Die hessische Polizei ist in der vergangenen Woche erneut mit Schwerpunktmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen vorgegangen. Hessens Innenminister Peter Beuth und Justizminister Roman Poseck haben anlässlich der Durchsuchungen gemeinsam die Bundesregierung dazu aufgefordert, den Ermittlern im Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie den Zugriff auf IP-Adressen zu ermöglichen.

„Im Kampf gegen diese widerwärtigen Taten haben wir bereits 2020 mit der BAO Fokus eine spezielle Einheit geschaffen. Mit seitdem über 4.400 Durchsuchungen und mehr als 60 Haftbefehlen haben wir den Verfolgungsdruck auf Kinderschänder spürbar erhöht. Die Erfolge der Ermittler verdienen unsere Hochachtung. Darüber hinaus brauchen sie jedoch auch die richtigen Mittel, um sexualisierte Gewalt gegen Kinder noch effektiver zu bekämpfen und noch mehr Täterinnen und Täter zu fassen. Die konsequente Ahndung von schweren Straftaten wie sexuellem Kindesmissbrauch darf nicht daran scheitern, dass Ermittlern wichtige Daten vorenthalten bleiben. Stattdessen braucht es für die Ermittler nun endlich eine praktikable Lösung, welche die bestehenden Spielräume effektiv nutzt, damit schwere Kriminalität wie Kindesmissbrauch durch die Erhebung von IP-Adressen konsequent bekämpft und weitere Taten schnellstmöglich verhindert werden können. In einem Rechtsstaat sollten unsere Sicherheitsbehörden auf richterliche Anordnung auf alle relevanten Spuren im Netz zugreifen können, um nicht durch falsch verstandenen Datenschutz in einer Sackgasse zu landen. Wir fordern daher die Bundesregierung erneut dringend dazu auf, ihren Streit einzustellen und hier endlich den Sicherheitsbehörden die notwendigen Befugnisse einzuräumen“, so Innenminister Peter Beuth. 

„Die jüngst veröffentlichten Zahlen des Bundeskriminalamts sprechen eine klare Sprache. Wir brauchen dringend eine Speicherung von IP-Adressen, um unsere Kinder zu schützen. Kindesmissbrauch ist ein schreckliches Verbrechen, die Fallzahlen sind viel zu hoch. Wir dürfen die Rufe aus der Praxis nicht länger ignorieren. Die hessischen Staatsanwaltschaften zeigen täglich auf, wie wichtig es wäre, die Lücke in der Strafverfolgung zu schließen. Unsere Ermittler wissen, was sie an Möglichkeiten brauchen. Es ist unerträglich, dass für dieses wichtige Thema seit der EuGH-Entscheidung im September 2022 auf Bundesebene keine Lösung gefunden wurde. Dabei hat der EuGH ausdrücklich Möglichkeiten für die Speicherung von IP-Adressen eröffnet. Mehr als acht Monate gibt es nun einen offenen Dissens zwischen dem Bundesjustizminister und der Bundesinnenministerin zu Lasten einer konsequenten Strafverfolgung. Nichtstun können wir uns bei so einem wichtigen Thema nicht länger leisten,“ sagte Justizminister Roman Poseck. 

Durchsuchungen in Hessen in der vergangenen Woche

Die hessische Polizei ist im Auftrag der hessischen Staatsanwaltschaften erneut gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen vorgegangen: Insgesamt 316 Ermittlerinnen und Ermittler haben in der vergangenen Woche bei Schwerpunktmaßnahmen der BAO FOKUS 75 Wohnungen in Hessen durchsucht. Das Hessische Landeskriminalamt (HLKA) koordinierte den Einsatz im Auftrag der hessischen Staatsanwaltschaften.

Die 78 Beschuldigten sind 14 bis 77 Jahre alt. Den 74 Männern und vier Frauen werden sexueller Missbrauch von Kindern oder Erwerb, Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie zur Last gelegt. Insgesamt wurden bei den Durchsuchungen 2.241 Datenträger sichergestellt – darunter 75 Smartphones, 60 Computer und 64 USB-Sticks. Diese werden nun ausgewertet, um den jeweiligen im Raum stehenden Vorwurf zu erhärten oder zu entkräften. Die Einsätze fanden in den Städten Darmstadt, Frankfurt am Main, Offenbach am Main, Hanau sowie Wiesbaden statt, außerdem in den Landkreisen Bergstraße, Darmstadt-Dieburg, Fulda, Groß-Gerau, Kassel, Lahn-Dill, Limburg-Weilburg, Main-Kinzig, Main-Taunus, Marburg-Biedenkopf, Rheingau-Taunus, Schwalm-Eder, Odenwald, Offenbach, Vogelsberg und Wetterau. Nach jetzigem Stand der Ermittlungen standen die Beschuldigten untereinander nicht im Austausch. 

Mehr als 300 Mitarbeiter in der BAO FOKUS

Hessen hat den Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie in den vergangenen Jahren intensiviert und konzentriert. Mittlerweile umfasst die im Oktober 2020 eigens eingerichtete BAO FOKUS (Besondere Aufbauorganisation für Fallübergreifende Organisationsstruktur gegen Kinderpornografie Und Sexuellen Missbrauch von Kindern) mehr als 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie arbeiten gemeinsam mit den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten der hessischen Staatsanwaltschaften sowie bei der Generalstaatsanwaltschaft angesiedelten Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) an der effektiven und konsequenten Verfolgung von Kindesmissbrauch und unterstützen zudem die weltweiten Fahndungen gegen Kinderpornografie.

