Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Kammer für beschleunigte Baurechtsverfahren) hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden, dass die Klagen der Antragsteller gegen eine Baugenehmigung für eine befristete Umnutzung eines bisherigen Altenwohn- und Pflegeheims in eine Flüchtlingsunterkunft keine aufschiebende Wirkung haben und die entsprechenden Eilanträge mit Beschluss vom 20.10.2023 abgelehnt (Az. 6 K 4851/23). Damit darf die genehmigte Nutzung trotz der anhängigen Klage gegen die Baugenehmigung einstweilen erfolgen. 

Der bisherige Betrieb des Alten- und Pflegeheims in Stuttgart, Stadtteil Schönberg/ Stadtbezirk Birkach, wurde im Jahr 2019 eingestellt; der Eigentümer will ab dem Jahr 2026 dort ein neues Pflegeheim errichten. Im März 2023 beantragte die Landeshauptstadt Stuttgart die Erteilung einer Baugenehmigung für die Umnutzung des Altenheims in eine Flüchtlingsunterkunft mit 101 Plätzen für den Zeitraum von drei Jahren. Mit Bescheid vom 07.08.2023 erteilte das zuständige Regierungspräsidium Stuttgart die beantragte Baugenehmigung befristet bis zum 07.08.2026 unter Gewährung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der festgesetzten Art der baulichen Nutzung und unter Zurückweisung der Einwendungen der Antragsteller. Das Grundstück des bisherigen Alten- und Pflegeheims liegt – anders als jene der Antragsteller – im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Röhrlingweg II“ der Landeshauptstadt Stuttgart vom 08.02.1979. Er setzt für dieses Grundstück als Art der baulichen Nutzung eine Gemeinbedarfsfläche „Altenwohn- und Pflegeheim mit Altentagesstätte“ fest. 

Dagegen haben Anwohner am 24.08.2023 Klagen erhoben und zugleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (Eilantrag) beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen. Zur Begründung ihrer Eilanträge machen sie im Wesentlichen geltend, durch die Erteilung der Baugenehmigung an die Landeshauptstadt Stuttgart seien sie in eigenen Rechten verletzt. Die Festsetzung der Gemeinbedarfsfläche für ein „Altenwohn- und Pflegeheim mit Altentagesstätte“ im Bebauungsplan „Röhrlingweg II“ schütze auch sie als Anwohner. Zudem sei das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Das Regierungspräsidium Stuttgart gehe fälschlich davon aus, die künftige Nutzung werde sich in ähnlicher Weise wie die bisherige Nutzung auf die Nachbarschaft auswirken. Größere Flüchtlingsunterkünfte brächten ein erhebliches Konfliktpotential mit sich, welches aus der Unterbringung der meist schwer traumatisierten Flüchtlinge resultiere. Im Übrigen seien die brandschutzrechtlichen Vorschriften in der Baugenehmigung nur unzureichend umgesetzt. 

Wesentliche Erwägungen der Kammer: 

Ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutzes gegenüber einer genehmigten Nutzungsänderung ist nur dann erfolgreich, wenn die behaupteten Beeinträchtigungen erkennbar und erheblich über das Maß dessen hinausgehen, was ein Nachbar letztlich hinzunehmen hat. Das ist hier voraussichtlich nicht der Fall. Zwar dürften die Antragsteller mit ihrer Einschätzung Recht haben, dass sich der Charakter ihres Wohnumfeldes (befristet) verändern wird. Das öffentliche Baunachbarrecht schützt den Eigentümer aber nicht vor jeder „Charakterveränderung“ der Umgebung seines Grundstücks oder Gebäudes. Mit dem Erwerb eines Grundstücks oder Wohnungseigentums erwirbt man dessen Umgebung nicht gleichsam mit und hat daher auch keinen Regelanspruch auf deren unveränderten Fortbestand. Zu Unrecht berufen sich die Antragsteller auf eine Verletzung ihres Gebietserhaltungsanspruchs durch erteilte Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans, weil ihre Grundstücke nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans liegen und der Bebauungsplan eine Gemeinbedarfsfläche festsetzt und kein Baugebiet, das dem Schutz der Antragsteller dient. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liegt nicht vor, da nur das die ordnungsgemäße Nutzung des Vorhabens genehmigt wird. Eine Verletzung nachbarschützender Brandschutzvorschriften lässt sich nicht hinreichend erkennen.

(c) VG Stuttgart, 24.10.2023

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