Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die den im Rahmen der Dienstaufsicht gegenüber einem Richter ausgesprochenen Vorhalt ordnungswidriger Ausführung seiner Amtsgeschäfte und die Ermahnung zu ihrer ordnungsgemäßen, unverzögerten Erledigung betrifft.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit durch die angegriffenen Entscheidungen nicht substantiiert dargelegt hat. Ob der Vorhalt und die Ermahnung den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die richterliche Unabhängigkeit inhaltlich in vollem Umfang genügen, muss daher offenbleiben.
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist Richter am Oberlandesgericht. Nach entsprechender Ankündigung und vorangegangenem Gespräch erließ die Präsidentin des Oberlandesgerichts im Januar 2012 einen Bescheid, mit dem sie dem Beschwerdeführer im Rahmen der Dienstaufsicht die ordnungswidrige Art der Ausführung seiner Amtsgeschäfte gemäß § 26 Abs. 2 DRiG vorhielt und ihn zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte ermahnte. Sie führte aus, dass der Beschwerdeführer das Durchschnittspensum seit Jahren „ganz erheblich und jenseits aller großzügig zu bemessender Toleranzbereiche“ unterschreite. Der vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid erhobene Widerspruch sowie der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des Bescheids vor dem Dienstgericht blieben ebenso ohne Erfolg wie die anschließend eingelegte Berufung. Auf die Revision des Beschwerdeführers hob der Bundesgerichtshof – Dienstgericht des Bundes – das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an den Dienstgerichtshof zurück. Der Vorhalt und das Anhalten zu einer unverzögerten Erledigung beeinträchtigten den Beschwerdeführer zwar grundsätzlich nicht in seiner richterlichen Unabhängigkeit. Die Grenze zu einer solchen Beeinträchtigung werde erst überschritten, wenn ein Pensum abverlangt werde, welches sich allgemein, also auch von anderen Richtern, sachgerecht nicht mehr bewältigen lasse. Der Dienstgerichtshof hätte jedoch den Einwendungen des Beschwerdeführers zur Ermittlung der Durchschnittszahlen nachgehen müssen. Nach Einholung weiterer Stellungnahmen zu den erhobenen Zahlen wies der Dienstgerichtshof die Berufung im Mai 2019 erneut zurück. Die dagegen gerichtete Revision beim Bundesgerichtshof blieb erfolglos. Der Dienstgerichtshof habe den Prüfungsantrag nunmehr ohne Rechtsfehler für unbegründet erachtet. Dem Beschwerdeführer werde mit dem angefochtenen Bescheid nach der Auslegung des Dienstgerichtshofs keine bestimmte, sondern nur eine insgesamt höhere, sich mehr dem Durchschnitt annähernde Arbeitsleistung abverlangt. Der Vorhalt beeinträchtige den Beschwerdeführer unter Zugrundelegung der ergänzenden Feststellungen nicht in seiner richterlichen Unabhängigkeit.
Der Beschwerdeführer rügt insbesondere eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit von Art. 33 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 GG.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, denn sie ist nicht hinreichend substantiiert begründet.
I. Der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 33 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt.
1. Nach Art. 97 Abs. 1 GG sind Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Die damit umschriebene Garantie der sachlichen Unabhängigkeit bedeutet im Wesentlichen, dass die Richter nur an das Gesetz gebunden, also frei von Weisungen sind. Der Exekutive ist jede vermeidbare Einflussnahme auf die richterliche Unabhängigkeit untersagt; dazu zählen auch mittelbare, subtile und psychologische Einflussnahmen. Auch die Formulierung von Maßstäben für die (quantitative) Erledigungsleistung hat die Unabhängigkeit des Richters umfassend zu respektieren.
2. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen.
