
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zieht eine insgesamt positive Jahresbilanz: Trotz Digitalisierung und baulicher Belastungen konnten Verfahrenszahlen reduziert und neue Herausforderungen wie Massenverfahren infolge von DSGVO-Verstößen bewältigt werden. Mit dem neu eingerichteten Commercial Court reagiert die Justiz zudem gezielt auf den Bedarf nach effizienter staatlicher Streitbeilegung in komplexen Wirtschaftssachen.
„Die Justiz ist das stabilisierende Rückgrat der Demokratie. Die Funktionsfähigkeit und Verlässlichkeit des OLG haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch dieses Jahr trotz der mit der Umstellung auf den digitalen Rechtsverkehr fortbestehenden Reibungsverluste und umbaubedingter Lärmbelastungen im Bereich der Rechtsprechung und Verwaltung eindrucksvoll unter Beweis gestellt. So konnten etwa die Bestandszahlenim Zivil- und Familienbereich maßgeblich reduziert werden. Die Bedeutung effektiven staatlichen Rechtsschutzes unterstreicht auch der zum 1.7.2025 am OLG neu errichtete Commercial Court. Er erweitert mit zwei Senaten das System der staatlichen Streitbeilegungsmöglichkeiten um einen innovativen Baustein für komplexe wirtschafts- und gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten und zeigt, dass sich die Justiz mit den geänderten Bedürfnissen der Parteien weiterentwickelt“, leitete Präsident Dr. Seitz die diesjährige Jahresbilanzpressekonferenz ein.
Die personelle Situation im richterlichen Bereich ist gegenüber dem Vorjahr nahezu konstant geblieben. Gegenwärtig arbeiten am OLG 162 Richterinnen und Richter sowie 18 Erprobungsrichterinnen und -richter (2024: 158 Richterinnen und Richter und 21 Erprobungsrichterinnen und -richter; 2023: 157 Richterinnen und Richter und 16 Erprobungsrichterinnen und -richter)).
„Die Schwierigkeiten bei der Nachwuchsgewinnung im nichtrichterlichen Dienst bestehen fort“, führte Vizepräsidentin Dr. Römer aus, „die Zahl der Auszubildenden im Tarifbereich soll deshalb noch einmal 2025 auf dann 158 Auszubildende erhöht werden (2024: 147, 2023: 139). 131 Auszubildende haben im Jahr 2024 im Tarifbereich ihre Ausbildung beendet (voraussichtlich 2025: 111). Im mittleren und gehobenen Dienst entsprechen die Zahlen für Jahr 2025 mit angestrebten 204 Anwärterinnen und Anwärtern (davon 86 Rechtspfleger) den hohen Ausbildungskapazitäten aus dem Jahr 2024 (2024: 211 Anwärterinnen und Anwärter, davon 75 Rechtspfleger; 2023: 185 Anwärter-
innen und Anwärter, davon 62 Rechtspfleger).“ Wie viele davon die Prüfungen erfolgreich ablegen werden, ist derzeit noch nicht prognostizierbar.
„Die Entwicklung der Verfahrenszahlen in den drei Sparten Zivil-, Straf- und Familienrecht bestätigen die erfreuliche Entwicklung aus dem Vorjahr“, erläuterte Präsident Dr. Seitz weiter. Mit 5.465 Zivilberufungenüberstieg die Zahl der Erledigungen im Jahr 2024 deutlich die der Neueingänge (3.958), so dass die Bestände abgebaut werden konnten. Dieser Trend dürfte sich auch 2025 fortsetzen (Erledigungen 2025 hochgerechnet zum 1.7.2025.: 2.393, Eingänge hochgerechnet zum 1.7.2025: 2.174). Insgesamt lag die Zahl der Eingänge mit 3.958 Verfahren im Jahr 2024 deutlich unter denen des Jahres 2023 mit 4.805 Verfahren und dürfte sich in diesem Jahr voraussichtlich auf dem Vorjahresniveau konsolidieren. Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug im Jahr 2024 17 Monate (2023: 12.6 Monate, 1. Quartal 2025: 15 Monate). Dies dürfte zu einem erheblichen Teil auf den hohen Anteil an Verfahren im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal zurückzuführen sein. Dort war die höchstrichterliche Klärung von Rechtsfragen abzuwarten, so dass die Verfahren nicht betrieben werden konnten.
