Im diesjährigen Gespräch mit Pressevertretern gab der Präsident des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, Herr Dr. Siegbert Gatawis, neben einem Überblick über die Geschäftszahlen und über eine Reihe interessanter Entscheidungen des vergangenen Jahres auch einen Ausblick auf künftige Entwicklungen.

Geschäftsentwicklung

Trotz der allgemeinen Entwicklung mit einer Zunahme der Migration in die Europäische Union ist im abgelaufenen Geschäftsjahr die Zahl der beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eingegangenen Asylverfahren um 9,52% auf rd. 1600 zurückgegangen. „Auch eine Klagewelle, die nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine und die dadurch ausgelöste Flucht von über einer Million Menschen nach Deutschland anfänglich zu befürchten war, ist ausgeblieben“, stellte Präsident Dr. Gatawis zu Beginn des Gesprächs fest. Geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer müssen kein Asylverfahren durchlaufen, sondern erhalten einen humanitären Aufenthaltstitel. Einer Inanspruchnahme von Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte zur Klärung des Aufenthaltes bedarf es für diesen Personenkreis daher im Regelfall nicht.

Die Zahl der nicht Asylverfahren betreffenden Rechtsstreitigkeiten hat dagegen von 5177 im Vorjahr auf jetzt 5546 zugenommen, was nicht zuletzt auf zahlreiche Verfahren im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zurückzuführen ist. So wandten sich rd. 90 Beschäftigte aus dem Gesundheitsbereich gegen ein befristetes Tätigkeitsverbot, nachdem sie sich geweigert hatten, einen Impfnachweis vorzulegen. Über 300 Verfahren betreffen die Rückforderung sog. „Corona-Soforthilfen“, die Unternehmern und Freiberuflern gewährt wurden, die infolge der mit den Corona-Schutzmaßnahmen verbundenen Einschränkungen Einnahmeausfälle zu beklagen hatten.

Die Zahl der am Jahresende noch anhängigen Verfahren sank um 2,83% auf 8172, wobei der Abbau der Asylverfahren um ca. 20% besonders hervorzuheben ist. Die insgesamt 69 Richterinnen und Richter konnten die durchschnittliche Dauer der Verfahren im Wesentlichen auf dem Niveau der Vorjahre halten. Erledigt wurden insgesamt 7393 Verfahren. Dr. Gatawis konnte erfreut feststellen, dass zum mittlerweile fünften Mal in Folge mehr Verfahren erledigt wurden als eingegangen sind. „Diese Erfolgsreihe fortzusetzen ist Ansporn und Ziel für das laufende Jahr“, kommentierte der Präsident abschließend die Entwicklung der Geschäftszahlen und dankte ausdrücklich allen Mitarbeitenden für ihren engagierten Einsatz.

Ausblick auf 2023

Im Anschluss gaben Präsident Dr. Gatawis und Pressesprecher Thewes einen kurzen Ausblick auf in diesem Jahr voraussichtlich anstehende Entscheidungen des Gerichts, die öffentliches Interesse wecken könnten. Das breite Spektrum der verschiedenen Rechtsgebiete, für die das Verwaltungsgericht zuständig ist, wird erkennbar mit einem Blick in den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan. In Verfahren beispielsweise aus dem Baurecht, Umweltrecht, Immissionsschutzrecht, Straßenverkehrsrecht, Informationsfreiheitsrecht, Kommunalrecht, Kindergartenrecht, Gebührenrecht, Kinder- und Jugendhilferecht, Schulrecht, kommunales Steuerrecht, Erschließungsbeitragsrecht, Tierschutzrecht, Polizei- und Ordnungsrecht werden regelmäßig Fragen angesprochen, die von teils hochaktueller gesellschaftlicher Relevanz sind und jeden Bürger betreffen können.

Anstehende Entscheidungen des Gerichts in 2023

Streit um „Corona-Hilfen“

Aktuell etwa 280 überwiegend im vergangenen Jahr eingegangene Verfahren betreffen zum großen Teil Rückforderungen von Finanzhilfen („Corona-Soforthilfen“), die das beklagte Land an Unternehmen geleistet hatte, die betriebliche Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie hinnehmen mussten. Weitere rd. 60 Verfahren betreffen die Rückforderung der sog. November- und Dezemberhilfen.

In anderen etwa 70 Verfahren geht es um versagte sog. Überbrückungshilfen mit bis zu siebenstelligen Summen, die die Kläger vom Land begehren.

Im laufenden Jahr sind bisher rd. 45 Verfahren eingegangen, in denen die Kläger das Wiederaufgreifen ihres durch bestandskräftige Rückforderungsbescheide abgeschlossenen Verfahrens beantragen. Da nur wenige der von Rückforderungsbescheiden des Landes Betroffenen geklagt haben, ist zu erwarten, dass die Zahl dieser Klagen noch erheblich zunehmen wird, zumal die Rückforderungsbescheide des Landes von mehreren Verwaltungsgerichten und zuletzt auch vom OVG NRW als rechtswidrig bewertet worden sind. Da die Entscheidung des OVG Raum für erneute Rückforderungsverlangen des Landes mit einer „überarbeiteten“ Begründung lässt, ist eine neue Klagewelle nicht unwahrscheinlich.

Rechtmäßigkeit von Tätigkeitsverboten mangels Impfnachweises

In mehreren Verfahren wenden sich Kläger überwiegend im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage gegen bis zum 31. Dezember 2022 befristete Betretungs- und Tätigkeitsverbote nach § 20a Infektionsschutzgesetz. Danach waren Beschäftigte vor allem im Gesundheitsbereich verpflichtet, ihrem Arbeitgeber bis zum 15. März 2022 einen Nachweis vorzulegen über eine Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, einen Genesenennachweis, das Bestehen einer Schwangerschaft im ersten Schwangerschaftsdrittel oder ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden können. Das Gesundheitsamt untersagte Personen, die trotz der Anforderung keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegten oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leisteten, in dem Betrieb weiter tätig zu sein.

