Unter dem Titel „Multiple Krisen… Multiple Radikalisierung?“ werden aktuelle Befunde aus dem MOTRA-Radikalisierungsmonitoring zu dem im Spätsommer 2022 thematisierten und befürchteten „Heißen Herbst“ präsentiert. Eine zentrale Erkenntnis ist: Dieser hat nicht stattgefunden.

Das Projekt „Monitoringsystem und Transferplattform Radikalisierung“ (MOTRA) widmet sich als Verbundprojekt der phänomenübergreifenden Erforschung von Radikalisierung. Dies geschieht über unterschiedliche aufeinander abgestimmte Teilstudien, die sich unter anderem mit Radikalisierungstendenzen im Internet, auf Protestveranstaltungen oder mit den politischen Einstellungen in der Bevölkerung beschäftigen. An dem von der Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus des BKA koordinierten Forschungsverbunds sind acht renommierte universitäre, zivilgesellschaftliche und behördliche Forschungseinrichtungen beteiligt.

Auf der vom 28.02. – 01.03.2023 in Wiesbaden stattfindenden Jahreskonferenz werden in über 50 Fachbeiträgen aus unterschiedlichen Forschungsprojekten und Praxisfeldern aktuelle Befunde und Erfahrungen zum gegenwärtigen Radikalisierungsgeschehen ausgetauscht.

Zum Auftakt der Konferenz stehen zentrale Beobachtungen aus dem Radikalisierungsmonitoring des MOTRA-Verbundes im Mittelpunkt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das unter dem Schlagwort „Heißer Herbst“ befürchtete Protestgeschehen in 2022 nicht stattgefunden hat. Die vielfältigen Forschungsergebnisse spiegeln ein heterogenes Protest- und Diskursgeschehen wider. So zeigt das an der Ludwig-Maximilians-Universität durchgeführte Internet-Monitoring sowie das Protestmonitoring des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, dass die pandemische Krise in der zweiten Jahreshälfte 2022 zunehmend von anderen Themen abgelöst wurde und ihr Mobilisierungspotenzial verlor.

In den Sozialen Medien und bei den Protesten auf den Straßen und Plätzen wurden vielmehr unterschiedliche nationale sowie globale Krisen aufgegriffen. Bestimmende Themen waren der Umwelt- und Klimaschutz sowie die Solidarität mit der Ukraine und den Protesten im Iran. Weniger als zehn Prozent der insgesamt erfassten Protestereignisse stehen im Zusammenhang mit gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten und damit mit dem prognostizierten Kernthema des „Heißen Herbstes“. Darüber hinaus zeigen die Forschungsergebnisse, dass sich die während der Corona-Proteste beobachteten gewaltträchtigen Radikalisierungstendenzen 2022 nicht fortsetzten. Dies spiegeln auch die aktuellen Ergebnisse des vom BKA durchgeführten Monitorings von Hass und Hetze gegenüber Mandatstragenden wider: Das bis Oktober 2022 beobachtete Anfeindungsgeschehen gegenüber Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern ist trotz der parallel verlaufenden Krisen deutlich weniger intensiv als zu Hochzeiten der Pandemie Ende 2021.

Dass die Krisenerscheinungen gleichwohl nicht ohne Einfluss bleiben, zeigen die Ergebnisse der repräsentativen MOTRA-Teilstudie „Menschen in Deutschland“ (MiD) der Universität Hamburg. Über regelmäßig durchgeführte Befragungen werden die Meinungen und Haltungen von Menschen ab 18 Jahren in Deutschland zu politischen, gesellschaftlichen und religiösen Themen untersucht. In 2022 kam es zu einer deutlichen Zunahme von Besorgnissen in der Bevölkerung, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg stehen. Diese führen zu einer auffällig gestiegenen Verunsicherung in der Bevölkerung, was offensichtlich mit einem merklichen Verlust an Vertrauen in das politische System und die Problemlösungsfähigkeit der Demokratie einhergeht: Die Aussage, dass mittels der demokratischen Strukturen die Probleme in Deutschland tatsächlich gelöst werden können, findet 10 % weniger Zustimmung als im Vorjahr (2022: 78 % – 2021: 88 %). In gleichem Maße hat auch das Vertrauen in die Regierung (2021: 56 % – 2022: 46 %) sowie in die politischen Parteien abgenommen (2021: 41 % – 2022: 30 %), während das Vertrauen in die Polizei (2022: 78 % – 2021: 79 %) sowie Gerichte (2022: 72 % – 2021: 75 %) sich auf nahezu gleich hohem Niveau wie im Vorjahr bewegt.

Quelle: Bundeskriminalamt, Pressemitteilung vom 27. Februar 2023

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