In der 43. Kalenderwoche haben die für Versicherungssachen zuständigen 12., 23., 25. und 41. Zivilkammer über 19 Prozesse verhandelt, die beim Landgericht München I zum Themenkomplex „Beitragsanpassungen privater Krankenversicherungen“ eingegangen sind.

Seit 2017 und verstärkt seit 2020 sind beim Landgericht München I weit über 1000 Klagen zu diesem Themenkomplex eingegangen. Ziel dieser Prozesse ist regelmäßig die Überprüfung von Beitragsanpassungen privater Krankenversicherungen gegenüber ihren Versicherungsnehmern auf ihre Rechtmäßigkeit bzw. Durchsetzbarkeit. 
Teilweise werden Beitragsanpassungen ab dem Jahr 2008 angegriffen und die Beitragsanteile vollständig zuzüglich Zinsen und gezogener Nutzungen zurückverlangt. Dies hat hohe Streitwerte trotz eingetretener Verjährung der Forderung zur Folge. Mitunter werden auch Erhöhungen im Centbereich angegriffen.
Teilweise erheben die Versicherungsnehmer Klagen auf Auskunft über Beitragsanpassungen ab den 1990er Jahren, weil ihnen die Unterlagen nicht mehr vorlägen. 

Die Klageparteien nutzten und nutzen unterschiedliche Argumentationen, um die ihnen gegenüber angepassten Beitragserhöhungen anzugreifen und eine rückwirkende Wirkungslosigkeit der Erhöhung von Beiträgen zu erreichen:
In einer ersten Welle wollten die Klageparteien unter anderem die Unabhängigkeit der Treuhänder, die die Beitragserhöhungen überwachen, gerichtlich überprüft wissen. Seitdem höchstgerichtlich entschieden ist, dass dies nicht zivilgerichtlich, sondern durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als zuständige Versicherungsaufsichtsbehörde überprüft wird, wird diese Argumentation mehrheitlich nicht mehr in den Mittelpunkt gestellt.
Mit der nächsten Welle derartiger Klagen machten die Klageparteien nur geltend, dass sie über die Gründe der Beitragsanpassungen nicht ordnungsgemäß belehrt worden und die Beitragsanpassungen deshalb formell unwirksam seien. Teilweise wurden den Prozessen dabei Klagen auf Auskunft vorangestellt, in welchen Jahren welche Beitragsanpassungen in welchen Tarifen vorgenommen wurden, da die Klageparteien das entsprechende Belehrungsschreiben nicht mehr hatten. Teilweise begehrten die Klageparteien zusätzlich die Mitteilung über die Höhe der die Beitragsanpassungen auslösenden Faktoren für die letzten zehn Jahre.
Von Anfang an sind zudem viele Klagen erhoben, welche die Beitragsanpassungen auch inhaltlich in Frage stellen. Die Klageparteien begehren in den Prozessen eine gerichtliche Überprüfung der von der privaten Krankenversicherung errechneten Erhöhung der Beiträge. Eine Besonderheit dieser Verfahren ist, dass die Klageparteien in der Regel keine konkreten Anhaltspunkte dafür haben, dass die Berechnungen der privaten Krankenversicherung fehlerhaft sein könnten. Auch setzen sich die Klageparteien häufig nicht mit den von der privaten Krankenversicherung angebotenen Berechnungsgrundlagen inhaltlich auseinander, sondern begehren eine umfassende sachverständige Überprüfung aller Berechnungsgrundlagen ohne inhaltliche Begrenzung. Zuletzt machen viele Klageparteien überdies geltend, den Treuhändern hätten nicht alle Unterlagen zur Prüfung der Limitierungsmaßnahmen aus den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung vorgelegen.
Werden die Beitragsanpassungen inhaltlich in Frage gestellt, muss die private Krankenversicherung für jeden Prozess umfangreiche Unterlagen für jeden Tarif zusammenstellen. Da diese Unterlagen in der Regel Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten, muss das Landgericht München I über die Geheimhaltung dieser Unterlagen gesondert verhandeln. 

