Der 1. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 11. Mai 2023 in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung.
1) 10.00 Uhr
B 1 KR 10/22 R
K. K. V. GmbH ./. AOK Rheinland-Pfalz/Saarland
Verfahrensgang:
Sozialgericht Koblenz, S 1 KR 101/21, 23.09.2021
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 5 KR 212/21, 07.04.2022
Die Revision der Krankenkasse hatte keinen Erfolg. Das Krankenhaus durfte die beiden Behandlungsfälle getrennt abrechnen. Die Voraussetzungen einer Fallzusammenführung nach der Fallpauschalenvereinbarung 2019 lagen nicht vor. Einer Kürzung der Vergütung unter Zugrundelegung der vom Senat hierzu aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot entwickelten Grundsätze des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens steht seit dem 1. Januar 2019 § 8 Absatz 5 Satz 3 Krankenhausentgeltgesetz entgegen. Die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Zusammenhang mit Entlassungen und Wiederaufnahmen in dasselbe Krankenhaus ist seither abschließend den Vertragsparteien der Fallpauschalenvereinbarung zugewiesen. Diesen steht ein weiter Gestaltungsspielraum zu, bei dem sie die Grundsätze des Wirtschaftlichkeitsgebots beachten müssen (§ 17b Absatz 2 Satz 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz). Sie dürfen dabei auch aus Gründen der Vereinfachung und Praktikabilität Verallgemeinerungen in Form von Generalisierungen, Pauschalierungen oder Standardisierungen vornehmen. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum auszufüllen.
Im vorliegenden Fall haben die Parteien der Fallpauschalenvereinbarung 2019 Ausnahmen vorgesehen, die hier einer Fallzusammenführung entgegenstehen. Unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums der Vertragsparteien begegnet dies keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass die Wirtschaftlichkeit einer Entlassung und Wiederaufnahme im Einzelfall nicht zu überprüfen ist, gilt für Missbrauchsfälle. Ein solcher liegt vor, wenn für die Entlassung im konkreten Einzelfall überhaupt kein nachvollziehbarer sachlicher Grund ersichtlich ist und diese offensichtlich allein dazu dient, eine weitere Fallpauschale zu generieren. Ein solcher Missbrauchsfall lag nach den vom Landessozialgericht getroffenen Feststellungen hier nicht vor.
Der Senat hat im Verfahren B 1 KR 14/22 R über die Wirksamkeit von Aufrechnungen nach einem Landesvertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 SGB V entschieden. In den übrigen Verfahren haben die Krankenkassen die Revision zurückgenommen (B 1 KR 32/21 R, B 1 KR 5/22 R, B 1 KR 38/22 R, B 1 KR 42/22 R).
2) 11.00 Uhr
B 1 KR 32/21 R
A. K. H. GmbH ./. VIACTIV BKK
Verfahrensgang:
Sozialgericht Hamburg, S 21 KR 1590/19, 23.11.2020
Landessozialgericht Hamburg, L 1 KR 2/21, 24.06.2021
Die beklagte Krankenkasse hat die Revision nach Verkündung der Entscheidung im Parallelverfahren B 1 KR 14/22 R zurückgenommen.
3) 11.00 Uhr
B 1 KR 5/22 R
E. K. S. GmbH ./. Bosch BKK
Verfahrensgang:
Sozialgericht Meiningen, S 22 KR 381/17, 27.04.2018
Thüringer Landessozialgericht, L 2 KR 1354/18, 19.08.2021
Die beklagte Krankenkasse hat die Revision nach Verkündung der Entscheidung im Parallelverfahren B 1 KR 14/22 R zurückgenommen.
4) 11.00 Uhr
B 1 KR 14/22 R
S. K. D. GmbH ./. VIACTIV BKK
Verfahrensgang:
Sozialgericht Duisburg, S 59 KR 1987/19- 24.08.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 11 KR 637/20, 22.12.2021
Die Revision der Krankenkasse hatte keinen Erfolg. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses ist nicht durch Aufrechnung mit einer Erstattungsforderung der Krankenkasse erloschen. Dem stand gemäß dem nordrhein-westfälischen Landesvertrag eine Aufrechnungsbeschränkung entgegen.
