
Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat hat mit Urteil vom 3. Juni 2025 (XI ZR 45/24) im Rahmen einer Musterfeststellungsklage über die Voraussetzungen und über die Verjährung von Verbraucheransprüchen auf Rückzahlung von Kontoführungsentgelten entschieden.
Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:
Der Musterkläger ist ein seit über vier Jahren als qualifizierte Einrichtung in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der beklagten Sparkasse hieß es unter Nr. 17 Abs. 6 u.a. wie folgt:
„Änderungen von Entgelten für Hauptleistungen, die vom Kunden im Rahmen der Geschäftsbeziehung typischerweise dauerhaft in Anspruch genommen werden (z.B. Depotführung), oder Änderungen von Entgelten im Rahmen von Zahlungsdiensterahmenverträgen werden dem Kunden spätestens zwei Monate vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens in Textform angeboten. […] Die Zustimmung des Kunden gilt als erteilt, wenn er seine Ablehnung nicht vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungen angezeigt hat. […].“ (sog. Zustimmungsfiktionsklausel).
Die Musterbeklagte stellte zum 1. Dezember 2016 bei ihren Bestandskunden die Entgeltstruktur für die als Kontokorrentkonto geführten Girokonten um. Hierüber informierte sie ihre Kunden im September 2016 unter Übersendung eines Auszugs aus dem neuen Preis- und Leistungsverzeichnis. Zwei Tage nach Verkündung des Senatsurteils vom 27. April 2021 (XI ZR 26/20, BGHZ 229, 344, Pressemitteilung Nr. 088/2021) zur Unwirksamkeit der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Bank enthaltenen Zustimmungsfiktionsklausel strich die Musterbeklagte die Zustimmungsfiktionsklausel aus ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen und stellte deren Verwendung im Neukundengeschäft ein. Sie lehnt die Erstattung von Entgelten, die sie unter Verwendung der unwirksamen Zustimmungsfiktionsklausel vereinnahmt hat, mit der Begründung ab, die Verbraucher hätten die Entgelte über mindestens drei Jahre unbeanstandet gezahlt.
Der Musterkläger begehrt im Rahmen seiner Musterfeststellungsklage u.a. die Feststellungen,
dass die Zustimmungsfiktionsklausel der Musterbeklagten im Verkehr mit Verbrauchern unwirksam ist (Feststellungsziel 1),
dass die Musterbeklagte von Verbrauchern alle Entgelte bzw. Gebühren im Zusammenhang mit der Führung und Nutzung eines Girokontos ohne Rechtsgrund erhalten hat, soweit diesen Entgelten keine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Verbrauchern und der Musterbeklagten zugrunde liegt, hilfsweise dass die Musterbeklagte von Verbrauchern alle Entgelte im Zusammenhang mit der Führung und Nutzung eines Girokontos ohne Rechtsgrund erhalten hat, soweit der Erhebung dieser Entgelte eine Zustimmungsfiktion gemäß der Zustimmungsfiktionsklausel zugrunde liegt (Feststellungsziel 3a),
dass die Musterbeklagte von Verbrauchern durch deren vorbehaltlose Hinnahme von Rechnungsabschlüssen ein Saldoanerkenntnis ohne Rechtsgrund erhalten hat, soweit diese Rechnungsabschlüsse Belastungen der Verbraucher mit Entgelten enthalten, für die kein Rechtsgrund besteht (Feststellungsziel 4),
dass sich die Musterbeklagte gegenüber Verbrauchern nicht deswegen auf eine konkludente Annahme bzw. Zustimmung zu den von der Musterbeklagten angebotenen Entgelten berufen kann, weil die Verbraucher ihre Konten im vertragsgemäßen Umfang weitergenutzt haben (Feststellungsziel 5),
dass keine ergänzende Vertragsauslegung erfolgen kann, wonach Verbraucher das Fehlen eines rechtlichen Grundes für die Erhebung von Entgelten nicht geltend machen können, weil sie diese Entgelte nach Zugang der Abrechnungen nicht beanstandet haben (Feststellungsziel 6) und
dass eine Verjährung der Ansprüche von Verbrauchern auf Erstattung von Entgelten erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, ab dem Verbraucher Kenntnis von der Unwirksamkeit der Zustimmungsfiktionsklausel haben oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätten haben können, hilfsweise dass die kenntnisabhängige Verjährungsfrist frühestens mit dem Schluss des Jahres 2021 zu laufen beginnt (Feststellungsziel 7).