Eine Vielzahl der ursprünglich erhobenen Klagen bzw. Eilverfahren (zusammen etwa 125) haben sich inzwischen nach Ablauf der Frist (31. Dezember 2022) erledigt, ohne dass es einer gerichtlichen Entscheidung bedurft hätte. In bisher 18 Klageverfahren hat die Kammer die Klagen durch Urteil abgewiesen. Weitere Verhandlungen stehen in den nächsten Wochen und Monaten an.

Abklärung von Baumängeln am Tunnel unter der ehemaligen Hauptpost in Essen (AZ.: 5 K 1967/20, Termin am 10. August 2023)

Der Rechtsstreit betrifft den Tunnel unter der Straße „An der Reichsbank“, welcher die Baulichkeiten der ehemaligen Hauptpost in der Vergangenheit unterirdisch verbunden hat. Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaften „An der Reichsbank 1 bis 7“. Von dieser Seite aus ist der Tunnel begehbar, zu den Liegenschaften „An der Reichsbank 2 bis 8“ bis „Willy-Brandt-Platz“ ist der Tunnel zugemauert. Die Stadt Essen fordert wegen angenommener Bauschäden von der Klägerin als (Mit-)Eigentümerin des Tunnels ein Sachverständigengutachten über die Standsicherheit dieses Tunnels. Angelegt wurde der Tunnel aufgrund eines Vertrages zwischen der Eigentümerin der Straßenfläche, der Stadt Essen, und dem Träger der Reichspost, dem Deutschen Reich, vom 18. Januar 1922. Dieser Vertrag war Teil der Planung und Errichtung des später kriegszerstörten und anschließend wieder aufgebauten Hauptpostgebäudes (1923). Bedeutsam ist u.a. das nicht zuletzt auch durch die Auflösung der Deutschen Bundespost beeinflusste Eigentum an dem Tunnel. Ferner wird sich die Frage stellen, ob das geforderte Sachverständigengutachten geeignet ist, rechtmäßige Zustände hinsichtlich des Tunnels herbeizuführen.

Schadensersatzanspruch einer ehemaligen Dezernentin des Kreises Recklinghausen (AZ.: 12 K 4975/20, Termin am 16. Mai 2023)

Die Klägerin begehrt vom Kreis Recklinghausen als Dienstherrn Schadensersatz wegen Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht. Aufgrund eines vom Landrat betriebenen Disziplinarverfahrens wurde die Klägerin durch Urteil des Verwaltungsgerichts Münster aus dem Beamtenverhältnis wegen schwerwiegender Dienstvergehen entfernt. Die Entscheidung wurde durch das OVG NRW bestätigt. Nach zwischenzeitlicher Zurruhesetzung der Klägerin aufgrund dauerhafter Dienstunfähigkeit hob das Bundesverwaltungsgericht die vorgehenden Entscheidungen auf und milderte die Strafe auf eine Kürzung des Ruhegehalts. Die Klägerin macht nunmehr geltend, sie sei durch das Verhalten des Landrats erkrankt. Sie wirft ihm im Kern vor, trotz erkennbarer Erkrankung ein rechtswidriges Disziplinarverfahren eingeleitet und fortgeführt zu haben.

Besetzung der Kreisdirektorenstelle im Kreis Recklinghausen (AZ.: 12 K 961/23 und 12 L 353/23)

Der Antragsteller ist seit dem Jahr 2007 Kreisdirektor und Kämmerer des Kreises Recklinghausen. Die laufende Amtszeit endet am 30. Juni 2023. Er begehrt, dem Antragsgegner im Eilverfahren vorläufig zu untersagen, den erfolgreichen Bewerber auf die ausgeschriebene Stelle zum Kreisdirektor zu ernennen, bis über seine Bewerbung – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts – erneut entschieden worden ist.

Der Kreistag hatte zuvor entschieden, die Stelle des Kreisdirektors zum Ablauf der Amtszeit des Antragstellers öffentlich auszuschreiben. Für die Suche geeigneter Bewerberinnen und Bewerber beauftragte der Antragsgegner ein externes Personalberatungsunternehmen. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Auswahlvorgang und die eigentliche Wahl rechtmäßig waren.

Berechtigung des Führens eines Doktortitels im Nachnamen eines nicht promovierten Zahnarztes (18 K 3732/18, Termin am 31. Mai 2023)

Der nicht promovierte Kläger ist approbierter Zahnarzt und Geschäftsführer einer Tagesklinik, die unter dem Namen „Dr. T (…) GmbH“ firmiert. Auf seiner Homepage „dr-t.de“ bewarb er ein Unternehmen, mit dem er neben Zahnpflegeprodukten in Kooperation mit einem Bekleidungsgeschäft auch Herrenmode, Kosmetik und und Lifestyleprodukte vertrieb. Ferner wies er auf den Auftritt seines gewerblichen Unternehmens bei Facebook hin. Die Zahnärztekammer untersagte dem Kläger, zu seinem Namen einen Doktorgrad zu führen, solange seine Promotion noch nicht abgeschlossen ist. Ferner untersagte sie ihm, seine zahnärztliche Berufsbezeichnung für gewerbliche Zwecke zu verwenden.

Quelle: VG Gelsenkirchen, Pressemitteilung vom 12. Mai 2023

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