Der Bundesrat hat am 15. Dezember 2023 einen Bundestagsbeschluss zur digitalen Dokumentation von Strafprozessen zur grundlegenden Überarbeitung in den Vermittlungsausschuss überwiesen.

Heftige Kritik aus der Praxis

Er äußert erhebliche grundlegende und tiefgreifende fachliche Bedenken – insbesondere zur Gefahr für die Wahrheitsfindung und Beeinträchtigung des Opferschutzes, aber auch zu Verfahrensverzögerungen und zum Verhältnis von personellem, technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwand und Mehrwert. Die Länder verweisen auf teils heftige und einhellig ablehnende Kritik aus der justiziellen Praxis.

Kein Bedarf für Änderungen

Die bisher praktizierte Dokumentation habe sich bewährt. Ein nachvollziehbarer Bedarf und eine fachliche Notwendigkeit für eine digitale Dokumentation sei weder erkennbar noch im Gesetz dargelegt, bemängelt der Bundesrat in seinem Anrufungsbeschluss.

Was der Bundestag beschlossen hat

Der Bundestagsbeschluss will Landgerichte und Oberlandesgerichte verpflichten, erstinstanzliche Hauptverhandlung künftig standardmäßig per Ton aufzuzeichnen. Daraus würde sich dann automatisiert ein elektronisches Transkript generieren.

Bildaufzeichnung optional

Eine zusätzliche Bildaufzeichnung könnten die Länder durch Rechtsverordnung teilweise oder flächendeckend einführen.

Ausnahmen zum Opferschutz

Unter bestimmten Bedingungen soll das Gericht von einer Aufzeichnung und deren Transkription absehen können – so zum Beispiel bei Aussagen von minderjährigen Zeugen und Opfern von Sexualstraftaten; ebenso, wenn eine Gefährdung der Staatssicherheit oder des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person zu befürchten ist.

Bisher kein Inhaltsprotokoll

Bisher hält das Gerichtsprotokoll bei erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten nur die wesentlichen Förmlichkeiten fest, um deren Beachtung in der Revisionsinstanz überprüfen zu können. Eine inhaltliche Protokollierung findet nicht statt.

Bundesweite Einführung zum 1. Januar 2030 geplant

Die bundesweite Pflicht für die Tondokumentation an Land- und Oberlandesgerichten soll nach dem Bundestagsbeschluss allerdings erst ab dem Jahr 2030 gelten. In der Zwischenzeit könnten die Länder per Rechtsverordnung einen früheren Zeitpunkt für die Einführung der Inhaltsdokumentation in ihrem Bereich bestimmen oder diese zunächst auf einzelne Gerichte oder Spruchkörper begrenzen.


Ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz zum verstärkten Einsatz von Videokonferenztechnik in Zivil-, Verwaltungs-, Arbeits-, Finanz- und Sozialgerichten soll ebenfalls im Vermittlungsausschuss überarbeitet werden. Dies hat der Bundesrat am 15. Dezember 2023 beschlossen.

Grundlegende Bedenken der Länder

Zwar unterstützen die Länder das Ziel, die Durchführung mündlicher Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung zu erleichtern. Sie äußern jedoch grundlegende Bedenken gegen die einzelnen Vorgaben des Gesetzes, die den Kern des richterlichen Selbstverständnisses berührten und die Verfahrensleitung der Vorsitzenden unangemessen einschränkten.

Entscheidungsspielraum des Gerichts

Die mündliche Verhandlung als Herzstück eines jeden Gerichtsprozesses sei von herausragender Bedeutung für die Wahrheitsfindung, betont der Bundesrat. Die Vorsitzenden müssten daher nach eigenem Ermessen entscheiden können, ob sie Videokonferenz einsetzen wollen. Dies stehe nicht in der Dispositionsbefugnis der Parteien. Der Bundesrat kritisiert zudem die vorgesehene Begründungspflicht, wenn ein Gericht den Einsatz von Videotechnik ablehnt.

Warnung vor Missbrauch rein virtueller Verhandlungen

Auch die Erprobung rein virtueller Verhandlungen, bei denen auch das Gericht per Video zugeschaltet ist, lehnen die Länder ab. Sie fordern, am Grundsatz der Saalöffentlichkeit festzuhalten. Sonst sei weder sicher festzustellen, wer an einer Verhandlung teilnimmt, noch seien wirksame sitzungspolizeiliche Maßnahmen möglich.

Der Bundesrat warnt davor, dass Video-Verhandlungen abgefilmt und weiterverarbeitet oder veröffentlicht würden, um Äußerungen aus dem Zusammenhang zu reißen und zu missbräuchlichen Zwecken zu verwenden. Wenn die Beteiligten und das Gericht befürchten müssen, dass ihre Äußerungen im Internet für eine unbeschränkte Personenanzahl und einen unbegrenzten Zeitraum verfälscht dargestellt würden, bestehe die Gefahr, dass sich Verfahrensbeteiligte nicht mehr unbefangen verhielten.

Zu wenig Zeit

Auch das vorgesehene rasche Inkrafttreten ohne Übergangszeit stößt auf Kritik der Länder – insbesondere wegen der großen technischen und personellen Aufwände für den Einsatz von Videotechnik.

Was der Bundestagsbeschluss vorsieht

Nach dem Bundestagsbeschluss soll Videokonferenztechnik sowohl bei der mündlichen Verhandlung als auch in weiteren gerichtlichen Terminen – zum Beispiel der Urteilsverkündung – die physische Präsenz an einem bestimmten Ort künftig entbehrlich machen und die vorläufige Protokollaufzeichnung unterstützen.

Die mündliche Verhandlung soll in geeigneten Fällen per Video stattfinden können. Beantragt ein Verfahrensbeteiligter die Teilnahme per Bild- und Tonübertragung, soll der Vorsitzende diese anordnen. Die Ablehnung eines solchen Antrags müsste das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls begründen.

Optional: Sitzungsleitung aus dem Home Office

Der Bundestagsbeschluss sieht für die Länder die Möglichkeit vor, sogenannte vollvirtuelle Videoverhandlungen in der Zivilgerichtsbarkeit zu erproben: Dabei würde sich auch die oder der Vorsitzende nicht mehr im Sitzungssaal aufhalten, sondern wäre zum Beispiel aus dem Home Office zugeschaltet. Die Verhandlung müsste dann zusätzlich in einen öffentlich zugänglichen Raum im Gericht übertragen werden, damit die Öffentlichkeit teilhaben könnte.

(c) Bundesrat, 15.12.2023

Cookie Consent mit Real Cookie Banner