Das Gesetz über das Sondervermögen „Hessens gute Zukunft sichern“ vom 4. Juli 2020 (Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz) ist mit der Verfassung des Landes Hessen unvereinbar. Dies hat der Staatsgerichtshof des Landes Hessen mit seinem heute verkündeten Urteil entschieden und damit die Normenkontrollanträge der Antragsteller diesbezüglich als begründet erachtet. Es hat zudem einzelne Bestimmungen im Haushaltsgesetz 2020 in der Fassung des 2. Nachtragshaushaltsgesetzes vom 4. Juli 2020 für verfassungswidrig erklärt. Das von den 40 Mitgliedern des Hessischen Landtags ebenfalls angegriffene Zweite Gesetz zur Änderung des Artikel 141-Gesetzes vom 2. Juli 2020 (2. Änderungsgesetz zum Artikel 141-Gesetz) hat der Staatsgerichtshof hingegen als mit der Hessischen Verfassung vereinbar erachtet.
Bis zu einer Neuregelung, längstens bis zum 31. März 2022, gelten die mit der Verfassung des Landes Hessen für unvereinbar erklärten Vorschriften fort.

  1. Die Antragsteller rügten, das Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz verstoße gegen haushaltsverfassungsrechtliche Grundsätze, gegen das Budgetrecht des Landtags und gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Neuverschuldung. Die 40 Mitglieder des Hessischen Landtags waren zudem der Meinung, dass auch einzelne Bestimmungen des Haushaltsgesetzes 2020 in der Fassung des 2. Nachtragshaushaltsgesetzes, die überwiegend auf das Sondervermögen „Hessens gute Zukunft sichern“ Bezug nehmen oder mit ihm in einer engen Verbindung stehen, gegen die Hessische Verfassung verstießen. Sie griffen zudem das 2. Änderungsgesetz zum Artikel 141-Gesetz an, mit dem das Zweidrittelerfordernis für einen Landtagsbeschluss zur Ermächtigung von Kreditaufnahmen in Abweichung von der Schuldenbremse mit einfacher Mehrheit aufgehoben wurde, und machten diesbezüglich eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips geltend.
  2. Der Staatsgerichtshof erachtete das Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz als mit der Verfassung des Landes Hessen unvereinbar. Zum einen verstoße das Sondervermögen „Hessens gute Zukunft sichern“ gegen Grundsätze des Haushaltsverfassungsrechts und gegen das Budgetrecht des Landtags. Zum anderen widerspreche die Ermächtigung zur Kreditaufnahme dem Verbot der Neuverschuldung.

    a) Der Staatsgerichtshof erklärte, dass nicht jede Form von Sondervermögen verfassungsrechtlich unzulässig sei, obwohl der Begriff des Sondervermögens in der Hessischen Verfassung keine Erwähnung finde. Es komme stets auf die konkrete Ausgestaltung des Sondervermögens an.

    Das Sondervermögen „Hessens gute Zukunft sichern“ durchbreche die haushaltsverfassungsrechtlichen Grundsätze der Einheit und Vollständigkeit des Haushaltsplans, die in Art. 139 Abs. 2 Hessische Verfassung normiert sind. Dort heißt es:

    „Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und auf den Haushaltsplan gebracht werden“.

    Zudem verletze das Sondervermögen „Hessens gute Zukunft sichern“ das Budgetrecht des Landtags. Der Hessische Landtag besitze keine substantielle Möglichkeit, auf die konkrete Verwendung der durch das Sondervermögen bereitgestellten Mittel Einfluss zu nehmen. Das auch im Vergleich zum Gesamthaushalt des Landes Hessen außergewöhnliche Volumen des Sondervermögens „Hessens gute Zukunft sichern“ in Höhe von 12 Milliarden Euro, die Erstreckung der Kreditermächtigung über vier Haushaltsjahre und die unbestimmten Zwecksetzungen des Gesetzes führten in einer Gesamtschau zu einer Verlagerung von haushalterischen Kompetenzen auf die Exekutive, die mit dem Budgetrecht nicht mehr vereinbar sei.

    b) Das Sondervermögen „Hessens gute Zukunft sichern“ verstoße zudem gegen die sog. Schuldenbremse. Diese ist in Art. 141 Abs. 1 Hessische Verfassung normiert, der bestimmt, dass der Haushalt ungeachtet der Einnahmen- und Ausgabenverantwortung des Landtags und der Landesregierung grundsätzlich ohne Kredite auszugleichen ist. Art. 141 Abs. 4 Hessische Verfassung bestimmt die Ausnahme vom Neuverschuldungsverbot. Er lautet:

