Ort, wenige Minuten vor Versammlungsbeginn dem Versammlungsleiter überreicht worden. Es sei unproblematisch möglich gewesen, diesen Bescheid nachmittags zu übersenden, so dass ein einstweiliger Rechtsschutz hätte greifen können, zumal im vorangegangenen Kooperationsgespräch mit keinem Wort angekündigt worden sei, die Aktion zu verbieten.
Hierbei habe es sich demnach um eine Art „Überfalltaktik“ gehandelt, aufgrund derer der Versammlungsleiter vor vollendete Tatsachen gestellt worden sei, gegen die er sich vor Ort nicht mehr habe wehren können. Dadurch sei in schwerem Maß in das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit aus Artikel 8 und Artikel 5 GG eingegriffen worden.
Hinsichtlich des 2. Punktes habe sich die Behörde „offenbar von einem bundesweiten Medienecho panisch vor sich hertreiben lassen“. Das Straßentheater sei genehmigt gewesen und hätte mit den Auflagen des Änderungsbescheides vom 5. August 2022 unproblematisch stattfinden können. Es wäre für jeden erkennbar gewesen, dass es sich um ein symbolisches Straßentheater handele. Das ausgesprochene Totalverbot vom 8. August 2022 sei unverhältnismäßig und stelle einen schweren Eingriff in die Grundrechte der Klägerin aus den Artikel 5, 8 und 21 GG dar. Es müsse möglich sein, Regierungspolitiker auch in zugespitzter Form zu kritisieren, gerade als eine Partei, die um Öffentlichkeit kämpfe und in dieser auch wahrgenommen werden wolle.
Die Klägerin habe auch ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen behördlichen Maßnahmen. Es bestehe sowohl ein Rehabilitationsinteresse, als auch eine Wiederholungsgefahr. Durch das Verbot sei die Klägerin in der Öffentlichkeit bloßgestellt worden. Es seien zahlreiche Journalisten vor Ort gewesen, über das geplante Straßentheater sei bundesweit berichtet worden. Der Klägerin sei durch das Verbot ein hoher Imageschaden entstanden. Darüber hinaus bestehe auch eine Wiederholungsgefahr. Es sei davon auszugehen, dass der Beklagte auch in Zukunft entsprechende Auflagen erlasse, möglicherweise auch erneut wieder sehr kurzfristig.
Das Gericht weist darauf hin, dass über die Dauer des Verfahrens zum gegenwärtigen frühen Zeitpunkt keine Prognose abgegeben werden. Die Klage wird dem Beklagten zunächst mit der Bitte um Äußerung und Übersendung der einschlägigen Verwaltungsakten zugestellt. Ob danach weitere Erwiderungen oder Stellungnahmen einzuholen sind, muss sich dann im Verlauf des Verfahrens zeigen. Das Gericht sieht sich weiterhin zu dem Hinweis veranlasst, dass der Klageantrag sich allein darauf bezieht, die von der Behörde getroffenen Maßnahmen für rechtswidrig erklären zu lassen – dafür ist ein besonderes Feststellunginteresse erforderlich, weil sich das Verwaltungsgericht (in der Regel) nicht mit abgeschlossenen Vorgängen beschäftigen soll, von denen keine rechtlichen Folgen mehr ausgehen (können). So ist es hier. Das „Verbot“ bzw. die Versammlungsauflage hat sich durch Zeitablauf erledigt, da es nur für die gestrige Veranstaltung galt. Die Klägerin hat hier zwei Gründe benannt, in denen die Rechtsordnung ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse anerkennt (hier: Rehabilitationsinteresse und Wiederholungsgefahr). Daraus ergibt sich aber auch, dass das Klageverfahren keinen Einfluss auf die Frage hat, ob das „Straßentheaterstück“ anderswo aufgeführt oder nicht aufgeführt werden darf. Dies wird im Fall einer entsprechenden Versammlungsanmeldung ggf. die zuständige Versammlungsbehörde erneut (für den jeweiligen Einzelfall) prüfen müssen.
Quelle: Verwaltungsgericht Dresden, Pressemitteilung vom 9. August 2022