Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen die strafgerichtliche Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung richtet.

Die Kammer hat festgestellt, dass das angegriffene Urteil des Landgerichts und die ebenfalls angegriffene Verwerfung der Revision durch den Bundesgerichtshof das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verletzten. Die den Entscheidungen zugrundeliegenden Feststellungen zu einem Vermögensnachteil und infolgedessen die Bewertung des festgestellten Sachverhalts entsprechen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot. Insbesondere fehlt es an der ausreichenden Beschreibung und Bezifferung von Vermögensschäden.

Die Kammer hat die Revisionsentscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

Sachverhalt:

Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer unter anderem wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe.

Den Feststellungen des Landgerichts zufolge hatten der Mitangeklagte R. und der Geschädigte vereinbart, gemeinsam ein neues Tattoostudio zu eröffnen und zu betreiben, wofür sie am Tatort Räume angemietet hatten. Noch vor der Eröffnung des Tattoostudios wurde der Mitangeklagte R. festgenommen, weshalb der Geschädigte das Tattoostudio von Beginn an faktisch alleine betrieb. Nachdem der Mitangeklagte R. den Geschädigten aufgefordert hatte, sich aus dem Tattoostudio zurückzuziehen, erklärte dieser, er sei zwar zur Aufgabe seiner Geschäftsanteile bereit, wolle jedoch den Namen und das Logo des Tattoostudios für sich behalten; die Abgabe seiner Anteile am Tattoostudio könne er sich erst nach Klärung der Streitfrage vorstellen, wer künftig das Logo und den Namen verwenden dürfe. Daraufhin bestimmte der Mitangeklagte R. den Beschwerdeführer und weitere Mitangeklagte dazu, das Tattoostudio aufzusuchen, um den Geschädigten unter Anwendung körperlicher Gewalt dazu zu zwingen, eine Erklärung zu unterzeichnen, wonach dieser seine Beteiligung am Tattoostudio an den Mitangeklagten R. bedingungslos abtrete. Der Beschwerdeführer, weitere Mitangeklagte sowie weitere unbekannt gebliebene Personen begaben sich in das Tattoostudio, wo sie den Geschädigten unter Einsatz von Schlagwerkzeugen und Studioinventar mit Schlägen und Tritten traktierten und aufforderten, eine Erklärung zu unterschreiben, wonach der Geschädigte sämtliche Rechte an dem Tattoostudio an den Mitangeklagten R. abgebe. Wie von dem Beschwerdeführer beabsichtigt, unterschrieb der blutende Geschädigte die Erklärung unter dem Eindruck der Überlegenheit der Angreifer und der von ihnen zuvor angewendeten Gewalt.

Die gegen das Urteil des Landgerichts eingelegte Revision des Beschwerdeführers, mit der er unter anderem geltend machte, dass Feststellungen zum vermeintlichen Vermögensschaden gänzlich fehlten, insbesondere ein solcher nicht im Ansatz beziffert worden sei, verwarf der Bundesgerichtshof ohne nähere Begründung.

Gegen diese Entscheidungen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde. Er rügt die Verletzung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots gemäß Art. 103 Abs. 2 GG.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

I. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Die den angegriffenen Entscheidungen zugrundeliegenden Feststellungen zu einem – von dem Beschwerdeführer zumindest für möglich gehaltenen und billigend in Kauf genommenen – Vermögensnachteil des Geschädigten und infolgedessen die Bewertung des festgestellten Sachverhalts entsprechen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. So läge eine versuchte räuberische Erpressung nur vor, wenn der Tatentschluss des Beschwerdeführers darauf gerichtet gewesen wäre, dem durch die gegenständlichen strafrechtlichen Normen geschützten Vermögen des Geschädigten einen Nachteil zuzufügen. Feststellungen hierzu fehlen.

1. Soweit der Geschädigte genötigt werden sollte, den Betrieb des Tattoostudios aufzugeben und einer Übertragung des Betriebs auf den Mitangeklagten R. zuzustimmen, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, dass dadurch der wirtschaftliche Gesamtwert des Vermögens des Geschädigten – nach dem für die Versuchsstrafbarkeit maßgeblichen Vorstellungsbild des Beschwerdeführers – gemindert worden wäre.

