Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Berliner Regelung zur verbindlichen Anschlusszusage für promovierte Wissenschaftler nach befristeter Qualifikationsbeschäftigung verfassungswidrig ist. Die Vorschrift verletzt die Wissenschaftsfreiheit und überschreitet die Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin, da das Arbeitsrecht insoweit dem Bund vorbehalten ist.

    Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass § 110 Abs. 6 Sätze 2 und 3 des Gesetzes über die Hochschulen im Land Berlin (Berliner Hochschulgesetz – BerlHG) mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar und nichtig ist.

    Die Beschwerdeführerin ist eine staatliche Hochschule des Landes Berlin. Sie wendet sich gegen die Verpflichtung der Hochschulen des Landes Berlin, allen befristet auf einer Qualifikationsstelle beschäftigten promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Abschluss des Arbeitsvertrages eine unbefristete Beschäftigung bei Erreichen des Qualifikationsziels zuzusagen (Anschlusszusage).

    Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg. § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG greift in das Grundrecht auf Freiheit der Wissenschaft gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein. Die Regelung ist mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes formell verfassungswidrig.

    Sachverhalt:

    Die angegriffene landesrechtliche Regelung des § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG verpflichtet die Hochschulen des Landes Berlin dazu, allen befristet auf einer Qualifikationsstelle beschäftigten promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Abschluss des Arbeitsvertrages eine unbefristete Beschäftigung bei Erreichen des Qualifikationsziels zuzusagen. Die Regelung findet auf Einstellungen von promovierten wissenschaftlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Anwendung, die ab 1. Januar 2026 erfolgen.

    Demgegenüber können nach dem bundesgesetzlichen Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) die Hochschulen die Arbeitsverträge des zur Qualifizierung eingestellten wissenschaftlichen Personals mit einer Promotion befristen, ohne dass die Befristung Verpflichtungen der Hochschulen gegenüber diesem wissenschaftlichen Personal auslöst.

    Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Wissenschaftsfreiheit.

    Wesentliche Erwägungen des Senats:

    Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.

    1. § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG greift in das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf Freiheit der Wissenschaft gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein. Dieses schützt als Abwehrrecht die freie wissenschaftliche Betätigung gegen staatliche Eingriffe. Dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit unterfallen auch Personalentscheidungen in Angelegenheiten der für den Prozess der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse verantwortlichen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer und ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Aufgabe der Hochschulen, den akademischen Nachwuchs zu fördern.

    Die angegriffene Regelung nimmt den Hochschulen die Möglichkeit, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob und welche promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter sie nach erfolgreichem Abschluss der Qualifikationsphase weiter beschäftigen. Dies verkürzt unmittelbar die Freiheit der Hochschulen zur Auswahl des wissenschaftlichen Personals mit nachteiligen Folgen etwa für die Förderung des akademischen Nachwuchses, welche die Möglichkeit zur generellen Befristung der Beschäftigungsverhältnisse des wissenschaftlichen Personals auf Qualifikationsstellen erfordert.

    2. Der Eingriff in das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG ist formell verfassungswidrig. Die Regelung ist nicht von einer Gesetzgebungskompetenz des Landes gedeckt.

    a) Die angegriffene Regelung ist dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG für den Sachbereich „Arbeitsrecht“ zuzuordnen, der Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung ist. Dieser Kompetenztitel begründet eine umfassende Gesetzgebungskompetenz für die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die sich jedenfalls insoweit auch auf die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst Beschäftigten erstreckt, als es um Bestimmungen über die Dauer und Beendigung von Arbeitsverhältnissen geht.

    Die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG bedarf der Abgrenzung von den anderweitigen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder für die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst Beschäftigten. Welcher Gehalt dem Recht des öffentlichen Dienstes danach in Abgrenzung zum Arbeitsrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zukommt, ist verfassungsgerichtlich bisher nur punktuell geklärt. Zu einer abschließenden Klärung besteht auch hier kein Anlass. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in einem Fall, in dem es um die Anwendung einer ausschließlich die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes betreffenden Regelung des Kündigungsschutzes ging, entschieden, dass sich der Bundesgesetzgeber hierfür auf seine Kompetenz für das Arbeitsrecht berufen kann. Danach unterfällt auch die hier in Rede stehende Pflicht der Hochschulen, den befristet eingestellten promovierten wissenschaftlichen Mitarbeitern den Abschluss eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses bei erfolgreicher Qualifizierung zuzusichern, dem Arbeitsrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Diese Regelung trifft ebenso wie die Vorschriften zum Kündigungsschutz Bestimmungen über die Dauer und Beendigung von Arbeitsverhältnissen.

    b) Das Land Berlin kann sich insoweit nicht auf eine Gesetzgebungsbefugnis berufen, weil der Bundesgesetzgeber seine Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht genutzt hat und im WissZeitVG abschließende Bestimmungen zur Dauer und Beendigung der Arbeitsverhältnisse der zur Qualifizierung eingestellten wissenschaftlichen Mitarbeiter mit einer Promotion getroffen hat. Damit steht die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG einer landesgesetzlichen Regelung dieses Bereichs, wie sie hier durch § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG erfolgt ist, entgegen. Dass die bundesrechtlichen Befristungsregelungen abschließend sind, ergibt sich aus Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Regelungszweck. Nicht zuletzt ist von einer Sperrwirkung auszugehen, weil den Gesetzgebungsmaterialien zu entnehmen ist, dass der Bundesgesetzgeber bewusst darauf verzichtet hat, mit dem angegriffenen Landesrecht vergleichbare Regelungen zu treffen.

    Bundesverfassungsgericht, 10.07.2025

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