„Auch im Bereich der Familiensachen wurden 2024 mit 1.535 Verfahren mehr Akten erledigt als mit 1.506 neu eingingen (Erledigungen 2023: 1.581, hochgerechnet 2025: 1.588; Eingänge 2023: 1.589, hochgerechnet 2025: 1.528)“ führte Vizepräsidentin Dr. Römer weiter aus. „Die durchschnittliche Verfahrenslaufzeit betrug im Jahr 2024 sechs Monate (2023: 5,8 Monate, 1. Quartal 2025: 6,5 Monate). Auch im Beschwerdebereich gingen die Eingänge mit 1.321 Verfahren im Jahr 2024 leicht zurück (2023: 1.349, hochgerechnet 2025: 1.036).“
Die Eingänge im Bereich der strafrechtlichen Revisionen lagen 2024 mit 255 Verfahren exakt auf dem Vorjahresniveau. Auf Basis der Zahlen des ersten Quartals 2025 ist mit einem leichten Rückgang zu rechnen (hochgerechnet 2025: 204). 2024 wurde 245 Revisionen erledigt; prognostisch wird diese Anzahl auch 2025 erreicht werden (hochgerechnet 2025: 240; 2023: 269). Die Verfahren wurden im Jahr 2024 mit 2,3 Monaten deutlich schneller erledigt als 2023 (3,4 Monate). Diese Dauer dürfte auch 2025 ungefähr gehalten werden können. Im Bereich der Bußgeldsachen ist mit 2,1 Monaten im Jahr 2024 ein noch deutlicherer Rückgang der durchschnittlichen Verfahrenslaufzeit zu verzeichnen (2023: 2,5 Monate; prognostiziert 2025: 1,9 Monate). Die Eingänge gingen 2024 mit 1.040 Beschwerden leicht zurück (2023: 1.136; hochgerechnet 2025: 1.112). 1071 Beschwerden wurden erledigt (2023: 1.150; hochgerechnet 2025: 1.052).
„Die große Welle der Dieselverfahren klingt weiter ab“, stellte Präsident Dr. Seitz fest und ergänzte: „Diese Verfahren werden gegenwärtig kontinuierlich abgebaut. Gleichzeitig beschäftigen das OLG bereits anders geartete Massenverfahren. Im Jahr 2024 gingen 270 Berufungen wegen Verstößen gegen die DSGVO im Zusammenhang mit dem sog. Datenscrapings ein (2023: 104). Die Verfahrensanzahl dürfte 2025 noch weiter ansteigen. Plattformbetreibern wie „facebook“ wird vorgeworfen, den Zugriff Dritter auf persönliche Daten nicht datenschutzkonform verhindert zu haben. Die Menge dieser Verfahren hat dazu geführt, dass nicht mehr nur ein Senat für die Bearbeitung zuständig ist, sondern inzwischen vier Senate.“ In weiteren rund 280 Verfahren fordern die
Kläger von Sportwetten- und Onlineglücksspielbetreibern ihre verlorenen Wetteinsätze zurück. Sie berufen sich auf die Nichtigkeit der Verträge, da die Anbieter keine deutsche Erlaubnis zur Veranstaltung von Glücksspielen bzw. Sportwetten hatten. Ansteigend mit derzeit rund 20 Verfahren seit Anfang diesen Jahres ist auch die Zahl der Klagen wegen behaupteter Impfschäden nach einer Impfung gegen den Corona-VirusSARS-CoV-2.
„Mit 132 Sitzungstagen im Jahr 2024 sind die beiden Staatsschutzsenate weiterhin stark belastet“, führte Vizepräsidentin Dr. Römer weiter aus, „auch im ersten Halbjahr 2025 wurden bereits 55 Verhandlungstage durchgeführt. Mitte Juni 2025 endete nach knapp 3 ½ Jahren und insgesamt 188 Verhandlungstagen das längste bislang am OLG geführte Staatsschutzverfahren gegen Alaa M. wegen des Vorwurfs u.a. der Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe, Feststellung der besonderen Schwere der Schuld sowie der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch den 5. Strafsenat. Erstmals war es Zuschauern und Pressevertretern bei diesem international verfolgten Verfahren möglich, bei der Urteilsverkündung sich an die für die Nebenkläger erfolgte arabische Übersetzungder Urteilsbegründung anzuschließen. Am 21.5.2025 hatte der 5. Strafsenat zudem Deard M. u.a. wegen Unterstützung des „IS“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Am 2.9.2025 wird das Hauptverfahren gegen Duygu D. wegen des Vorwurfs, sich von März 2015 bis März 2022 dem sog. „IS“ angeschlossen zu haben, beginnen. Derzeit sind sechs Folgetermine bestimmt.
