
Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Oldenburg hat mit Beschluss vom 21. Mai 2025 (Az. 1 B 2570/25) einem vorläufigen Rechtsschutzantrag der One-Dyas B.V. stattgegeben.
Hintergrund des Rechtsstreits ist die geplante Verlegung eines zur Stromversorgung vorgesehenen Seekabels vom Offshore-Windpark „Riffgat“ vor Borkum zu der von der One-Dyas B.V. betriebenen Gasförderplattform „N05-A“ im niederländischen Hoheitsgewässer.
Gegen eine auf die §§ 57, 83 NWG gestützte wasserrechtliche Genehmigung des Seekabels vom 21. Oktober 2022 (nach einem Widerspruchsverfahren in der Fassung vom 19. Juli 2024), die der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) erteilt und für sofort vollziehbar erklärt hatte, erhob zunächst die Deutsche Umwelthilfe (DUH) im Juli 2024 nach Erlass des Widerspruchsbescheides Klage und suchte um vorläufigen Rechtsschutz nach. Ziel des Eilverfahrens war die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer gegen die Genehmigung gerichteten Klage. Zudem legte die DUH Rechtsbehelfe gegen zwei naturschutzrechtliche Befreiungen ein, die aufgrund der Trassenführung des Kabels durch zwei gesetzlich geschützte Biotope erforderlich geworden waren. Die Wirksamkeit der Befreiungen wurde seitens des NLWKN von der Vollziehbarkeit der wasserrechtlichen Genehmigung abhängig gemacht.
Nachdem die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Oldenburg dem vorläufigen Rechtsschutzantrag der DUH mit der Begründung stattgegeben hatte, die Anforderungen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nach den §§ 13 ff. BNatSchG, die im Rahmen des wasserrechtlichen Verfahrens zu prüfen sei, würden nichteingehalten (Beschluss vom 7. August 2024, Az. 5 B 2236/24), beantragte die One-Dyas B.V. am 27. August 2024 eine Änderungsgenehmigung, in der die gerichtlichen Ausführungen berücksichtigt werden sollten.
Der NLWKN hat daraufhin die Änderungsgenehmigung vom 31. März 2025 erteilt. In dieser ist zum Ausgleich des mit der Kabelverlegung eintretenden Eingriffs in Natur und Landschaft nunmehr statt einer Ersatzgeldzahlung eine Riffwiederherstellung als Realkompensation vorgesehen. Die neue Genehmigungerklärte der NLWKN allerdings nicht für sofort vollziehbar, mit der Begründung, dem stehe der gerichtliche Beschluss vom 7. August 2024 entgegen.
Um die sofortige Vollziehbarkeit der Änderungsgenehmigung zu erreichen, stellte nunmehr die One-Dyas B.V. einen gerichtlichen Antrag.
Auf diesen Antrag hat die nunmehr zuständige 1. Kammer den Beschluss der 5. Kammer vom 7. August 2024 (Az. 5 B 2236/24) geändert und den (ursprünglichen) Antrag der Beigeladenen auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Oktober 2022 in der geänderten Fassung vom 19. Juli 2024 jeweils in Gestalt desWiderspruchsbescheides vom 19. Juli 2024 abgelehnt. Die sofortige Vollziehung der Änderungsgenehmigung vom 31. März 2025 hat die 1. Kammer zusätzlich angeordnet.
Nach Auffassung der 1. Kammer liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 57, 83 NWG vor. Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 NWG bedürfen die Herstellung und die wesentliche Änderung von Anlagen nach § 36 WHG, auch von Aufschüttungen oder Abgrabungen in und an oberirdischen Gewässern, derGenehmigung der Wasserbehörde. Nach § 57 Abs. 2 Satz 1 NWG darf die Genehmigung nur versagt werden, soweit schädliche Gewässerveränderungen (im Sinne des § 3 Nr. 10 WHG) zu erwarten sind oder die Gewässerunterhaltung mehr erschwert wird, als es den Umständen nach unvermeidbar ist. § 83 NWG trifft besondere Regelungen zu Anlagen in Küstengewässern. Für sie gilt grundsätzlich § 57 NWG entsprechend mit der Maßgabe, dass die Genehmigung nur dann versagt oder mit Bedingungen oder Auflagen erteilt werden darf, wenn andernfalls durch die Anlage das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigt oder dieKüstenschutzwerke gefährdet würden.
Hierzu vertritt die 1. Kammer die Ansicht, dass das „Wohl der Allgemeinheit“ im Sinne des § 83 NWG im Kontext mit dem Schutzziel des Wasserrechts – durch eine nachhaltige Gewässerbewirtschaftung die Gewässer als Bestandteil des Naturhaushalts, als Lebensgrundlage des Menschen, als Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie als nutzbares Gut zu schützen (§ 1 WHG) – und § 3 Nr. 10 WHG zu lesen sei. Insoweit kämen als tragfähige Allgemeinwohlbelange, deren Gefährdung zu einer Versagung der wasserrechtlichen Genehmigung führen könne, auch naturschutzrechtliche Gesichtspunkte in Betracht,soweit sie beispielsweise die Funktionsfähigkeit des Gewässers als Lebensraum beträfen. Jedoch sei nicht jedes öffentliche Interesse – bzw. Belange, die nach anderen Gesetzen wie dem Bundesnaturschutzgesetz geschützt seien – geeignet, einen Gemeinwohlbelang im Sinne der wasserrechtlichen Genehmigungsvorschriften darzustellen. Der Begriff des Wohls der Allgemeinheit könne bei„außerwasserrechtlichen“ Belangen zudem nur solche erfassen, die nicht bereits in speziellen fachgesetzlichen Vorschriften abgeprüft worden seien.
Durchgreifende wasserrechtliche Bedenken bestünden gegen die Genehmigung nicht. Soweit dieBeteiligten die Frage der Prüfung der Auswirkungen des Projekts auf Natura-2000-Gebiete auf Grundlage der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (92/43/EWG) diskutierten (FFH-Verträglichkeitsprüfung), sei diese imwasserrechtlichen Verfahren nicht durchzuführen. Es sei insoweit kein taugliches Trägerverfahren im Sinne des § 26 NNatSchG. Ferner sei die Eingriffsregelung nach den §§ 13 ff. BNatSchG nicht im wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen. Für den hier wesentlichen „Eingriff in Natur und Landschaft“, der sich aus der Trassenführung durch gesetzlich geschützte Biotope nach § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BNatSchG – insbesondere den Biotoptyp „Steiniges Riff des Sublitorals“ und den FFH-Lebensraumtyp 1170 (FFH-LRT „Riffe“) – ergebe, müsse eine eigenständige naturschutzrechtliche Zulassung erteilt werden, nämlich eine Befreiung nach § 67 Abs. 1 BNatSchG. Das naturschutzrechtliche, die Befreiung nach § 67 BNatSchG betreffende Verfahren sei insoweit das Trägerverfahren für die weitere Prüfung derEingriffsregelung. Dass sich der durch das Vorhaben insgesamt entstehende „Eingriff“ zu einem überwiegenden Teil aus der Beeinträchtigung der Riffe ergebe, habe sich in den Änderungsverfahren herausgestellt.
Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Die DUH kann Beschwerde beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht einlegen.
VG Oldenburg, 22.05.2025