Das Landgericht München I hat auf diese Klageflut reagiert, indem seit März dieses Jahres statt der bis dahin vorhandenen drei Versicherungskammern nunmehr noch eine weitere vierte Zivilkammer mit der Spezialzuständigkeit „Versicherungssachen“ betraut wurde. 

Zum Hintergrund:

1. Unabhängigkeit der Treuhänder
Mit Urteil vom 19.12.2018, Aktenzeichen IV ZR 255/17, entschied der BGH, dass die Unabhängigkeit des Treuhänders im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung nicht gesondert zu überprüfen ist.

2. Ordnungsgemäße Belehrung
Mit Urteilen vom 16.12.2020, Aktenzeichen IV ZR 294/19 und IR ZR 314/19, entschied der BGH, dass sich die Begründung der privaten Krankenversicherer auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen muss. Anzugeben ist nur die Rechnungsgrundlage, d.h. entweder die kalkulierten Versicherungsleistungen oder die Sterbewahrscheinlichkeiten (§ 155 Abs. 3 und 4 VAG), deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Prämienanpassung ausgelöst hat, nicht aber die genaue Höhe dieser Veränderung. 

3. Verjährung 
Mit Urteil vom 17.11.2021, Aktenzeichen IV ZR 113/20, entschied der BGH, dass die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist für Ansprüche auf Rückgewähr von Erhöhungsbeiträgen und auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen mit Zugang der jeweiligen Änderungsmitteilung beginnt.
Die Klageparteien können sich auf eine längere Verjährung wegen Unzumutbarkeit einer früheren Klageerhebung jedenfalls dann nicht berufen, wenn sie bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung ihre Ansprüche gegen die privaten Krankenversicherungen geltend gemacht haben, wie es in dem von dem BGH entschiedenen Fall war. Inzwischen haben viele Oberlandesgerichte auch für später erhobene Klagen die 3-jährige Verjährungsfrist ab dem Jahr des Zugangs der Mitteilungen bestätigt, u. a.  OLG München, Urteil vom 30.06.2022 Aktenzeichen 25 U 4831/21.

4. Wirksame Rechtsgrundlage
Mit Urteil vom 22.06.2022, Aktenzeichen IV ZR 253/20, entschied der BGH, dass die Prämienanpassungsklausel in den Musterbedingungen, § 8b Abs. 1 MB/KK, in Verbindung mit den Tarifbedingungen des Versicherers wirksam ist.
Mit der Regelung des § 8b Abs. 1 MB/KK in Verbindung mit den Tarifbedingungen macht der Versicherer von der ihm in § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, den Schwellenwert für die Prüfung einer Beitragsanpassung von 10 % auf 5 % abzusenken. 

5. Limitierungsmaßnahmen
Der BGH hat über die gerichtliche Prüfung von Limitierungsmaßnahmen aus Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen noch nicht im Detail entschieden. Nach seinem Urteil vom 19.12.2018, Aktenzeichen IV ZR 255/17, ist die Frage, ob und in welcher Höhe die Mittel aus den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung zu verwenden sind, im Kern eine unternehmerische Entscheidung. Der Treuhänder hat lediglich eine Kontrollfunktion und darf sein Veto nur einlegen, wenn sich die Entscheidung des privaten Krankenversicherers nicht im Rahmen dessen hält, was bei Beachtung der gesetzlichen Beurteilungsspielräume, deren Einhaltung der Treuhänder unter Anwendung eines objektiv generalisierenden Maßstabs überwachen soll, zulässig ist. Einen darüberhinausgehenden Spielraum, dem sich der Versicherer unterordnen müsste, hat er nicht. Die Grenzen der dem privaten Krankenversicherer zustehenden Beurteilungsspielräume sind dabei im Rahmen der materiellen Überprüfung der Berechtigung des privaten Krankenversicherers zur Prämienanpassung voll gerichtlich überprüfbar 

6. Auskunft 
Das OLG München hat mit den Beschlüssen vom 10.08.2022 und vom 08.09.2022, Aktenzeichen 25 U 3639/22, entschieden, dass ein Anspruch der Kläger auf Auskunft über die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien nicht besteht. 

Quelle: Landgericht München I, Pressemitteilung vom 28. Oktober 2022

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