    „Bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, kann von Abs. 1 abgewichen werden.“

    Der Staatsgerichtshof stellte diesbezüglich fest, dass kreditfinanzierte Maßnahmen zur Krisenbewältigung geeignet, erforderlich und angemessen sein müssten. Zudem müssten sowohl die Kreditaufnahme als solche als auch die durch die Kreditaufnahme finanzierten Maßnahmen final auf die Beseitigung der Notsituation gerichtet sein (sog. konkreter Veranlassungszusammenhang). Dem Gesetzgeber komme bei der Beurteilung, welche haushaltsrechtlichen Möglichkeiten er zu Bewältigung dieser Notsituation einsetze, zwar ein weites Ermessen zu. Folge dieses Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums sei jedoch, dass dem Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren eine Begründungsobliegenheit auferlegt werde, welche Erwägungen für seine Beurteilung der krisenhaften Situation und die zu ihrer Bewältigung ergriffenen Maßnahmen maßgeblich waren. Dass die Corona-Virus-Pandemie eine Notsituation im Sinne des Art. 141 Abs. 4 Hessische Verfassung darstelle, habe der Gesetzgeber hinreichend dargelegt. Unzureichend sei aber die Begründung im Gesetzgebungsverfahren zur Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit der im Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz genannten Krisenbewältigungsmaßnahmen wie auch zum erforderlichen Veranlassungszusammenhang. Auch seien die Zwecke, für die kreditfinanzierte Mittel vergeben werden könnten, im Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz nicht hinreichend bestimmt festgelegt worden. Schließlich habe der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren nicht dargelegt, warum er andere haushalterische Spielräume, wie zum Beispiel die vollständige Auflösung von Rücklagen, nicht genutzt habe.

    Die im Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz angelegte 30-jährige Tilgungsfrist für die aufgenommenen Kredite erachtete der Staatsgerichtshof unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Notsituation, ihrer besonderen Umstände, der Höhe der Kredite und der allgemeinen, auch zukünftig zu erwartenden Finanzlage des Landes als vertretbar.
     
  3. Der Staatsgerichtshof hat auch die Bestimmungen des Haushaltsgesetzes 2020 in der Fassung des 2. Nachtragshaushaltsgesetzes als mit der Verfassung des Landes Hessen unvereinbar erklärt, die auf das Sondervermögen „Hessens gute Zukunft sichern“ Bezug nehmen. Mit der Verfassungswidrigkeit des Gute-Zukunft-Sicherungsgesetzes und damit einhergehend mit der Verfassungswidrigkeit des Sondervermögens „Hessens gute Zukunft sichern“ verlören die entsprechenden Regelungen und Titel ihren Sinn, da sie mit dem Sondervermögen derart verflochten seien, dass sie eine untrennbare Einheit bildeten.
     
  4. Der Staatsgerichtshof hat zudem festgestellt, dass das Zweite Gesetz zur Änderung des Artikel 141-Gesetzes mit der Verfassung des Landes Hessen vereinbar sei. Dass das im Artikel 141-Gesetz enthaltene Zweidrittelmehrheitserfordernis für einen Landtagsbeschluss zur Ermächtigung von Kreditaufnahmen in Abweichung von der Schuldenbremse mit einfacher Mehrheit aufgehoben wurde, verstoße nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Das Zweidrittelmehrheitserfordernis habe keinen Verfassungsrang gehabt und mit einfacher Mehrheit geändert werden können. Eine einfachgesetzliche Selbstbindung des Gesetzgebers widerspreche dem Demokratieprinzip.
     
  5. Die angegriffenen Normen sind im tenorierten Umfang nicht für nichtig, sondern für unvereinbar mit der Verfassung des Landes Hessen erklärt worden. Rückabwicklungspflichten für bereits verausgabte Mittel ergeben sich hieraus nicht. Auch bleiben bereits nach dem Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz bewilligte Maßnahmen und eingegangene Verpflichtungen von der Unvereinbarkeitserklärung unberührt. Bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31. März 2022, sind die von der Unvereinbarkeitserklärung betroffenen Bestimmungen weiterhin mit der Maßgabe anwendbar, dass in dieser Übergangszeit Maßnahmen nur neu genehmigt und finanziert werden dürfen, wenn sie einen eindeutigen Bezug zur Corona-Pandemie aufweisen.

Quelle: Staatsgerichtshof Hessen, Pressemitteilung vom 27. Oktober 2021

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