Die Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei Heilbronn haben eine international agierende Tätergruppe zerschlagen, die systematisch sogenannte Stellvertreterprüfungen für Führerscheine organisiert hatte – teils mit Unterstützung von Fahrschulen. Gegen Bezahlung legten dabei Doppelgänger unter fremdem Namen theoretische Prüfungen ab, ohne dass die eigentlichen Bewerber ausreichende Sprach- oder Verkehrskenntnisse besaßen. Am 25. Juni 2025 wurden in einer großangelegten Aktion zwölf Haftbefehle vollstreckt und 29 Objekte in fünf Bundesländern sowie in Bulgarien durchsucht.

 Organisierte Kriminalität bei Führerscheinprüfungen, Ermittlungserfolg der Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizeidirektion Heilbronn gegen bundesweit und international agierende Tätergruppierung

Bereits seit Januar 2025 ermitteln Spezialisten für Organisierte Kriminalität, die OK-Abteilungen von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizeidirektion Heilbronn, gegen eine Gruppierung von Personen, deren kriminelles Vorgehen dazu führt, dass Menschen ohne geprüfte Kenntnisse deutscher bzw. europäischer Straßenverkehrsregeln und trotz mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse eine Bescheinigung über eine bestandene theoretische Führerscheinprüfung erhalten.

Es konnte ermittelt werden, dass die Gruppierung gegen Bezahlung veranlasst, dass besonders ausgesuchte Personen, unter unrechtmäßiger Verwendung von Ausweispapieren des tatsächlich zur Prüfung angemeldeten Fahrerlaubnisbewerbers, dessen theoretische Führerscheinprüfung ablegen, sozusagen eine Stellvertreterrolle einnehmen.

Die entsprechenden Stellvertreter werden bundesweit ausgesucht und, falls es erforderlich ist, auch optisch dem Äußeren der Prüflinge angepasst. Diese Vorgehensweise ist ein bundesweit auftretendes Phänomen. Den Heilbronner Ermittlern ist es hierbei gelungen, eine Bandenstruktur zu erkennen und verschiedene Hierarchieebenen offenzulegen.

Bei den Stellvertretern handelt es sich um einen geschlossenen Personenkreis und überwiegend um Angehörige der syrisch-kurdischen Volksgemeinschaft. Diese Stellvertreter agierten in den meisten Fällen von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen aus und legten am Tag der anberaumten Führerscheinprüfung kilometerlange Strecken zurück, um an Stelle des angemeldeten Prüflings an dieser teilzuhaben.

Im Rahmen der Ermittlungen konnte in Erfahrung gebracht werden, dass ein 52-jähriger Heilbronner Fahrschulinhaber deutscher Nationalität im Verdacht steht, vermutlich bereits seit 2022 das beschriebene Modell der Stellvertreterprüfungen anzuwenden und sich so eine beachtliche Einnahmequelle verschafft zu haben. Zudem soll er seine beiden Söhne in die Abläufe involviert haben.

Der 52-Jährige soll hierbei eng mit einem 38-jährigen, in Heilbronn gemeldeten Bulgaren zusammengearbeitet haben, um sich auch diese Gruppe von Interessenten zu erschließen. Der Bulgare soll bulgarische Landsleute an den Fahrschulinhaber vermittelt haben, die in der Folge – ohne oder mit nicht ausreichender Anwesenheit im Theorieunterricht – eine für die Theorieprüfung erforderliche Ausbildungsbescheinigung erhalten haben sollen. Nach den Ermittlungen soll es im Dezember 2022 zu einer ersten nachvollziehbaren Stellvertreterprüfung eines von dem bulgarischen Tatverdächtigen vermittelten Fahrerlaubniserwerbers gekommen sein, wovon der 52-jähriger Heilbronner Fahrschulinhaber und der bulgarische Staatsangehörige finanziell profitierten. Bereits im Ermittlungskomplex Harbour zur Bekämpfung der Zwangsprostitution in der Heilbronner Hafenstraße im Jahr 2022 fiel der 52-jährige Heilbronner Fahrschulinhaber auf, da er damals einem der Hauptbeschuldigten ohne tatsächliche Durchführung der Theorieausbildung eine Ausbildungsbescheinigung ausgestellt haben soll.

Wie sich bei den Ermittlungen herausstellte, soll ein 37-jähriger, in Heilbronn wohnhafter Syrer die Rolle des Organisators von Stellvertretern übernommen haben. Dieser soll in engem Kontakt zu dem benannten Bulgaren und der Heilbronner Fahrschule gestanden haben. Der Fahrschulinhaber soll dem 37-Jährigen Lichtbilder potentieller Fahrerlaubnisbewerber übermittelt haben, damit er sich um gleichaussehende Stellvertreter kümmern konnte. Ebenso soll der Syrer vor der eigentlichen Prüfung die originalen Ausweisdokumente der Fahrerlaubnisbewerber entgegengenommen haben, um diese zum Zwecke der Prüfungslegitimation an die Stellvertreter zu übergeben und nach erfolgter Prüfung auch wieder – meist über den Fahrschulinhaber – an die Fahrerlaubnisbewerber auszuhändigen.