Ob das Besitzrecht des Geschädigten an den Räumlichkeiten nach dem Vorstellungsbild des Beschwerdeführers als Vermögensgegenstand angesehen werden und ein Verlust des Besitzrechts zu einer Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts führen konnte, ist den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen. Soweit der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme im Revisionsverfahren darauf hinweist, dass der Mitangeklagte R. bei einer Auseinandersetzung der Gesellschaft nach den zivilrechtlichen Regelungen nicht ohne Weiteres berechtigt gewesen wäre, das Tattoostudio an Ort und Stelle unter der bisherigen Bezeichnung und dem bisherigen Logo weiterzubetreiben, gibt dies keinen weiteren Aufschluss. Konkrete Feststellungen zur Werthaltigkeit von Logo und Name des Tattoostudios sowie zu den für die Versuchsstrafbarkeit maßgeblichen Vorstellungen des Beschwerdeführers hierzu sind nicht getroffen. Ob für den Namen oder das Logo etwa eine Marke in das Register des Deutschen Patent- und Markenamts nach § 4 Nr. 1 Markengesetz eingetragen wurde oder es aus sonstigen Gründen Markenschutz genießt und welche Vorstellungen der Beschwerdeführer in Bezug auf das Bestehen eines etwaigen Markenschutzes hatte, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden.

2. Auch hinreichende Feststellungen zum Vorstellungsbild des Beschwerdeführers bezüglich etwaiger Erwerbs- und Gewinnaussichten, die nur ausnahmsweise als Vermögensbestandteil angesehen werden könnten, hat das Landgericht nicht getroffen.

Erwerbs- und Gewinnaussichten können nur ausnahmsweise Vermögensbestandteil sein, wenn sie so verdichtet sind, dass ihnen der Rechtsverkehr bereits einen wirtschaftlichen Wert beimisst, weil sie mit einiger Wahrscheinlichkeit einen Vermögenszuwachs erwarten lassen. Ob und in welchem Umfang – zumal nach dem hier nicht näher beschriebenen Vorstellungsbild des Beschwerdeführers – auch künftig Einnahmen des Geschädigten aus dem Betrieb des Tattoostudios zu erwarten gewesen wären, bleibt nach den Feststellungen des Landgerichts offen. Eine ausreichende Beschreibung und Bezifferung eines von dem Beschwerdeführer zumindest für möglich gehaltenen und billigend in Kauf genommenen Vermögensschadens liegt nicht vor.

3. Schließlich ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen auch unter dem Gesichtspunkt des Entzuges bereits getätigter Investitionen ein von dem Beschwerdeführer zumindest für möglich gehaltener und billigend in Kauf genommener Vermögensschaden nicht zu erkennen. Zwar hat das Landgericht – entgegen der ebenfalls wiedergegebenen Aussage des Mitangeklagten R., wonach dieser den überwiegenden Teil der Kosten zur Einrichtung des Tattoostudios übernommen habe – festgestellt, dass der Geschädigte bis auf die Kosten des Umbaus der Räumlichkeiten, für die der Mitangeklagte R. aufkam, die Investitionen zur Einrichtung des Tattoostudios selbst übernommen hatte. Feststellungen zum Umfang der von dem Beschwerdeführer für möglich gehaltenen Investitionen des Geschädigten fehlen aber ebenso wie zur Frage, ob die abgenötigte Übergabe des Betriebs des Tattoostudios an den Mitangeklagten R. aus der maßgeblichen Sicht des Beschwerdeführers auch die entschädigungslose Abtretung von (werthaltigen) Rechten des Geschädigten an der Einrichtung des Tattoostudios umfasst hätte.

II. Der angegriffene Beschluss des Bundesgerichtshofs ist deshalb, soweit er den Beschwerdeführer betrifft, aufzuheben und die Sache an den Bundesgerichtshof zurückzuverweisen. Eine Aufhebung des Urteils des Landgerichts durch das Bundesverfassungsgericht ist indes nicht angezeigt. Zwar verletzt auch dieses Urteil den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 2 GG. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist im weiteren Verlauf des Verfahrens sicherzustellen, dass eine Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Erpressungsdelikts ohne die dafür auch aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlichen Feststellungen zum Vermögensnachteil beziehungsweise zum diesbezüglichen Tatentschluss unterbleibt. Hierfür ist es möglicherweise aber nicht erforderlich, das Urteil des Landgerichts, soweit es den Beschwerdeführer betrifft, vollumfänglich, also auch mit allen Feststellungen, aufzuheben. Vielmehr ist zu prüfen, ob das Strafprozessrecht den Weg einer den festgestellten Verfassungsverstoß zwar vollständig beseitigenden, insbesondere in Bezug auf die getroffenen Feststellungen aber nur beschränkten Aufhebung des Urteils des Landgerichts eröffnet. Unter diesen Umständen ist es – ausnahmsweise – gerechtfertigt, allein die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs aufzuheben und die Sache an diesen zurückzuverweisen, damit dieser im Rahmen der neuen Revisionsentscheidung den Umfang der Aufhebung des landgerichtlichen Urteils näher bestimmen kann, der aus strafprozessrechtlicher Sicht notwendig ist, um den festgestellten Verfassungsverstoß zu beheben.

Beschluss vom 9. April 2025 – 2 BvR 1974/22

Bundesverfassungsgericht, 14.05.2025

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