a) Da der Beschwerdeführer die Regelung des § 26 Abs. 2 DRiG verfassungsrechtlich nicht in Zweifel zieht, hätte er sich näher mit ihrem Inhalt auseinandersetzen und darlegen müssen, welcher Anwendungsbereich noch bliebe, wenn, wie er meint, die „Sachgerechtigkeit“ der Erledigung allein durch die subjektive Überzeugung und persönliche Arbeitsweise des einzelnen Richters bestimmt wird. Er führt zwar aus, dass der Vorhalt einer „unzureichenden Arbeitsleistung“ nur insoweit zulässig sei, als damit keine Einflussnahme auf die richterliche Arbeit verbunden sei; dies könnte beispielsweise bei einer unzureichenden Arbeitszeit oder bei der willkürlichen Nichtbeachtung einer gesetzlichen Frist möglich sein. Diese Ausführungen setzen sich jedoch nicht mit dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 DRiG und der vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen Befugnis der Dienstaufsicht auseinander, nicht nur zu „ordnungsgemäßer“, sondern auch zu „unverzögerter“ Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen. Der Beschwerdeführer berücksichtigt auch nicht, dass das Abstellen auf ein an Durchschnittswerten orientiertes Verständnis von Sachgerechtigkeit unter Wahrung „großzügiger Toleranzbereiche“ die richterliche Unabhängigkeit möglicherweise eher schützt als einengt.
b) Ungeachtet dessen legt der Beschwerdeführer auch eine Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit durch die konkrete Anwendung des § 26 Abs. 2 DRiG in Gestalt der angegriffenen Entscheidungen nicht substantiiert dar.
Soweit er geltend macht, er sei von der Präsidentin durch Bescheid vom Januar 2012 zur Erzielung bestimmter Durchschnittszahlen aufgefordert worden, zeigt er nicht auf, dass auch die – anderslautende – Auslegung, die dieser Bescheid durch die späteren Entscheidungen der Dienstgerichte erfahren hat, unvertretbar sein könnte. So hat der Dienstgerichtshof ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer mit dem Bescheid eine quantitativ unbefriedigende Arbeitsleistung vorgehalten und nicht nur ein statistischer Zahlenvergleich vorgenommen werde. Der Vorhalt verlange bei zutreffender Auslegung nur eine insgesamt höhere, sich dem Durchschnitt annähernde Arbeitsleistung. Mit dieser vom Dienstgericht des Bundes revisionsrechtlich nicht beanstandeten tatrichterlichen Würdigung setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander. Zudem hat der Dienstgerichtshof ausgeführt, der Vorhalt sei so zu verstehen, dass der Beschwerdeführer selbst seine Arbeitsweise reflektieren könne auf etwaige Vorgehensweisen, die ihn unnötig viel Zeit kosteten, ohne dass sich dies auf die Prüfung der einzelnen Fälle oder allgemein die Qualität der Rechtsprechung auswirken könnte. Dies betreffe nicht die eigentliche Rechtsprechung oder Sorgfalt bei der Bearbeitung der Verfahren, sondern beispielsweise organisatorische Aspekte. Auch das Dienstgericht des Bundes hat festgestellt, dass die in dem Vorhalt enthaltene Aufforderung, die Arbeitsweise zu ändern, gerade nicht bedeute, in einem bestimmten Sinn zu entscheiden oder das Amt in einer bestimmten Richtung auszuüben.
Darüber hinaus lässt der Beschwerdeführer unberücksichtigt, dass er zuletzt vor den Dienstgerichten und auch im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren wiederholt vorgetragen hat, er ziehe nicht in Zweifel, dass seine Kolleginnen und Kollegen am Oberlandesgericht ihre Entscheidungen im vorerwähnten Sinne sachgerecht und an das Gesetz gebunden träfen. Im Hinblick auf den Umstand, dass sich der vom Beschwerdeführer beanstandete Vorhalt an der Erledigungsleistung dieser Kolleginnen und Kollegen orientiert, gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, nachvollziehbar zu begründen, dass er selbst ‒ anders als seine Kolleginnen und Kollegen ‒ dem Vorhalt nur durch eine Änderung der Rechtsanwendung nachkommen könnte, die von ihm nur unter Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit verlangt werden könnte.
c) Ob der Vorhalt und die Ermahnung auch in der Gestalt, die sie durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen gefunden haben, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die richterliche Unabhängigkeit inhaltlich in vollem Umfang genügen, muss wegen der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde offenbleiben.
II. Die Möglichkeit einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör von Art. 103 Abs. 1 GG hat der Beschwerdeführer ebenfalls nicht substantiiert dargelegt.
III. Schließlich zeigt der Beschwerdeführer eine mögliche Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als allgemeines Willkürverbot nicht mit hinreichender Deutlichkeit auf. Das Vorliegen einer in keiner Weise vertretbaren Begründung der angegriffenen Entscheidungen ist nicht ansatzweise dargetan.
Quelle: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung vom 23. November 2021