Der neue Arbitration Trends Report von Freshfields Bruckhaus Deringer zeigt, in welchen Wirtschaftsbereichen künftig vermehrt mit Streitigkeiten zu rechnen ist und was Unternehmen tun können. Folgende Anlässe zum Streit stehen unter anderem im Fokus:

Lieferketten: Vor allem große Bauprojekte sind auf komplexe und lange Lieferketten angewiesen. Die Zulieferer und Auftraggeber müssen sich an neue Sorgfaltspflichten anpassen, mit Preisexplosion und Währungsschwankungen umgehen. Das Risiko einer Insolvenz an einem Punkt der Lieferkette steigt. Unterbrechungen in der Lieferkette führen letztlich zu kostspieligen Verspätungen von Projekten oder machen sie unmöglich. In den Verträgen sollte das bereits berücksichtig werden, genauso wie die Möglichkeit auf Ersatzprodukte oder andere Lieferanten ausweichen zu können.

Invasion Russlands in der Ukraine: Die internationale Gemeinschaft reagierte mit Sanktionen, die Russland mit Gegensanktionen beantwortet hat. Die betroffenen Unternehmen haben zunächst mit (oft vorübergehenden) Handelslösungen reagiert. Da es wenig Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges bzw. der gegenseitigen Sanktionen gibt, erwarten wir, dass dieses Jahr noch immer mehr Streitigkeiten mit Bezug zu Russland oder der Ukraine vor Schiedsgerichte kommen.

Die russische Regierung sorgt dafür, dass ein Rückzug aus dem Land sich alles andere als nicht einfach gestaltet. Sie beschränkt die Möglichkeiten der Investoren aus „unfreundlichen Staaten“ ihre Anteile an russischen Unternehmen zu verkaufen und die Erlöse rechtmäßig zu überführen. Restriktionen führen außerdem dazu, dass der Unternehmenswert sinkt. Darüber hinaus sind Unternehmen, die in der Ukraine vertreten sind, damit konfrontiert, dass ihre Anlagen zerstört oder beschlagnahmt werden.

Es handelt sich um die offensichtliche Verletzungen der internationalen Investitionsstandards. Auf dieser Karte sehen Sie in dunkelblau, welche Länder sogar ein bilaterales Investitionsschutzabkommen (BIT) mit Russland haben und zugleich nun als „unfreundliches Land“ gelten. Die meisten dieser Abkommen versuchen die Ansprüche auf Schiedsgerichtsbarkeit allerdings einzuschränken – mit der Ausnahme der Abkommen, die Italien und Frankreich abgeschlossen haben.

Mindestens 10 Schiedsverfahren gab es seit der Annexion der Krim 2014. Hier haben eine Reihe von Klägern bereits Schadensersatz in beträchtlicher Höhe erhalten. Im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg wurden bislang keine neuen Schiedsverfahren verzeichnet. Wir erwarten allerdings, dass sich dies 2023 ändert. Derzeit sind außerdem geschätzt mindestens 330 Milliarden US-Dollar an russischen Vermögenswerten im Ausland eingefroren, die zur Vollstreckung genutzt werden könnten.

Energiewende: Die Energiewende in Europa hat eine Reihe von Schiedsverfahren ausgelöst. Seit 2010 wurden u.a. Spanien, Italien, die Tschechische Republik, Deutschland und Frankreich mit mehr als 60 Investitionsschiedsverfahren im Wert von mehr als 10 Milliarden Euro konfrontiert, nachdem sie Investitionsanreize für Energien gekürzt hatten. Die Welle von Investitionsklagen warf die Frage nach dem Gleichgewicht zwischen Investitionsschutz und dem Recht der Staaten auf Regulierung auf. Die Neudefinition dieses Gleichgewichts war Ziel der Modernisierung des Vertrags über die Energiecharta (ECT). Einige EU-Mitgliedstaaten halten die vorgeschlagene Reform für unzureichend und so kündigten ihren Austritt aus dem Vertrag an.

Der Austritt aus dem ECT würde die sogenannte Sunset-Klausel auslösen, wonach der Schutz für bestehende Investitionen (inkl. konventionelle Energien) 20 Jahren nach dem Austritt fortbesteht. Aus diesem Grund strebt die EU einen koordinierten Austritt aus dem ECT an, um die ECT-Sunset-Klausel zu verhindern. Allerdings ist dies völkerrechtlich keineswegs sicher. Es wird den Schiedsgerichten überlassen bleiben, zu entscheiden ob – nach einem koordinierten Austritt von EU-Mitgliedstaaten – die Verfallsklausel des ECT gilt oder nicht.

Quelle: Freshfields, Pressemitteilung vom 1. März 2023

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