Der 8. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 8. Dezember 2022 in Angelegenheiten der Sozialhilfe.


1) 11.00 Uhr – B 8 SO 11/20 R – Z. A. ./. Landeswohlfahrtsverband Hessen


Vorinstanzen:
Sozialgericht Aachen – S 20 SO 66/13, 16.07.2013
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 20 SO 397/19, 16.03.2020


Der Senat hat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und den Beklagten zur Zahlung der Kosten der Passbeschaffung verurteilt. Dem Kläger, der im Zeitpunkt des Bedarfsanfalls in einer stationären Einrichtung der Eingliederungshilfe lebte, stehen diese Kosten als Zuschuss zu. Die vom Heimatland erhobenen Gebühren für die Ausstellung eines neuen Passes sind dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt iS von § 27b Abs 1, Abs 2 Satz 1 SGB XII zuzuordnen. Dieser umfasst die dem Regelbedarf zuzuordnenden aktuellen Bedarfe, die ohne die stationäre Unterbringung als Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten wären und die von der Einrichtung selbst nicht erbracht werden und nicht vom Barbetrag (und der Bekleidungspauschale) zu decken sind. Die Passbeschaffungskosten sind auch „notwendig“. Die Deckung von Bedarfen durch ergänzende Darlehen scheidet für Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen aus, weil der Barbetrag, anders als der Regelsatz, keine Ansparbeträge beinhaltet. Deshalb liegt auch keine gleichheitswidrige Besserstellung gegenüber Leistungsberechtigten vor, die außerhalb einer stationären Einrichtung leben und den vollen Regelsatz erhalten. Für Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen scheidet die Ausstellung eines Ausweisersatzes schließlich typischerweise aus, weil sie die Passbeschaffungskosten als Zuschuss verlangen und sich damit einen Pass zumutbar beschaffen können.


2) 12.00 Uhr – B 8 SO 8/20 R – D. G. e.V. ./. Landrat des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte (vorher Kommunaler Sozial- verband Mecklenburg-Vorpommern)


Vorinstanz:
Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern – L 9 SO 3/13 KL, 20.06.2019


Der Senat hat das Urteil des LSG sowie den Schiedsspruch aufgehoben. Der Schiedsspruch ist formell rechtmäßig ergangen; hinsichtlich der begehrten Berücksichtigung eines kalkulatorischen Gewinns genügt der Schiedsspruch jedoch nicht den normativen Vorgaben aus §§ 75 ff SGB XII. Zwar hat die Schiedsstelle die geltend gemachten Gestehungskosten bei der Entscheidung über die Grund- und Maßnahmepauschale vollumfänglich als plausibel zugrunde gelegt. Die Vergütung muss aber weiter so bemessen sein, dass sie bei wirtschaftlicher Betriebsführung auch das Unternehmerrisiko angemessen berücksichtigt. Die Schiedsstelle durfte es nicht ohne weitere Überprüfung mit dem Sozialhilfeträger als gesetzt ansehen, dass die vereinbarten Vergütungen sowohl des Klägers als auch vergleichbarer Einrichtungen solche Gewinnchancen von vornherein eröffnen. Sie muss sich im Einzelfall davon überzeugen, woraus sich solche Möglichkeiten ergeben können und dazu ggf einen Vergleich mit den Vergütungen anderer Einrichtungen (“externer Vergleich“) heranziehen. Auf die Höhe der Vergütung anderer Einrichtungen hat die Schiedsstelle
sich zwar bezogen, einen Vergleich dabei aber nur unzureichend durchgeführt. Es fehlt schon an
von der Schiedsstelle festgelegten Kriterien für die Vergleichbarkeit der von ihr berücksichtigten
Einrichtungen. Entgegen der Ansicht des LSG ist das Begehren des Klägers nicht darauf gerichtet,
zusätzlich zu dieser dem allgemeinen Unternehmer-/Verlustrisiko geschuldeten Gewinnchance
eine weitere pauschale Vergütung zu erhalten. Es kann dahinstehen, ob und in welchen Fällen ein
solcher weiterer Zuschlag bei außerordentlichen Risiken des Betriebs der Einrichtung zustehen
kann, weil der Kläger hierzu nichts vorgetragen hat.


3) 13.00 Uhr – B 8 SO 4/21 R – A. E. J. ./. Landrat des Landkreises Vorpommern-Rügen


Vorinstanzen:
Sozialgericht Stralsund – S 5 SO 21/16, 10.10.2017
Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern – L 9 SO 44/17, 28.04.2020


Der Senat hat (nach Abschluss eines Teilvergleichs wegen der übrigen Zeiträume) die Urteile der
Vorinstanzen aufgehoben und die Klage wegen der Zeit vom 1.10.2015 bis 31.12.2015
abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen, weil sie nicht
hilfebedürftig ist. Die tatsächlich zufließenden Unterhaltszahlungen sind als Einkommen zu
berücksichtigen. Im Recht der Grundsicherung (bzw ab dem 1.1.2020 in der Sozialhilfe allgemein)
sind lediglich die Ansprüche von Kindern gegenüber den Eltern auf Unterhalt (und
Unterhaltsansprüche von Eltern gegenüber ihren Kindern) im Grundsatz nicht zu berücksichtigen.
Ein allgemeiner Vorrang von Grundsicherungsleistungen gegenüber Unterhalt besteht aber nicht.
Setzt das erwachsene Kind seinen Unterhaltsanspruch erfolgreich durch und fließt Unterhalt zu,
ist sein Grundsicherungsanspruch insoweit gemindert bzw ausgeschlossen. Unerheblich ist, ob
das Familiengericht – der herrschenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte folgend – bei der
Berechnung des klägerischen Unterhalts von einem Vorrang der Grundsicherung ausgegangen
ist. Auch ein sog “Spitzbetrag“, also ein um einen (vermeintlichen) Grundsicherungsanspruch
geminderter Unterhaltsbetrag, stellt zu berücksichtigendes Einkommen dar.

Quelle: Bundessozialgericht, Pressemitteilung vom 9. Dezember 2022

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