In der Debatte um die Einführung digitaler Bezahlkarten, die Asylbewerber statt Bargeld erhalten sollen, weist die FDP-Innenexpertin Ann-Veruschka Jurisch Befürchtungen zurück, dass dadurch die Integration der Betroffenen erschwert werden könnte. Sie sehe „da nicht das große Problem“, sagte die Bundestagsabgeordnete der Wochenzeitung „Das Parlament“. Die Bezahlkarte sei wie eine Kreditkarte, und heute könne man „im Alltag bei fast allem mit so einer Karte bezahlen“. Bei ihr im Landkreis Konstanz sei die Ausländerbehörde sehr dankbar, wenn die Bezahlkarte eingeführt wird. Das spare Verwaltungsaufwand und Geld, und es gebe ja auch ein Sicherheitsrisiko, wenn mit viel Bargeld hantiert wird.

Jurisch wies zugleich Forderungen nach einer Verpflichtung von Asylbewerbern zu gemeinnütziger Arbeit als „wenig sinnvoll“ zurück. Zum einen wäre es mit sehr viel Verwaltungsaufwand verbunden, gab sie zu bedenken. Zum anderen könnten die Leute schon nach jetziger Gesetzeslage zu kleineren Arbeiten herangezogen werden.

Die FDP-Parlamentarierin warb in diesem Zusammenhang dafür, Arbeitserlaubnisse pauschaler zu erteilen. Derzeit werde eine Arbeitserlaubnis nur für eine bestimmte Stelle erteilt, und das oft erst nach Wochen und Monaten. Dann sei die Stelle meist schon weg. Sie  verstehe nicht, warum die Arbeitserlaubnis nicht auch pauschal für eine Branche erteilt werden könne, etwa für die Gastronomie. „Dadurch würde es bürokratieärmer und schneller gehen und die Leute könnten auch schneller arbeiten“, fügte Jurisch hinzu.


Das Interview im Wortlaut:


Frage: Frau Jurisch, vergangenes Jahr wurden in Deutschland fast 330.000 Asylerstanträge gestellt, der höchste Stand seit 2015/16 – zusätzlich zu rund 1,1 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Brauchen wir eine neue „Obergrenze“ für Flüchtlinge, wie sie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer jüngst gefordert hat?

Jurisch: Ich halte das Thema Obergrenze nicht für zielführend. Man muss sehen, dass die Union 2021 einen migrationspolitischen Scherbenhaufen hinterlassen hat und wir uns mit Sieben-Meilen-Stiefeln daran gemacht haben, da Stück für Stück aufzuräumen. Dazu muss man Maßnahmen wählen, die effektiv sind und auch etwas bringen. Natürlich gibt es nicht den einen Hebel, sondern wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen. Die Illusion, eine Obergrenze einzuführen, kann man als politische Forderung stellen, aber ich halte das nicht für gangbar.

Frage: 2023 gab es mehr als 16.000 Abschiebungen, eine Steigerung um 27 Prozent im Vergleich zu 2022. Zugleich konnten aber gut 31.000 Abschiebungen nicht vollzogen werden.

Jurisch: Ja, Abschiebungen sind hartes Brot. Das ist die Ultima ratio, die der Rechtsstaat mit aller Konsequenz machen muss. Aber wir wissen alle aus der Praxis, dass es schwierig ist. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir jetzt das Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet haben. Es vereinfacht es den Polizeibeamten in der Praxis, Rückführungen überhaupt zu ermöglichen. Dabei sind für die Rückführung die Bundesländer verantwortlich. Da ist auch wichtig, dass genügend Ausreisegewahrsams- und Abschiebehaftplätze geschaffen werden. Es muss einfach das Zusammenspiel zwischen Bund und Land gut funktionieren, damit es klappt. Aber wie gesagt: Abschiebungen stehen sozusagen ganz am Ende der Kette.

Frage: In der Begründung des Rückführungsverbesserungsgesetzes, das etwa erweiterte Durchsuchungsmöglichkeiten und eine Verlängerung des Ausreisegewahrsams enthält, wird angenommen, dass es durch die Verschärfung der Ausreisepflicht rund 600 Abschiebungen mehr pro Jahr geben wird. Besonders viel scheint das im Verhältnis nicht zu sein.

Jurisch: Das Rückführungsverbesserungsgesetz hat den Zweck, die Arbeit der Polizeibeamten zu vereinfachen, damit es überhaupt funktioniert. Bei der einzelnen Abschiebung sind das kleine Verbesserungen, die dazu führen. Da kommt wahrscheinlich die Zahl 600 in der Aggregation her. Aber wenn es einfacher läuft und eben auch die Länder ihre Hausaufgaben machen, wird es in der Summe sicherlich sehr viel mehr werden.

Frage: Nicht selten fehlt es bei Abschiebungen  an der Aufnahmebereitschaft der Herkunftsländer. Hier will die Koalition mit Migrationsabkommen neben dem Fachkräfteaustausch auch die Rücknahme regeln. Auch wenn dafür sogar ein Sonderbeauftragter, Joachim Stamp, eingesetzt ist, gibt es bislang erst drei solcher Vereinbarungen: mit Indien, Georgien und Marokko.