Die Musterbeklagte begehrt im Rahmen einer Widerklage hilfsweise für den Fall, dass einzelne Feststellungsziele zulässig oder begründet sind, u.a. die Feststellungen,
dass der Wert der Leistungen, die die Musterbeklagte gegenüber Verbrauchern ab dem 1. Dezember 2016 erbracht hat, der Höhe nach jeweils dem Entgelt entspricht, das die Musterbeklagte im Neukundengeschäft bei Giroverträgen ab dem 19. September 2016 für diese Leistungen vereinbart hat und
dass das Vermögen der Musterbeklagten nach Anrechnung des Werts der von ihr erbrachten Leistungen, nicht vermehrt ist.
Das Kammergericht hat der Musterfeststellungsklage hinsichtlich der Feststellungsziele 1, 4, 5 und 6 sowie hinsichtlich des Hilfsantrags zum Feststellungsziel 3a stattgegeben. Im Übrigen hat es die Musterfeststellungsklage abgewiesen. Die Hilfswiderklage der Musterbeklagten hat es insgesamt abgewiesen.
Der Musterkläger verfolgt mit der Revision seine Feststellungsziele weiter, soweit das Kammergericht zu seinem Nachteil erkannt hat. Die Musterbeklagte verfolgt mit der Revision die vollständige Abweisung der Musterfeststellungsklage und ihre Feststellungsbegehren im Rahmen der Hilfswiderklage weiter.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das Feststellungsziel 1 unzulässig ist. Die Frage, ob die Zustimmungsfiktionsklausel unwirksam ist, ist nicht klärungsbedürftig, weil der Senat die Unwirksamkeit einer vergleichbaren Zustimmungsfiktionsklausel bereits mit Urteil vom 27. April 2021 (XI ZR 26/20, BGHZ 229, 344) festgestellt hat, dieses Urteil in der Instanzrechtsprechung und in Teilen der Literatur anerkannt ist und die Musterbeklagte diese Auffassung ebenfalls teilt.
Das Feststellungsziel 3a ist in seinem Hilfsantrag begründet. Die Musterbeklagte hat von Verbrauchern Entgelte im Zusammenhang mit der Führung und Nutzung von Girokonten ohne Rechtsgrund erhalten, soweit sie die Erhebung dieser Entgelte auf eine Zustimmungsfiktion gemäß der Zustimmungsfiktionsklausel gestützt hat. Denn die Zustimmungsfiktionsklausel ist im Verkehr mit Verbrauchern gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Damit fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die Erhebung solcher Entgelte durch die Musterbeklagte. Verbraucher können sich auch dann noch auf die Unwirksamkeit einer Zustimmungsfiktionsklausel berufen und rechtsgrundlos gezahlte Kontoführungsentgelte gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zurückverlangen, wenn sie die von der Musterbeklagten rechtsgrundlos vereinnahmten Entgelte länger als drei Jahre widerspruchslos gezahlt haben. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 19. November 2024 (XI ZR 139/23, BGHZ 242, 216, Pressemitteilung Nr. 219/2024) entschieden hat, findet die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung von Energielieferverträgen geltende sogenannte Dreijahreslösung im Zusammenhang mit der Rückforderung rechtsgrundlos erhobener Kontoführungsentgelte keine Anwendung. Aus diesem Grund sind auch die Feststellungsziele 4 und 6 begründet.
Das Feststellungsziel 5 ist unzulässig, weil die mit ihm verbundene Frage nicht verallgemeinerungsfähig ist. Ob ein schlüssiges Verhalten wie die Nutzung des Girokontos durch einen Verbraucher nach der Ankündigung geänderter Entgeltbedingungen dahin zu werten ist, dass der Verbraucher den geänderten Bedingungen zustimmt, richtet sich nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Maßstäben. Hiernach kommt es darauf an, wie das Verhalten des Verbrauchers objektiv aus der Sicht des Erklärungsempfängers zu verstehen ist. Diese Beurteilung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und kann daher nicht im Rahmen eines Musterverfahrens getroffen werden.