Seit Einrichtung der BAO FOKUS wurden 63 Haftbefehle vollstreckt, über 1.800 Beschuldigte erkennungsdienstlich behandelt und mehr 66.800 Datenträger sichergestellt. In der BAO arbeiten hessenweit über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon sind über 180 Ermittlerinnen und Ermittler. Sie ist organisatorisch im Hessischen Landeskriminalamt angesiedelt. Über den dortigen Führungsstab wird eine landesweite Koordination der Einsatzmaßnahmen gewährleistet. In jedem der sieben hessischen Polizeipräsidien wurde ein Regionalabschnitt gebildet.

Nahezu alle Fälle basieren auf digitalen Spuren

Die übergroße Mehrzahl der Fälle im Bereich des Kindesmissbrauchs und der Darstellung sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige ergibt sich aus digitalen Spuren. Meist ist ein online gestelltes Bild oder Video der erste Anhaltspunkt für die Ermittler, um den Tätern auf die Spur zu kommen. Viele Fälle werden den Ermittlern durch Meldungen der US-amerikanischen gemeinnützigen Organisation „National Center for Missing and Exploited Children“ (NCMEC) bekannt, die Hinweise der Internetdienstleister auf Darstellungen von sexuellen Missbrauch Minderjähriger im Internet entgegennehmen und weltweit den Polizeibehörden melden. 

Mangelnde Speicherdauer von IP-Adressen ist größtes Ermittlungshindernis

Als größter Hinderungsgrund für weitere Ermittlungserfolge stellt sich aus Sicht der Ermittler die mangelnde Speicherdauer von IP-Adressen dar. Erst kürzlich veröffentlichte das Bundeskriminalamt, dass von bundesweit etwa 90.000 Hinweisen im Jahr 2022 rund 25 Prozent aufgrund fehlender Ermittlungsansätze nicht verfolgt werden können. Das BKA geht jedoch davon aus, dass mit einer entsprechenden Verpflichtung der Provider, die IP-Adresse für einen gewissen Zeitraum zu speichern und somit im Verdachtsfall einen Rückschluss auf den Anschlussinhaber zu ermöglichen, deutlich mehr dieser Fälle gelöst werden könnten als bislang und eine Erfolgsquote von über 90 Prozent erreichbar wäre. Das deckt sich mit den Erfahrungswerten der hessischen Ermittler.

Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 20. September 2022 wurde mehr Rechtsklarheit bei der Speicherung von Telekommunikationsdaten geschaffen. Im Hinblick auf die Speicherung von Verkehrsdaten hat der Gerichtshof datenschutzrechtliche Grenzen gesetzt, aber auch Handlungsspielräume für die Ermittlungsbehörden benannt, insbesondere zur Speicherung von IP-Adressen bei schweren Verbrechen und Bedrohungen für die nationale Sicherheit.

Dynamisch wachsendes Kriminalitätsfeld

In den letzten Jahren sind weltweit und auch in Deutschland schockierende Verbrechen im Bereich Kinderpornografie und dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aufgedeckt worden. Laut Bundeskriminalamt wurde im vergangenen Jahr in 42.075 Fällen von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Inhalte (§ 184b StGB) Anzeige erstattet. Im Vorjahr waren es 39.171 registrierte Straftaten. Die Zahl der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch (§ 176-176e StGB) lag 2022 bundesweit bei 15.520 registrierten Straftaten (2021: 15.507).

In Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs (§ 176-176e StGB) sind in Hessen im Jahr 2022 insgesamt 1.039 Fälle polizeilich erfasst worden (2021: 931). Die Fallzahlen in den Deliktsbereichen Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Inhalte (§ 184b StGB) sind in Hessen deutlich gestiegen. 2022 wurden 3.374 Fälle festgestellt, dies entspricht einem Anstieg von rund 24 Prozent (643 Fälle). Die Fallzahlensteigerung liegt im Wesentlichen in gesetzlichen Meldeverpflichtungen US-amerikanischer Internet-Provider begründet, die strafbares Nutzerverhalten innerhalb ihrer angebotenen Dienste über das NCMEC unmittelbar und automatisiert an die zuständigen nationalen Behörden zur Einleitung von Strafverfahren übermitteln.

Neue Forensikplattform soll Ermittler unterstützen

Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen plant die Hessische Landesregierung in diesem Bereich Rekordmittel in Höhe von 18,8 Millionen Euro ein. Zudem wird die BAO FOKUS mit weiteren 50 neue Stellen gestärkt. Das Hessische Landeskriminalamt und der INNOVATION HUB 110 des Hessischen Präsidiums für Technik entwickeln zurzeit gemeinsam eine Forensikplattform, um die Bekämpfung von Kinderpornographie weiter zu verbessern. Daten können so deutlich schneller und zielgerichteter ausgewertet werden – dies ermöglicht Täternetzwerke zu enttarnen und Täter schneller festzunehmen, um Missbrauch von Kindern wirkungsvoll zu verhindern.

Eine hessenweite Beratungs- und Hilfehotline zur Prävention und Aufklärung über die Verbreitung von Kinder- und Jugendpornographie wurde Anfang 2022 neu eingerichtet. Unter der Rufnummer 0800 – 55 222 00 können sich hilfesuchende Eltern, Lehrkräfte sowie junge Menschen vertrauensvoll an die Präventionsexperten der hessischen Polizei wenden. Hintergrund ist vor allem, dass immer häufiger – meist unbedarft – einschlägige Bilder und Videos von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden über soziale Netzwerke sowie Messenger-Dienste verbreitet werden.

©️ JM Hessen, 30.05.23

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