In dem vom 8. Strafsenat geführten Staatsschutzverfahren gegen Heinrich XIII. und weitere acht Angeklagte wurden seit der Eröffnung im Mai 2024 bereits 77 Verhandlungstage durchgeführt und 17 Zeugen vernommen. Die Beweisaufnahme in diesem ausgesprochen umfangreichen Verfahren dauert an. Die Entscheidung des 8. Strafsenats über die Eröffnung eines selbständigen Einziehungsverfahrens wegen eines nach dem Außenwirtschaftsgesetz strafbaren versuchten Embargo-Verstoßes auf Antrag der Bundesanwaltschaft steht unmittelbar bevor. Eingezogen werden soll ein Kontoguthaben von mehr als 720 Mio. € eines Finanzinstituts bei einer in Frankfurt am Main ansässigen Bank. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens im Zusammenhang mit zwei Anklagen wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft im „IS“ wird der 8. Strafsenat voraussichtlich im Lauf dieses Sommers entscheiden. Ebenfalls im Zwischenverfahren befinden sich zudem zwei Verfahren des 5. Strafsenats, in denen es um den Vorwurf der Unterstützung des „IS“ durch Geldzahlungen geht. Ein weiteres Zwischenverfahren betrifft den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung in der „PKK“. Schließlich ist ein mit 45 Sachakten sehr umfangreiches Zwischenverfahren gegen drei in Untersuchungshaft befindliche Personen anhängig, denen geheimdienstliche Agententätigkeit für einen russischen Geheimdienst vorgeworfen wird.
„Seit 10 Tagen nehmen zwei Senate die Aufgaben des Commercial Court am OLG wahr“, berichtete Präsident Dr. Seitz weiter. „Die Verfahren werden erstinstanzlich von hochqualifizierten, unabhängigen Richterinnen und Richtern – auf Wunsch der Parteien auch in Englisch – geführt und entschieden. In geeigneten Fällen können die Verfahren auch an erfahrene Güterichterinnen und -richter des Oberlandesgericht Frankfurt am Main verwiesen werden“. Zuständig sind die Senate für Wirtschaftszivilsachen mit einem Streitwert ab 500.000,00 €. Hierzu zählen insbesondere Handelssachen und Streitigkeiten im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen. Die Parteien können sich darauf verständigen, Streitigkeiten unmittelbar beim OLG erstinstanzlich verhandeln zu lassen. Die Senate sind darüber hinaus für Berufungen gegen Entscheidungen der am Landgericht eingerichteten Commercial Chambers zuständig. Im Rahmen eines Organisationstermins werden Sach- und Rechtsfragen zunächst strukturiert und das Verfahren auf die Bedürfnisse der Verfahrensbeteiligten zugeschnitten. Anders als im Verfahren der privaten Schiedsgerichtsbarkeit unterfallen diese Verfahren der verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit. Die Spruchkörper bieten damit die Gewähr für objektive Entscheidungen; für die Parteien entstehen weiterhin allein die gesetzlich festgelegten Gebühren. Die in den neuen Spruchkörpern tätigen 11 Richterinnen und Richter sind im erforderlichen Umfang von ihren bisherigen Tätigkeiten freigestellt worden.
Die elektronische Akte ist inzwischen im Bereich der Zivil- und Familiensachen seit Anfang 2025 führend. „Die Umstellung im Strafbereich befindet sich in der Vorbereitung“, berichtete Vizepräsidentin Dr. Römer. „Die Pilotierung hat im Dezember 2024 begonnen. Gegenwärtig läuft die Erprobung weiter. Es ist geplant, im Herbst zu prüfen, ob im Zuge der ab August 2025 vorgesehenen Umstellung erster Instanzgerichte auf die führende elektronische Akte auch eine vorzeitige Umstellung des Oberlandesgerichts vor dem vom Gesetzgeber vorgegebenen verbindlichen Start am 1.1.2026 erfolgen soll.“
Im Zusammenhang mit dem Um- und Neubau des Justizstandortes Konstablerwache wurde inzwischen das unmittelbar neben dem OLG liegende Gebäude Z vollständig abgerissen. Die Bodenplatte ist eingebaut und 50% des Untergeschosses im Rohbau sind fertiggestellt. Die Rohbauarbeiten im Erdgeschoss haben bereits begonnen. Bis Ende des Jahres sollen nach derzeitiger Planung die Rohbauarbeiten insgesamt abgeschlossen sein und der Ausbau beginnen. Da das Gebäude Z in unmittelbarer Nachbarschaft zur Wohnbebauung und dem vom OLG genutzten Gebäude D liegt, stellen die notwendigen Absprachen besondere Herausforderungen für alle Beteiligten dar.
„Ich bin zuversichtlich, dass wir auch 2025 unsere vielfältigen Aufgaben in den gegenwärtig bewegten Zeiten verlässlich und kompetent verrichten und damit unseren Anteil zur fortbestehenden Gewährleistung eines funktionsfähigen Rechtsstaats leisten werden“, schloss Präsident Dr. Seitz die heutige Pressekonferenz.
OLG Frankfurt am Main, 10.07.2025