
Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verurteilte heute unter dem Vorsitz von Dr. Hannes Breucker einen jetzt 33-jährigen syrischen Staatsangehörigen unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Tötung (insoweit in Tateinheit u.a. mit einem Verbrechen des Mordes), zwangsweise Überführung mit Todesfolge, Folter und Freiheitsberaubung sowie Kriegsverbrechen gegen Personen und gegen Eigentum zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe.
Feststellungen des Senats zu den Taten
Nach den Urteilsfeststellungen hatte sich der Angeklagte in Syrien kurz nach Beginn der Unruhen 2011 in seiner Heimatstadt Busra Al Sham, einer Kleinstadt im Süden von Syrien, einer örtlichen schiitischen Miliz angeschlossen, die von der Hisbollah unterstützt wurde. Dabei wollten er und die weiteren Milizionäre auch mit Waffengewalt den Machterhalt des Assad-Regimes und zugleich ihre eigene Position sichern. In der Heimatstadt des Angeklagten, in der etwa 25 % Schiiten und 75 % Sunniten lebten, wurde nach Ausbruch der Unruhen und des Bürgerkriegs um einzelne Viertel und Straßenzüge gerungen, was zu einer Zweiteilung der Stadt führte. Während des Tatzeitraums behielt das Regime zusammen mit den örtlichen schiitischen Milizen als regimeloyale Kräfte bis 2015 die Kontrolle jedenfalls über das Stadtzentrum, den Süden und Südosten der Stadt. Das Assad-Regime griff im Verlauf der Unruhen verstärkt auf diese örtlichen schiitischen Milizen, die mit den syrischen Sicherheitskräften kooperierten und durchaus selbstständige Entscheidungen etwa über festzunehmende Personen trafen, zurück. Beim Vorgehen des Assad-Regimes gegen die syrische Zivilbevölkerung ab Beginn der Unruhen 2011 handelte es sich um einen ausgedehnten und systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung im Sinn des Völkerstrafgesetzbuchs und ab Anfang 2012 um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt.
In dieses Vorgehen des Regimes fügten sich der Angeklagte und die örtliche Miliz mit mehreren Übergriffen ein, wobei sie die als Gegner des Regimes begriffene sunnitische Zivilbevölkerung vor Ort terrorisierten, um diese einzuschüchtern und möglichst dauerhaft aus der Stadt zu vertreiben. Zur Erreichung dieses Ziels überfiel der Angeklagte nämlich gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Miliz zwischen August 2012 und 2014 in Altstadtvierteln von Busra Al Sham wohnhafte Sunniten in den Abend- oder Nachtstunden in ihren Häusern. Dabei drangen die bewaffneten Milizionäre martialisch auftretend in Häuser ein, holten die Bewohner unter Schlägen aus den Zimmern und trieben sie im Hof oder auf der Straße zusammen.
Bei einem Überfall im August 2012 erschoss ein Gruppenmitglied der aus über 20 mit Kalaschnikows bewaffneten Milizionären bestehenden Gruppe dem gemeinsamen Tatplan entsprechend einen damals 21-jährigen unbewaffneten Studenten. Zudem wurde das Haus geplündert, neben Laptops und anderen Wertgegenständen auch Türen und Weinreben mitgenommen und ein Motorrad sowie Zimmer in Brand gesetzt. Der Angeklagte handelte insoweit als Mittäter. In Folge einer von den Ältesten ausgehandelten Feuerpause verließen neben der überfallenen Familie weitere Bewohner das Viertel. Die Mutter und ein Bruder des Getöteten sind Nebenkläger im Verfahren.
Bei einer weiteren Tat im April 2013 wurde ein damals 27-jähriger Sunnit, ebenfalls Nebenkläger im Verfahren, festgenommen und mit zwei weiteren, auf der Straße festgenommenen jungen Männern dem Militärgeheimdienst übergeben. Alle drei Gefangen wurden auf der etwa einstündigen Fahrt ins Gefängnis des Militärgeheimdienstes in Sweida vom Angeklagten und den Milizionären durchgehend mit Kalaschnikows geschlagen und nach Übergabe an die Geheimdienstmitarbeiter durch diese gefoltert. Sie blieben unter katastrophalen Haftbedingungen in verschiedenen Hafteinrichtungen inhaftiert. Der 27-Jährige gelangte erst nach 46 Tagen wieder in Freiheit, worauf er Syrien verließ. Sein jüngerer Bruder war bereits unmittelbar nach dem Überfall untergetaucht und dann aus Syrien geflohen, die Wohnung der Familie wurde schließlich von einem Milizionär bezogen.
Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2014 wurde bei einem weiteren Übergriff ein damals 40-jähriger sunnitischer Warenhändler mit seiner Familie in den Innenhof getrieben, das Haus nach Wertgegenständen durchsucht, Geld und Gold mitgenommen, er selbst festgenommen und nach 24 Stunden Folter – wegen seiner folterbedingten Verletzungen gehunfähig – auf die Straße geworfen.
Nach den Feststellungen des Senats führte der Angeklagte jedenfalls bei den Taten im April 2013 und im Jahr 2014 die aus fünf bis acht Personen bestehende Gruppe an.
Weitere Informationen zu dem Verfahren
Der Senat verhandelte seit dem 15. Oktober 2024 an 42 Tagen und hörte im Rahmen der Beweisaufnahme 30 Zeugen, überwiegend aus Syrien stammend und nun über die ganze Welt verstreut. So vernahm der Senat Zeugen, die aus Brasilien, Belgien, den Niederlanden und aus allen Teilen Deutschlands anreisten und zum Teil an mehr als einen Hauptverhandlungstermin gehört wurden. Zudem hat der Senat mehrere Sachverständige gehört und in großem Umfang Bild- und Videomaterial in Augenschein genommen. Da während der laufenden Hauptverhandlung das Assad-Regime gestürzt wurde, konnten Zeugen Bilder und Videos der Hafteinrichtungen oder des gebrandschatzten Hauses beibringen. Zahlreiche weitereUnterlagen wurden verlesen oder im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführt.
Auf den Angeklagten, der bei der frühesten Tat das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, aber in seiner Reifeentwicklung bereits abgeschlossen war, wurde Erwachsenenstrafrecht angewandt. Der Angeklagte wurde wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Tötung und zwangsweise Überführung mit Todesfolge in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen durch Tötung, zwangsweise Überführung mit Todesfolge und Plünderung, mit Mord und mit besonders schwerem Raub (Tat August 2012), wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Folter in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen durch grausame und unmenschliche Behandlung jeweils in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen durch grausame und unmenschliche Behandlung jeweils in drei tateinheitlichen Fällen, in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Freiheitsberaubung (Tat April 2013) sowie wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Folter und Freiheitsberaubung in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen durch grausame und unmenschliche Behandlung und Plünderung und mit schwerem Raub (Tat 2014) zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.
Der Senat hat die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dem Angeklagten, den Nebenklägern und dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof steht gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen.
Aktenzeichen
6 St 3 BJs 47/20 Oberlandesgericht Stuttgart
3 BJs 47/20 Generalbundesanwalt
OLG Stuttgart, 03.06.2025