Bei einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Bundestags wurde der Gesetzentwurf zur zweijährigen Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte kontrovers diskutiert. Während Kommunalvertreter die Maßnahme zur Entlastung der Städte und Gemeinden begrüßen, kritisieren Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen die unzureichenden Härtefallregelungen und warnen vor Verstößen gegen Grund- und Menschenrechte. Experten betonten die Notwendigkeit klarer, transparenter Härtefallprüfungen, während andere den Entwurf als wichtigen Beitrag zur Begrenzung der Zuwanderung sehen.

Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD „zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten“ (21/321) ist unter Sachverständigen umstritten. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am Montag deutlich. Der Gesetzentwurf sieht vor, den Nachzug für zwei Jahre auszusetzen. Zugleich soll eine Familienzusammenführung in Härtefällen weiterhin möglich sein. 

Einig waren sich die Sachverständigen in der Einschätzung, dass es keinen grundgesetzlichen Anspruch auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte gibt. Umstritten blieb, ob die in Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz geregelten Einzelfallprüfungen eine ausreichende Härtefallregelung erlauben. Aus Sicht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, des Deutschen Caritasverbandes und des International Refugee Assistance Projects ist das nicht der Fall. 

Kommunalvertreter sprachen sich für den Gesetzentwurf aus, weil damit der Überlastung von Städten, Landkreisen und Gemeinden entgegengewirkt werden könne. Andere Sachverständige hielten die geplante Neuregelung mit Blick auf die angekündigte Migrationswende für nicht ausreichend. 

Das Vorhaben verstößt laut Kerstin Becker vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband gegen das grund- und menschenrechtlich garantierte Recht auf Schutz des Familienlebens der Betroffenen, die in der Regel schon seit Jahren auf ein Visum zum Familiennachzug warten. Es widerspreche zudem dem Koalitionsvertrag, laut dem die Familien in den Mittelpunkt gestellt und die „sogenannte illegale Migration“ bekämpft werden solle. Mit dem Entwurf würden aus ihrer Sicht jedoch legale und sichere Migrationswege ausgesetzt. 

Yana Gospodinova vom Deutschen Caritasverband forderte eine verlässliche, wirksame und rechtstaatlich tragfähige Härtefallregelung. „Die Aussetzung kann nur erfolgen, wenn eine offene und einzelfallbezogene Abwägung tatsächlich möglich ist“, sagte sie. Der Verweis auf Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz reiche dafür „bei weitem nicht aus“. Diese Norm sei für hochgradige Einzelfälle konzipiert und habe sich bereits in der letzten Aussetzungsphase 2016 bis 2018 als völlig unzureichend für humanitäre Härtefälle erwiesen. Nötig sei eine Norm mit einem nachvollziehbaren Kriterienkatalog, die durch transparente Antragswege eine Verfahrenssicherheit schaffe. 

Corinna Ujkasević vom International Refugee Assistance Project hält die Regelung in Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz ebenfalls für unzureichend im Sinne einer individuellen Prüfung. „Paragraf 22 wird nicht die Abhilfe schaffen, die sich viele erhoffen.“ Ein weiteres großes Problem ist es laut Ujkasević, dass der Gesetzentwurf keine Stichtagsregelung vorsehe. Dadurch würden auch alle laufenden Verfahren betroffen. Die Betroffenen hätten aber wegen der überlangen Verfahrenszeiten bei den deutschen Botschaften schon mehrere Jahre gewartet. 

Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht Leipzig, hält den Entwurf indes für geeignet, „das mit ihm verfolgte Ziel der Zuwanderungsbegrenzung zu erreichen“. Das Grundgesetz gewähre keine Ansprüche auf Einreise in das Bundesgebiet für Familienangehörige von hier lebenden subsidiär Schutzberechtigten. Auch das Unionsrecht stehe der Begrenzung der Zuwanderung nicht im Wege. Gleichwohl sollte erwogen werden, eine Übergangsregelung für Fälle in das Gesetz aufzunehmen, in denen Deutschland rechtskräftig zur „ermessensfehlerfreien Neubescheidung von Familiennachzugsbegehren verpflichtet worden ist“. 

Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz sagte, subsidiär Schutzberechtigte könnten ihre Familie auch dann nachholen, wenn sie selbst arbeitslos seien und keine Wohnung hätten. Daraus folge „ein Familiennachzug in die Sozialsysteme“, urteilte er. Der Gesetzentwurf unterbinde dies und reagiere damit auf die Nöte der Kommunen. 

Wichtig sei es, wie die Ausnahmeregelungen gehandhabt würden. Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz biete mit seinem Verweis auf völkerrechtliche Gründe für die nötige Konkretisierung der zuständigen Gerichte eine gute Basis. Bei der Konkretisierung gehe es auch um die Frage, ob ein Zusammenleben im Ausland möglich und zumutbar ist. Der Sturz des Assad-Regimes erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass Syrer künftig seltener Anspruch auf Nachzug haben, erklärte Thym. 

Insbesondere im Bereich der Wohnraumversorgung sowie in den Kindertagesstätten und Schulen wird die Aussetzung zu dringend notwendigen Entlastungen führen, heißt es in der Stellungnahme der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände. Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag sagte während der Anhörung, es gehe auch um den Erhalt der gesellschaftlichen Akzeptanz für Fluchtzuwanderung. 

Johann Friedrich Killmer vom Deutschen Städtetag sieht in der befristeten Aussetzung ein Instrument, um den Städten Entlastung zu verschaffen, auch wenn der Nachzug integrationsfördernd wirke. Finn-Christopher Brüning vom Deutschen Städte- und Gemeindebund sprach sich dafür aus, während der Aussetzung diplomatische Gespräche mit den Herkunftsstaaten zu führen, um die Gründe für das Verlassen der Heimat zu beenden. 

Privatdozent Roman Lehner von der Georg-August-Universität Göttingen sieht die Härtefallregelung in Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz als geeignet an. Dass diese ausreichend sei, habe das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung zum Kindenachzug zu subsidiär Schutzberechtigten im Jahre 2022 bestätigt. 

Marten Franke, Richter am Verwaltungsgericht Köln, hält es für problematisch, dass die derzeit geplante Regelung im Unterschied zu der letzten Aussetzung zwischen 2016 und 2018 auch Personen erfassen solle, die sich bereits auf einer Warteliste zur Terminvergabe für ein Visum befinden oder gar schon förmlich ein Visum beantragt haben.

Als „reine Symbolpolitik“ bezeichnete Professor Hansjörg Huber von der Hochschule Zittau/Görlitz die Aussetzung. Vor dem Hintergrund von zwei Millionen Asylanträgen von 1990 bis 2024 und vor der Tatsache, dass inzwischen über ein Prozent der afghanischen Bevölkerung (400.000 Menschen) in Deutschland lebe, erscheine die Aussetzung des Nachzugs mit jährlich 12.000 Menschen, „wie reine Symbolik ohne spürbare Abhilfe“, sagte er.

HiB Nr. 232, 23.06.2025

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