Ein weiterer, ebenfalls in Heilbronn lebender 24-jähriger Syrer soll als Koordinator für den 37-Jährigen in Erscheinung getreten sein. Er soll Prüfungen terminiert und den Kontakt zur Heilbronner Fahrschule gehalten haben, von wo aus die Aufträge erfolgten.

Es konnten parallele Verbindungen zu einer Göppinger Fahrschule und einem 47-jährigen Deutschen festgestellt werden. Dieser soll als inoffizieller Geschäftsführer der Fahrschule fungiert, seine Fahrschüler an den syrischen Organisator vermittelt und ebenfalls von diesem lukrativen Geschäftsmodell profitiert haben.

Durch umfangreiche, überwiegend verdeckt geführte kriminalpolizeiliche Ermittlungen konnten eine Vielzahl an Fällen mit dem benannten Modus Operandi festgestellt werden. Für eine erfolgreich abgelegte Prüfung durch Stellvertreter mussten die Fahrerlaubnisbewerber bis zu 3.000 Euro, vereinzelt bis zu 5.000 Euro bezahlen.

Stellvertreterprüfung:

Der Ausgangspunkt für die Durchführung einer Stellvertreter-Prüfung ist die grundsätzliche Beauftragung durch einen Fahrerlaubnisbewerber, der aufgrund verschiedenster Einschränkungen nicht in der Lage ist, die notwendigen Kenntnisse über Verkehrsregeln und -gesetze zu erlernen und in der Folge die theoretische Fahrprüfung zu bestehen. Im Rahmen der Ermittlungen konnte nachvollzogen werden, dass es hierbei zu unterschiedlichen Verfahrensweisen kommt:

Nach derzeitigen Ermittlungsstand ist bekannt, dass die Fahrerlaubnisbewerber durch Mund-zu-Mund-Propaganda Kenntnis über das Angebot entsprechender Fahrschulen bzw. Mittelsmänner erlangt haben und durch Empfehlung oder direkter Anfrage von Seiten der Fahrschule die „Sonderleistung“ der Stellvertreter-Einsätze in Anspruch genommen haben. Die Kontaktvermittlung soll daher überwiegend über die genannten, in Heilbronn lebenden Mittelsmänner, den 38-jährigen Bulgaren, den 37-jährigen Syrer und dessen syrischen 24-jährigen Koordinator erfolgt sein.

Erschwerend kommt hinzu, dass davon auszugehen ist, dass die Betreiber der beiden Fahrschulen in Heilbronn und Göppingen wussten, dass die entsprechenden Fahrerlaubnisbewerber offensichtlich nicht in der Lage sind, die theoretischen Voraussetzungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Verkehrsraum zu erfüllen. Trotzdem sollen sie die benötigten Ausbildungsbescheinigungen übermittelt und damit die Prüfungsreife des Prüflings bestätigt haben.

Aufgrund der nahezu wöchentlich stattfindenden Stellvertreterprüfungen an verschiedenen TÜV Standorten waren dem Täterkreis die dort eingesetzten Prüfer bestens bekannt. Die beiden Gebietsverantwortlichen Syrer überprüften routinemäßig vor jeder Prüfung, welcher Prüfer am entsprechenden Ort anwesend war. Hatte der Prüfer etwa in der Vergangenheit einmal einen Täuschungsversuch erkannt und wurde durch die Täter daher als besonders aufmerksam eingestuft, wurden die Stellvertreter wieder nach Hause geschickt – egal aus welchem Bundesland sie angereist waren. Auch die genannten Stellvertreter haben im Ermittlungszeitraum selbständig, kurz vor Prüfungsbeginn den Vorgang abgebrochen, wenn sie in der Warteschlange vor dem TÜV den Verdacht schöpften, dass ein Prüfer besonders aufmerksam die vorgehaltenen Ausweispapiere überprüfte.

Die hier bekannt gewordene Gruppierung soll Stellvertreter-Prüfungen hauptsächlich in Baden-Württemberg und vereinzelt in Bayern organisiert haben. Die hauptsächlich verdeckt geführten Ermittlungen gegen zahlreiche Stellvertreter ergaben, dass diese mutmaßlich durch weitere Gruppierungen im gesamten Bundesgebiet beauftragt wurden und dort im Einsatz waren.