Das Feststellungsziel 7 ist unbegründet. Ansprüche der Verbraucher auf Erstattung von rechtsgrundlos vereinnahmten Entgelten unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Diese beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Entstanden sind die Rückerstattungsansprüche der Verbraucher nicht bereits mit der Abbuchung der Entgelte von den Girokonten der Verbraucher, sondern erst mit der Genehmigung der Saldoabschlüsse der Girokonten durch die Verbraucher. Diese Genehmigung liegt mit Ablauf der sechswöchigen Frist vor, innerhalb derer Verbraucher gemäß Nr. 7 Abs. 3 Satz 1 AGB-Sparkassen Einwendungen gegen den jeweiligen zum Monatsende erstellten Saldoabschluss vorbringen können. Kenntnis von ihren Rückzahlungsansprüchen haben die Verbraucher durch die Information der Musterbeklagten über die beabsichtigten Änderungen der Entgelte und durch deren Ausweis in den Saldoabschlüssen der Girokonten erlangt. Die Kenntnis der Verbraucher von der Unwirksamkeit der Zustimmungsfiktionsklausel ist für die Ingangsetzung des Verjährungsverlaufs nicht erforderlich.
Der Verjährungsbeginn ist insbesondere nicht durch eine etwa bestehende Rechtsunkenntnis der Verbraucher bis zum Senatsurteil vom 27. April 2021 (XI ZR 26/20, BGHZ 229, 344) hinausgeschoben worden, da hinsichtlich der Unwirksamkeit von Zustimmungsfiktionsklauseln keine unsichere oder zweifelhafte Rechtslage vorlag. Verbrauchern war eine Klageerhebung vielmehr bereits vor diesem Urteil zumutbar. Der vor dem 27. April 2021 ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung lässt sich keine Billigung von Zustimmungsfiktionsklauseln entnehmen. Die Unwirksamkeit von Zustimmungsfiktionsklauseln beruht auf deren Abweichung von dem allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsatz, wonach das Schweigen des Verwendungsgegners zu einem ihm unterbreiteten Vertragsänderungsantrag nicht als Annahme zu qualifizieren ist. Dieser Grundsatz ist nicht neu, sondern beansprucht schon seit jeher Gültigkeit. Darüber hinaus steht das Senatsurteil vom 27. April 2021 in einer Linie mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Oktober 2007 (III ZR 63/07), in dem eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Zustimmungsfiktionsklausel ebenfalls deswegen für unwirksam erklärt worden ist, weil für grundlegende Änderungen von vertraglichen Beziehungen ein den Erfordernissen der §§ 145 ff. BGB genügender Änderungsvertrag notwendig ist. Die langjährige und verbreitete Verwendung von unwirksamen Zustimmungsfiktionsklauseln im Rechtsverkehr der Banken und Sparkassen vor dem Senatsurteil vom 27. April 2021 begründet nicht, dass die Erhebung von Rückzahlungsklagen von Verbrauchern unzumutbar gewesen ist.
Eine Hilfswiderklage im Rahmen eines Musterfeststellungsverfahrens ist grundsätzlich zulässig, wenn sie sich im Rahmen des Lebenssachverhalts der vom Musterkläger begehrten Feststellungsziele hält. Sie hat vorliegend allerdings keinen Erfolg. Der Wert der Leistungen, die die Musterbeklagte aufgrund von vor dem 19. September 2016 geschlossenen Giroverträgen gegenüber Verbrauchern ab dem 1. Dezember 2016 erbracht hat, kann den Rückzahlungsansprüchen der Verbraucher nicht entgegengehalten werden. Die Verbraucher haben von der Musterbeklagten keine Leistungen aus den Giroverträgen ohne Rechtsgrund erlangt. Es bestehen vielmehr wirksame Giroverträge zwischen den Verbrauchern und der Musterbeklagten, aus denen diese zur Erbringung von Zahlungsdienstleistungen verpflichtet ist.
Urteil vom 3. Juni 2025 – XI ZR 45/24
Vorinstanz:
Kammergericht – Urteil vom 27. März 2024 in der Fassung des Beschlusses vom 3. Juli 2024 – 26 MK 1/21
BGH, 03.06.2025