Der 2. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 8. Dezember 2022 in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung.


    1) 11.00 Uhr – B 2 U 19/20 R – G. M. ./. Unfallkasse Sachsen-Anhalt
    beigeladen: Verwaltungs-BG


    Vorinstanzen:
    Sozialgericht Halle – S 23 U 67/18, 07.11.2019
    Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – L 6 U 14/20, 24.09.2020


    Die Revision der Klägerin war im Sinne der Verurteilung der notwendig Beigeladenen erfolgreich. Die Klägerin hat auf dem Weg zum öffentlichen Adventssingen in den Räumlichkeiten einer evangelischen Kirchengemeinde einen Arbeitsunfall erlitten.
    Seit dem Gesetz zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen vom 9.12.2004 ist der Versicherungsschutz nicht mehr von einem unmittelbar ehrenamtlichen Tätigwerden für eine Religionsgemeinschaft abhängig. Ausreichend ist seither ein nur mittelbar ehrenamtliches Tätigwerden über eine privatrechtliche Organisation (§ 2 Abs 1 Nr 10 Buchst b SGB VII). Die Klägerin war für eine private Organisation mit ausdrücklicher Einwilligung einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft tätig. Denn das Adventssingen des privat organisierten Frauenchores fand nach den bindenden Feststellungen des LSG freiwillig, unentgeltlich und im Interesse des Gemeinwohls im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung statt. Auf die weitergehende Bekleidung eines Ehrenamts kommt es für den Versicherungsschutz bürgerschaftlich Engagierter nicht an. Der Weg zur Teilnahme am beabsichtigten Adventskonzert stand deshalb in innerem Zusammenhang mit dem versicherten Ehrenamt, selbst wenn die Klägerin das Singen in dem Chor vornehmlich aus Freude am Gesang und der Gemeinschaft ausüben wollte. Dass eine ehrenamtliche Tätigkeit mit Freude daran oder an der Gemeinschaft ausgeübt wird, gehört zum Wesen des Ehrenamts.
    Zuständig für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz ist die beigeladene Verwaltungs-Berufsgenossenschaft. Der subsidiäre Versicherungsschutz kraft Satzung der Beklagten (§ 3 Abs 1 Nr 4 SGB VII iVm § 34 Abs 2 der Satzung) tritt dahinter zurück.

    12.00 Uhr – B 2 U 17/20 R – S. GmbH ./. BG Rohstoffe und chemische Industrie
    beigeladen: BG Verkehr


    Vorinstanzen:
    Sozialgericht Dortmund – S 18 U 886/12, 07.10.2016
    Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 4 U 751/16, 05.06.2020


    Die Revision der Klägerin war erfolglos. Die ursprünglich richtig festgestellte Zuständigkeit hat sich
    nachträglich nicht wesentlich geändert.
    Die Beklagte ist seit jeher für die Unternehmen der Tierkörperverwertung und -beseitigung und die
    Beigeladene für gewerbsmäßige Fuhrwerksbetriebe zuständig. Von der
    Verordnungsermächtigung zur Neuregelung der sachlichen Zuständigkeit hat das BMAS keinen
    Gebrauch gemacht. Die Sonderzuständigkeit der Beklagten für Betriebe der
    Tierkörperbeseitigungsbranche verdrängt die allgemeine Zuständigkeit der Beigeladenen für
    Unternehmen des gesamten straßengebundenen Verkehrsgewerbes. Zwar befördert die Klägerin
    mit ihrem Fuhrpark auch tierische Abfälle und Tierkörper. Diese muss sie aber im Verbund mit der
    Tierkörperbeseitigung anbieten (§ 3 Abs 3 Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz), so dass
    die Entsorgungssparte prägend bleibt.
    Es fehlt auch an einer grundlegenden Umgestaltung des Unternehmens (§ 136 Abs 2 Satz 2
    SGB VII). Nur solche Betriebsveränderungen können zu einer Überweisung führen, die das
    Gepräge des Unternehmens (seine Struktur) grundlegend umgestaltet haben mit der Folge, dass
    das Unternehmen mit seiner Tätigkeit nicht mehr in die bisherige Gefahrengemeinschaft passt. Ein
    bloßes Überwiegen des neuen Schwerpunktes – wie hier – genügt nicht.
    Die fortbestehende Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten und die strengen
    Überweisungsvorschriften greifen zwar in die allgemeine Handlungsfreiheit der Klägerin ein (Art 2
    Abs 1 Halbsatz 1 GG) und können auch den freien Dienstleistungsverkehr beschränken (Art 56,
    57 AEUV). Sie sind aber durch die mit der gesetzlichen Unfallversicherung angestrebte
    Haftungsbegrenzung und Pflichtenübertragung auf leistungsfähige Unfallversicherungsträger
    gerechtfertigt, mit denen das finanzielle Gleichgewicht dieses Zweigs der sozialen Sicherheit in
    Deutschland gewährleistet wird.


    2) 13.00 Uhr – B 2 U 14/20 R – R. H. ./. Unfallversicherung Bund und Bahn


    Vorinstanzen:
    Sozialgericht Freiburg – S 13 U 3581/17, 20.11.2018
    Landessozialgericht Baden-Württemberg – L 10 U 4485/18, 30.04.2020


    Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Recht
    verpflichtet, das Unfallereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Kläger hat als Mitglied eines
    DRK-Ortsvereins auf dem Weg zur Jahreshauptversammlung eines befreundeten DRKOrtsvereins
    einen Arbeitsunfall erlitten.
    Der Versicherungsschutz ergibt sich aus § 2 Abs 1 Nr 12 SGB VII. Personen, die in Unternehmen
    zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind
    oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen
    Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen, sind danach kraft Gesetzes
    unfallversichert. Versichert sind nicht nur Hilfetätigkeiten in Unglücksfällen, sondern auch sonstige
    Tätigkeiten, die den Zwecken des Hilfsdienstes wesentlich dienen. § 2 Abs 1 Nr 12 SGB VII schützt
    umfassend die unentgeltliche, insbesondere ehrenamtliche Tätigkeit, die dem öffentlichen
    Interesse sowie Wohl und damit dem Interesse der Allgemeinheit dient. Entscheidend ist ein
    innerer Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Ausreichend kann bereits der gegenseitige Austausch sein. Denn das Interesse am gegenseitigen Austausch auch mit Mitgliedern anderer Hilfeleistungsunternehmen liegt in der Natur der Sache eines Hilfeleistungsunternehmen. Dieser kann (auf) eine mögliche Zusammenarbeit mit anderen Organisationen im Ernstfall vorbereiten, ua fachliche und verwaltungsorganisatorische Vorteile bringen, eine kritische Sicht auf eigene Abläufe ermöglichen und bietet zudem die Möglichkeit, dabei die Identifikation mit dem eigenen Hilfeleistungsunternehmen zu stärken.
    Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG zur gelebten und gängigen Praxis der gegenseitigen Besuche war die Fahrt zur Generalversammlung des Ortsvereins B. der versicherten Tätigkeit des Klägers zuzurechnen. Er hat sie in der erkennbaren Handlungstendenz vorgenommen, dort in seiner Funktion als Vorsitzender seines Ortvereins ein Grußwort zu halten. Zum Unfallzeitpunkt hat der Kläger danach bereits einen (mit-)versicherten Betriebsweg in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt (§ 8 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 12 SGB VII). Denn er ist zusammen mit anderen Vereinsmitgliedern mit dem DRK-Mannschaftsbus gefahren. Anhaltspunkte dafür, dass die Fahrt mit privatwirtschaftlicher Handlungstendenz erfolgte, sind nicht ersichtlich.

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