Neben den bundesweit nachvollziehbaren Aktivitäten konnte zudem festgestellt werden, dass die Vermittlung der bulgarischen Fahrerlaubnisbewerber durch den 38-jährigen bulgarischen Mittelsmann u.a. durch Scheinanmeldungen der Prüflinge im Heilbronner Raum erfolgt sein soll. Aufgrund dieser Tatsache erfolgte ein Informationsaustausch mit der bulgarischen Staatsanwaltschaft sowie den dortigen Sicherheitsbehörden. Zur Koordinierung und Durchführung polizeilicher Maßnahmen in Bulgarien wurden die Ermittlungen durch das @ON-Netzwerk unterstützt, das von der EU-Kommission finanziert und von der italienischen Antimafia-Ermittlungsdirektion (DIA) geleitet wird. Operativmaßnahmen am 25.06.2025:

Insgesamt wurden vor dem Hintergrund der gewerbs- und bandenmäßigen Begehungsweise von der Staatsanwaltschaft Heilbronn beim zuständigen Amtsgericht zwölf Haftbefehle und Durchsuchungsbeschlüsse für 29 Objekte in insgesamt fünf Bundesländern sowie in Bulgarien erwirkt. Davon entfielen auf die Bundesländer Nordrhein-Westfalen sieben, Niedersachsen zwei und Rheinland-Pfalz sowie dem Saarland jeweils ein Objekt.

Die operativen Maßnahmen zur Vollstreckung der Durchsuchungs- und Festnahmebeschlüsse erfolgten nahezu zeitgleich am Morgen des 25. Juni 2025, ab 06:00 Uhr. Im Stadt- und Landkreis Heilbronn wurden insgesamt zwei Fahrschulräumlichkeiten, sieben Wohnungen, eine Gaststätte und ein Lagerplatz, in Sinsheim eine Fahrschulräumlichkeit und eine Wohnung und in Göppingen eine Wohnung sowie zwei Fahrschulräumlichkeiten durchsucht.

Neben den Kräften anderer Bundesländer wurde das Polizeipräsidium Heilbronn hierbei maßgeblich durch Kräfte des Polizeipräsidiums Einsatz, darunter auch Beamte des SEKs Baden-Württemberg unterstützt. Insgesamt waren alleine in Baden-Württemberg über 130 Polizeibeamtinnen und -beamte im Einsatz.

Bis auf eine Ausnahme konnten alle Beschuldigten angetroffen und die jeweiligen Durchsuchungsbeschlüsse sowie die Haftbefehle vollstreckt werden.

Die in Baden-Württemberg festgenommenen Beschuldigten – darunter auch die genannten Hauptakteure – wurden einem Haftrichter beim Amtsgericht Heilbronn vorgeführt, die Haftbefehle aufrechterhalten, in Vollzug gesetzt und die Beschuldigten in verschiedene Justizvollzugsanstalten eingeliefert. Die außerhalb von Baden-Württemberg wohnhaften Stellvertreter wurden am jeweiligen Wohnort ebenfalls Haftrichtern vorgeführt, die Haftbefehle wurden ebenfalls aufrechterhalten, in Vollzug gesetzt und die Beschuldigten inhaftiert.

Im Rahmen der Operativmaßnahmen am 25.06.2025 konnten nach bisherigem Kenntnisstand eine hohe fünftstellige Bargeldsumme, Goldmünzen, drei hochwertige Fahrzeuge (Pkw BMW M850I XDrive, Pkw Lamborghini Gallardo, Pkw Audi A6), Schreckschusspistolen sowie eine Vielzahl von technischen und schriftlichen Beweismitteln aufgefunden und sichergestellt werden.

Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Frank Schwörer und Polizeipräsident Frank Spitzmüller resümieren zum Erfolg der Ermittlungen:

„Die erfolgreiche Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen bei der Kriminalpolizei Heilbronn zeigt mir deutlich, dass unsere oftmals langwierigen Strukturermittlungen gegen die Banden- und organisierte Kriminalität jedweder Art richtig und nachhaltig sind“, betont Polizeipräsident Frank Spitzmüller. „Es kostet personelle und vor allem auch finanzielle Ressourcen, wenn wir das so machen und nicht einfach klein beigeben. Unser Ziel ist es, solche Kriminelle dingfest zu machen und vor das Strafgericht zu bringen. Die weiteren Schritte liegen nun auch bei den jeweiligen Fahrerlaubnisbehörden. Jede so erworbene Fahrerlaubnis muss zwingend geprüft und wieder entzogen werden. Das gebietet die Sicherheit im Straßenverkehr.“

Auch der Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Heilbronn, Dr. Frank Schwörer, lobt die umfangreiche und akribische Ermittlungsarbeit aller Beteiligten: „Solche Strukturen sind nur zu erhellen, wenn man sich nicht nur auf das Naheliegende konzentriert, sondern in größeren Zusammenhängen denkt und diese konsequent nachverfolgt. Es liegt auf der Hand, dass solche Geschäftsmodelle weder ein Einzelfall noch ein allein hiesiges Phänomen sind. Aber man muss sie eben mit viel Engagement aufdecken.“

Polizeipräsidium Heilbronn, 27.06.2025

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