Jurisch: Das ist immerhin dreimal so viel, wie der frühere Innenminister Seehofer in seiner Zeit zustande gebracht hat – der hat eines mit Guinea verhandelt. Ich finde das jetzt schon eine ganz gute Bilanz, und ich weiß, dass Joachim Stamp auch an vielen anderen Abkommen im Hintergrund arbeitet. Da ist erstmal sehr viel Vertrauensaufbau zu leisten, weil auch viel brach gelegen ist. Und ja, Migrationsabkommen sind sehr wichtig, weil Abschiebungen sehr stark auch daran scheitern, dass es oft keine aufnahmebereiten Herkunftsländer gibt.

Frage: Als ein Weg zu schnelleren Abschiebungen wird die Einstufung eines Landes als asylrechtlich sicherer Herkunftsstaat gesehen. Zuletzt wurden Georgien und Moldau entsprechend eingestuft. Wenn es nach ihrer Fraktion geht, würden weitere Länder folgen. Bei den Grünen wird dieses Instrument aber sehr kritisch gesehen – oder sehen Sie da Bewegung?

Jurisch: Die Einstufung als sicheres Herkunftsland bringt allein erstmal keinen sehr großen Mehrwert, weil man die Leute dann ja auch zurück in ihr Heimatland bekommen muss. Deswegen muss diese Einstufung immer Hand in Hand gehen mit entsprechenden Migrationsabkommen. Wenn hier die Verhandlungen mit weiteren Staaten weiter gedeihen, kann mir sehr gut vorstellen, dass auch auf politischer Ebene ersichtlich wird, die Einstufung guten Gewissens machen zu können.

Frage: In der Koalition gab es zuletzt Gerangel um eine Bundesregelung zur Einführung digitaler Bezahlkarten, die Asylbewerber statt Bargeld erhalten sollen. Diese Regelung soll jetzt kommen. Befürchtungen, dass mit solchen Karten die Integration der Betroffenen erschwert wird, teilen Sie nicht?

Jurisch: Das ist ja wie eine Kreditkarte, und heute kann man im Alltag bei fast allem mit so einer Karte bezahlen. Ich sehe da nicht das große Problem. Bei mir im Landkreis Konstanz ist die Ausländerbehörde sehr dankbar, wenn die Bezahlkarte eingeführt wird. Das spart Verwaltungsaufwand und Geld, und es gibt ja auch ein Sicherheitsrisiko, wenn mit viel Bargeld hantiert wird.

Frage: Derzeit wird diskutiert, Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten. Was halten Sie davon?

Jurisch: Ich halte das für wenig sinnvoll. Zum einen wäre es mit sehr viel Verwaltungsaufwand verbunden; man muss dabei auch bei vielem stark anleiten und kontrollieren. Zudem können die Leute schon nach jetziger Gesetzeslage zu kleineren Arbeiten herangezogen werden. Viel wichtiger wäre, Arbeitserlaubnisse pauschaler zu erteilen. Derzeit wird eine Arbeitserlaubnis nur für eine bestimmte Stelle erteilt, und das oft erst nach Wochen und Monaten – dann ist die Stelle meist schon weg. Ich verstehe nicht, warum die Arbeitserlaubnis nicht auch pauschal für eine Branche erteilt werden kann, etwa für die Gastronomie. Dadurch würde es bürokratieärmer und schneller gehen und die Leute könnten auch schneller arbeiten.

Frage: Kritiker sehen in der Bezahlkarte oder einer Arbeitspflicht vor allem Maßnahmen, Migranten von einem Aufenthalt in Deutschland abzuschrecken. Bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts hat die Koalition den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft deutlich erleichtert. Ist das kein Pull-Faktor?

Jurisch: Hier muss ich Ihre Aussage korrigieren, dass es erleichtert worden sei. Tatsächlich sind die Voraussetzungen erschwert worden: Um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten, muss man seinen Lebensunterhalt selbst voll sichern können und darf auch nicht rassistisch, antisemitisch unterwegs sein. Im Kern ist es also schwieriger geworden; nur kann es jetzt schneller gehen als vorher. Und das Thema Staatsangehörigkeit zielt vor allem auf Erwerbseinwanderung: Wir wollen Menschen, die bei uns einwandern, um zu arbeiten, eine klare und attraktive Perspektive bieten, dass sie sich auf Dauer bei uns niederlassen.

Frage: Stichwort Arbeitsmigration: Laut Bundesregierung waren im Juni 2023 in Deutschland gut 24.000 Inder mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt als ein Jahr zuvor. Wirkt da schon das Ende 2022 geschlossene Migrationsabkommen mit Indien?

Jurisch: Das weiß ich nicht, das hoffe ich. Es zeigt aber vor allem, dass das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz schon greift. Da gibt es auch Grund, darauf stolz zu sein.

Frage: Ist Deutschland damit nun auf einem guten Weg in diesem Bereich? Jurisch: Als Abgeordnete, die Berichterstatterin für das Thema ist, ist es mir persönlich wichtig, dass das auch in der Umsetzung, in der Praxis gut ankommt. Ich erkundige mich jetzt sehr viel bei Unternehmen, ob das funktioniert, und sammele Schwachstellen in den Verfahren, um die dann zurückzumelden. Es ist wirklich wichtig, dass die Fachkräfteeinwanderung nicht an zu langsamen oder zu umständlichen Verfahren scheitert. Da sind wir auch als Abgeordnete gefordert, die Exekutive auf Trab zu halten.

(c) Deutscher Bundestag, 15.03.2024

Cookie Consent mit Real Cookie Banner