
Der Hamburger Verfassungsschutzbericht 2024 dokumentiert einen deutlichen Anstieg politisch motivierter Kriminalität, der vor allem auf die Auswirkungen des Nahostkonflikts zurückgeführt wird – insbesondere im islamistischen, linksextremistischen und rechtsextremistischen Spektrum. Als neue extremistische Gruppierung wurde „Thawra! Hamburg“ wegen antisemitischer und israelfeindlicher Aktivitäten eingestuft, während die Sicherheitsbehörden weiter erfolgreich gegen islamistische Netzwerke wie das inzwischen verbotene Islamische Zentrum Hamburg vorgehen. Auch die Zahl rechtsextremistischer Straftaten nahm deutlich zu, was unter anderem auf höhere Anzeigebereitschaft und verstärkte Nutzung von Meldestellen zurückzuführen ist.
Hamburgs Innensenator Andy Grote und der Leiter des Landesamtes (LfV) für Verfassungsschutz, Senatsdirektor Torsten Voß, haben am heutigen Montag, 23. Juni 2025, den aktuellen Verfassungsschutzbericht vorgestellt.
Der Nahostkonflikt strahlt bundesweit und damit auch in Hamburg, auf nahezu alle extremistischen Phänomenbereiche aus. Eine Vielzahl von Aktionen, Protesten und damit einhergehenden Straftaten wiesen im vergangenen Jahr, unabhängig vom Phänomenbereich, häufig israelfeindliche und antisemitische Elemente auf und sind mit für den deutlichen Anstieg der Zahlen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK) verantwortlich.
So haben auch in Hamburg im vergangenen Jahr wiederholt Versammlungen im Kontext des Nahostkonfliktes stattgefunden, für die Extremisten aus den Phänomenbereichen Islamismus, Islamismus mit Auslandsbezug, Linksextremisten und verschwörungsideologische Extremisten mobilisierten.
In diesem Kontext hat das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg die Gruppierung „Thawra! Hamburg“ als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft. „Thawra“ ist gekennzeichnet durch ausgeprägten Antisemitismus, die Ablehnung des Existenzrechts Israels, die Zusammenarbeit mit linksextremistischen Gruppierungen und Bestrebungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
Bekämpfung islamistischer Netzwerke und Gruppierungen hat weiter hohe Priorität
Ein Schwerpunkt der Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz ist und bleibt die Beobachtung der islamistischen Szene. In Hamburg stieg das Gesamtpotenzial 2024 leicht auf 1.900 Personen (2023: 1.840). Gründe dafür sind die weitere intensive Aufklärung des Dunkelfeldes sowie Zuwächse bei einzelnen islamistischen Gruppierungen, unter anderem bei der Hizb ut-Tahrir (HuT). Die Zahl der Straftaten im Bereich religiöse Ideologie hat sich im Vergleich zum Vorjahr auf 192 erhöht (2023: 62). Wesentlicher Grund für die Steigerungen war nach Einschätzung des LfV Hamburg die Eskalation des Nahostkonfliktes und Reaktionen auch innerhalb der islamistischen Szene in Hamburg.
Gleichzeitig wurden 485 politisch motivierte Straftaten im Bereich der „Ausländischen Ideologie“ in Hamburg erfasst (2023: 270), darunter 41 Gewaltdelikte (2023: 4). Auch dieser Anstieg ist im Wesentlichen auf Taten im Kontext des Nahostkonfliktes zurückzuführen.
Die konsequente Beobachtung und Bekämpfung islamistischer Netzwerke und Gruppierungen ist und bleibt damit eine der wichtigsten Kernaufgaben des Hamburger Verfassungsschutzes. Die Sicherheitsbehörden gehen in Hamburg seit Jahren sehr hart und sehr erfolgreich gegen diese Szene vor. Die Schließung der an der Außenalster gelegenen schiitischen „Imam Ali-Moschee“ und das Verbot des bundesweit tätigen Trägervereins „Islamisches Zentrum Hamburg e. V.“ (IZH) mit seinen Teilorganisationen im Juli 2024 durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) geht maßgeblich auf die jahrelange Beobachtung durch den Hamburger Verfassungsschutz zurück und wurde durch die in Hamburg gesammelten Erkenntnisse erst ermöglicht.
