Karlsruhe, 4. November 2025 (JPD) – Die Triage-Regelungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) verstoßen gegen das Grundgesetz und sind nichtig. Das entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss (Az. 1 BvR 2284/23, 1 BvR 2285/23). Nach Auffassung der Richterinnen und Richter fehlt dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für die im Jahr 2022 eingeführten Bestimmungen zur Priorisierung medizinischer Behandlungen in Situationen knapper intensivmedizinischer Ressourcen.

Bundeskompetenz für Triage-Regelungen fehlt

Die angegriffenen Vorschriften des § 5c IfSG bestimmten, nach welchen Kriterien Ärztinnen und Ärzte bei einer sogenannten Triage – also bei nicht ausreichenden Behandlungskapazitäten – Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen treffen müssen. Die Verfassungsbeschwerden, erhoben von Fachärztinnen und Fachärzten der Intensivmedizin, hatten Erfolg. Das Gericht sah einen Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), der mangels formeller Verfassungsmäßigkeit nicht gerechtfertigt sei.

Nach Auffassung des Senats kann sich der Bund nicht auf den Kompetenztitel für Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) stützen. Die Triage-Regelungen dienten nicht der Eindämmung oder Vorbeugung übertragbarer Krankheiten, sondern knüpften lediglich an deren Folgen an. Sie seien damit Teil eines „reinen Pandemiefolgenrechts“, für das die Zuständigkeit bei den Ländern liege.

Auch andere Kompetenzgrundlagen, etwa für die öffentliche Fürsorge, das bürgerliche Recht oder das Strafrecht, seien nicht einschlägig. Die Bestimmungen beträfen vielmehr die ärztliche Berufsausübung und die innerklinische Ressourcenverteilung – Bereiche, die dem Gesundheitswesen und damit überwiegend den Ländern zugeordnet sind.

Länder tragen Verantwortung für diskriminierungssensible Regelungen

Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes könne auch nicht aus der „Natur der Sache“ abgeleitet werden, so das Gericht. Es sei nicht erkennbar, dass allein der Bund in der Lage wäre, Diskriminierungsrisiken in Triage-Situationen wirksam zu begegnen. Die Länder seien verfassungsrechtlich verpflichtet, entsprechende Allokationsregeln zu entwickeln, die diskriminierungssensible Entscheidungen im Gesundheitswesen sicherstellen.

Die Nichtigkeitserklärung umfasst nicht nur die Absätze 1 bis 3, sondern auch die Absätze 4 bis 7 des § 5c IfSG, da diese in untrennbarem Zusammenhang mit den für verfassungswidrig erklärten Regelungen stehen. Der Beschluss erging mit sechs zu zwei Stimmen.

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