Die Vereinbarung in dem nordrhein-westfälischen Landesvertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung, welche die Aufrechnung gegen Vergütungsforderungen des Krankenhauses verbietet, war im Jahr 2015 außerhalb des Anwendungsbereichs der Prüfverfahrensvereinbarung mit höherrangigem Recht vereinbar. Rechtsgrundlage hierfür ist § 112 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 Nummer 1b SGB V. Die Vorschrift ermächtigt die Vertragspartner unter anderem, die Abrechnung der Entgelte zu regeln, was die Vereinbarung eines Aufrechnungsverbots einschließt. § 9 Prüfverfahrensvereinbarung 2014, der eine vorrangige Aufrechnungsbefugnis enthält, war vorliegend nicht anwendbar, da die Prüfung nicht in den Anwendungsbereich der Prüfverfahrensvereinbarung 2014 fiel. Gegenstand war allein eine sachlich-rechnerische Prüfung.
Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Absatz 1 Satz 1 SGB V) sowie die Verpflichtung der Krankenkasse, Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben (§ 76 Absatz 1 SGB IV), stehen der Wirksamkeit des landesvertraglichen Aufrechnungsverbots nicht entgegen, da die anderweitige
Durchsetzung der Ansprüche hierdurch nicht verhindert wird. Allerdings kann bei einer wirtschaftlichen Krise des Krankenhausträgers oder seiner Insolvenz eine Aufrechnung die Liquidierung von Gegenansprüchen der Krankenkassen erleichtern und sichern. Das Aufrechnungsverbot ist jedoch vor dem Hintergrund der Vorleistungspflicht des Krankenhauses zu betrachten. Es bietet den Vertragsparteien die Möglichkeit, das kompensatorische Beschleunigungsgebot zu stärken. Die Verständigung der Vertragsparteien auf ein Aufrechnungsverbot ist unter Abwägung der sich aus § 71 Absatz 1 Satz 1 SGB V und § 76 Absatz 1 SGB IV ergebenden gewichtigen Interessen der Krankenkassen zwar nicht rechtlich geboten, aber ebenso wenig rechtlich zu beanstanden. Der Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 4 Absatz 4 SGB V) bezieht sich nur auf die Betriebs- und Haushaltsführung der Krankenkassen. Ebenfalls steht das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 2 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4, 12 Absatz 1, 70 Absatz 1 Satz 2 SGB V) der Vereinbarung von Aufrechnungsverboten nicht entgegen, da Ansprüche der Krankenkassen dadurch weder aufgegeben werden noch deren Durchsetzung vereitelt wird. Eine Einschränkung des Gestaltungsspielraums ergibt sich schließlich nicht aus der entsprechenden Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften (§ 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 134, 138, 242 BGB).
Auch stellt es grundsätzlich keine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich das Krankenhaus auf das vertragliche Aufrechnungsverbot beruft, selbst wenn die Gegenforderung der Krankenkasse vom Krankenhaus nicht bestritten wird.
5) 11.00 Uhr
B 1 KR 38/22 R
E. K. N. gGmbH ./. VIACTIV BKK
Verfahrensgang:
Sozialgericht Duisburg, S 27 KR 2760/18, 17.11.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 5 KR 903/20, 27.10.2022
Die beklagte Krankenkasse hat die Revision nach Verkündung der Entscheidung im Parallelverfahren B 1 KR 14/22 R zurückgenommen.
6) 11.00 Uhr
B 1 KR 42/22 R
D. K. GmbH ./. BKK Verkehrsbau Union
Verfahrensgang:
Sozialgericht Dortmund, S 40 KR 5127/18, 16.10.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 5 KR 752/20, 15.11.2022
Die beklagte Krankenkasse hat die Revision nach Verkündung der Entscheidung im Parallelverfahren B 1 KR 14/22 R zurückgenommen.