Die erfolgreiche Arbeit der Mitarbeitenden von Staatsschutz und Verfassungsschutz war zudem zuletzt immer wieder Auslöser zahlreicher Ermittlungsverfahren, Durchsuchungen, Festnahmen, Verurteilungen bis hin zu Abschiebungen und Ausweisungen (u. a. der Führungsriege des IZH). Hervorzuheben ist auch die Arbeit der Internet-Spezialeinheit Islamismus, die insbesondere islamistische Aktivitäten in den sozialen Netzwerken im Fokus hat. Durch die intensive Aufklärungsarbeit sind die Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren auf deutlich mehr Personen aufmerksam geworden, die der islamistischen Szene in Hamburg zuzuordnen sind.
Erhöhte Anzeigebereitschaft und Online-Meldestellen lassen PMK-Zahlen steigen
Die rechtsextremistische Szene in Hamburg ist 2024 mit einem Personenpotenzial von 400 Personen (2023: 390) ebenfalls nur leicht gewachsen. Der Anstieg des Potenzials beruht auf Zuwächsen im Bereich des weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials, d. h. auf Rechtsextremisten, die keiner Partei oder sonstigem Personenzusammenschluss angehören.
Die Zahl der von der Polizei Hamburg als rechtsextremistisch eingestuften Straftaten ist im Jahr 2024 im Vergleich zu 2023 von 716 auf 1.272 gestiegen, darunter 116 rechtsextremistische Gewaltdelikte.
Die in absoluten Zahlen größten Anstiege bei rechtsextremistischen Straftaten waren bei den Straftatbeständen § 86a Strafgesetzbuch (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen), § 130 (Volksverhetzung) und § 185 StGB (Beleidigung) zu verzeichnen. Solche Straftaten machen gut 75 Prozent der Gesamtzahl rechtsextremistischer Taten aus. Die Entwicklung ist u. a. auf eine erhöhte gesellschaftliche Sensibilität bzw. Anzeigebereitschaft zurückzuführen, ebenso auf eine verstärkte Akzeptanz und Nutzung entsprechender Meldestellen wie die Zentrale Hinweisaufnahme Rechtsextremismus der Polizei Hamburg oder das Portal des Bundeskriminalamtes. Die Emotionalisierung nach schweren Straftaten durch Täter mit Migrationshintergrund und die Instrumentalisierung solcher Taten, zum Beispiel durch Hassbotschaften und Propagandadelikte im Internet, verstärken diese Entwicklung. Zudem registriert die Polizei Hamburg wiederholt situativ begangene Beleidigungen und Gewalttaten, häufig unter Alkoholeinfluss.
Nahostkonflikt spaltet die linksextremistische Szene
Der linksextremistischen Szene in Hamburg wurden im Jahr 2024 rund 1.050 Personen zugerechnet (2023: 1.060). Die Zahl der in Hamburg erfassten Straftaten im Rahmen der politisch motivierten Straftaten Links lag mit 564 Taten auf einem höheren Niveau im Vergleich zum Vorjahr (2023: 379). Darin enthalten sind 156 linksextremistische Straftaten (2023: 137), davon 16 linksextremistische Gewaltdelikte (2023: 23). Die Steigerungen sind unter anderem auf die Agitation des linksextremistischen Spektrums im Zusammenhang mit den bundesweiten Wahlen in den vergangenen Monaten zurückzuführen. Auch im Kontext des Nahostkonfliktes und der Stärkung der Bundeswehr nach dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine registriert der Verfassungsschutz eine Mobilisierung der Szene.
Die Haltung zu Israel und zu den Palästinensern markiert seit Jahrzehnten eine Sollbruchstelle innerhalb der linksextremistischen Szene. Nach dem terroristischen Überfall der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 hat sich dieser Konflikt neu entzündet und die Szene gespalten. Die autonome Szene gilt zu großen Teilen als israelfreundlich. Antiimperialisten, etwa der gewaltorientierte Rote Aufbau Hamburg, stehen traditionell auf Seiten der HAMAS, denen sie den Status einer „Freiheitsbewegung“ zuerkennen und deren Gewaltanwendung legitimieren. Am 14. Mai 2024 sorgten antiimperialistische und propalästinensische Gruppierungen, darunter Anhänger des Roten Aufbau Hamburg, mit ihrer kurzfristigen Besetzung der Roten Flora für Aufsehen in der gesamten Szene.
Ebenso bedeutsam bleibt die Arbeit des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz im Kampf gegen Cyberspionage und Cyberattacken – nicht zuletzt aufgrund des andauernden Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und der damit einhergehenden Bedrohung für Europa. Daher wurde das Landesamt für Verfassungsschutz zuletzt noch einmal deutlich personell verstärkt, u. a. im Bereich Cyberabwehr. Damit ist die Zahl der Stellen beim Landesamt für Verfassungsschutz in den letzten zehn Jahren um mehr als ein Drittel auf rund 220 Stellen gestiegen.
Innensenator Andy Grote: „Wir erleben unruhige Zeiten, in denen internationale Konflikte auch Auswirkungen auf die Bedrohungslage in Deutschland haben. Insbesondere die Verschärfung des Nahostkonfliktes führt zu Anstiegen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität, bei antisemitischen Straftaten und bei islamistischen Aktivitäten. Unser Verfassungsschutz ist leistungsfähig aufgestellt und sehr dicht dran an den extremistischen Gruppierungen und Strömungen in unserer Stadt. Er informiert die Öffentlichkeit und übt weiterhin hohen Druck insbesondere auf die islamistische Szene aus. Ich danke allen Mitarbeitenden unseres Landesamtes für Verfassungsschutz für ihre erfolgreiche Arbeit zum Schutz unserer Freiheit und Demokratie.“
Senatsdirektor Torsten Voß, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz: „Unsere Gegenwart ist geprägt durch vielfältige Gefahren für unsere Demokratie, für die wir effektive Antworten und Kooperationen jenseits altbekannter Schubladen, Zuständigkeiten und Grenzen benötigen. Ein Beispiel sind die hybriden Bedrohungen, noch einmal potenziert und in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt nach dem völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine. Ein weiteres Beispiel ist der eskalierte Nahostkonflikt nach dem Terrorüberfall der HAMAS auf Israel, den nahezu alle extremistischen Spektren für ihre antidemokratischen Ziele instrumentalisieren wollen. Israelfeindlichkeit und Antisemitismus sind dabei die ideologische Klammer. Wir werden als Frühwarnsystem und Diskursmotor unserer wehrhaften Demokratie auch künftig jede Form des Extremismus im absoluten Fokus behalten.“
„Im vergangenen Jahr 2024 haben wir in Hamburg mit einer festlichen Veranstaltung das 75-jährige Bestehen unseres Grundgesetzes gefeiert – und in diesem Jahr geht es weiter: Das Landesamt für Verfassungsschutz wird 75 Jahre alt, und auch dieses Jubiläum werden wir zum Anlass nehmen, unsere schützenswerte Demokratie in den Vordergrund zu stellen – auch und gerade in diesen Zeiten der vielfältigsten Bedrohungen von vielen Seiten und Phänomenbereichen.“
Der aktuelle Verfassungsschutzbericht, der neben weiteren Zahlen, Daten und Fakten auf den Homepages von Innenbehörde und Landesamt für Verfassungsschutz abrufbar ist, enthält zudem umfangreiche Informationen zur Scientology-Organisation, zur Spionage- und Cyberabwehr, zum Geheim- und Sabotageschutz sowie zu den vielfältigen, gesetzlich vorgeschriebenen Mitwirkungsaufgaben des Nachrichtendienstes.
Behörde für Inneres und Sport Hamburg, 23.06.2025