
Als Reaktion auf den Terroranschlag in Solingen vom August 2024 setzt die nordrhein-westfälische Landesregierung ein umfassendes Maßnahmenpaket mit den Schwerpunkten Sicherheit, Migration und Prävention um, das inzwischen weitgehend realisiert ist. Es umfasst unter anderem ein modernisiertes Verfassungsschutzgesetz, eine stärkere digitale Polizeipräsenz, eine eigene KI-Infrastruktur sowie neue Strukturen zur Rückführung ausreisepflichtiger Personen. Parallel wird die Präventionsarbeit insbesondere in Landesunterkünften intensiviert und Projekte zur Medienkompetenzförderung ausgeweitet.
Als Reaktion auf den Terroranschlag in Solingen vom 23. August 2024 hat die Landesregierung am 10. September 2024 das umfassendste Maßnahmenpaket der Landesgeschichte in den Bereichen Sicherheit, Migration, Prävention beschlossen. Die Landesregierung hat ihren Worten unmittelbar Taten folgen lassen und sich auf ambitionierte Zeitpläne verständigt. Zusätzliche Mittel in einem Volumen von insgesamt 95,5 Millionen Euro wurden bereitgestellt sowie 228 neue Stellen in unterschiedlichen Bereichen eingerichtet.
Am Dienstag, 24. Juni 2025, haben Minister des Innern Herbert Reul, Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration Josefine Paul, Minister der Justiz Dr. Benjamin Limbach und Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei Nathanael Liminski über den aktuellen Stand der Umsetzung des Maßnahmenpakets informiert. Ein sehr großer Teil der Maßnahmen ist bereits abgeschlossen und die längerfristig ausgelegten Maßnahmen sind initiiert und im Plan.
Minister des Innern Herbert Reul: „Der schreckliche Terroranschlag von Solingen hat uns nicht nur wachgerüttelt, sondern auch dringend zu erledigende Hausaufgaben beschleunigt. Die Sicherheitsbehörden brauchen Instrumente, die in die Zeit passen. Polizei und Verfassungsschutz müssen Gefahren erkennen können, bevor aus Extremisten Terroristen werden. Wir haben mit einem kernsanierten Verfassungsschutzgesetz unseren Verfassungsschutz gestärkt. Wir haben der Polizei eine leistungsstarke KI-Infrastruktur an die Hand gegeben. Mit virtuellen Ermittlern und digitaler Streife bauen wir weiter eine schlagkräftige Cyber-Truppe bei der Polizei Nordrhein-Westfalen auf. Viel Wichtiges haben wir schon umgesetzt, Vieles wird noch kommen.“
Minister der Justiz Dr. Benjamin Limbach: „Wir stellen uns der Bedrohung durch terroristische Anschläge entschlossen und mit klarem rechtsstaatlichen Kurs entgegen: In der Justiz setzen wir die Maßnahmen des Sicherheitspakets konsequent um, von besserer Radikalisierungsprävention im Justizvollzug bis zur Spezialisierung von Asylkammern. Unser Sicherheitspaket ist auch im Bund angekommen, indem dort jetzt wichtige rechtspolitische Forderungen im Straf- und Strafprozessrecht aufgegriffen werden sollen. Bei der Strafbarkeit leichtfertiger Terrorismusfinanzierung bleiben wir hartnäckig. Denn wir müssen den Strukturen des Terrors die Finanzquellen entziehen.“
Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration Josefine Paul: „Unser Ziel muss es sein, dass sich Menschen gar nicht erst radikalisieren. Hierfür ist Prävention der Schlüssel. Um Radikalisierung wirksam entgegenzutreten, haben wir im Rahmen des Maßnahmenpakets zahlreiche Projekte insbesondere für junge Menschen und Bewohnerinnen und Bewohner in den Landesunterkünften neu aufgelegt oder verlängert. Es war nach dem schrecklichen Anschlag von Solingen wichtig, dass wir diese wichtige Arbeit zügig in die Umsetzung bringen konnten. Das frühzeitige Erkennen von Radikalisierungstendenzen, um diesen schnell entgegenwirken zu können, ist ein wichtiges Anliegen der Landesregierung. Mit der Stärkung der Zentralen Ausländerbehörden verbessern wir zudem die Prozesse bei Rückführungen und entlasten und unterstützen so gezielt die Kommunen.“
Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei Nathanael Liminski: „Nordrhein-Westfalen bringt den Kampf gegen Desinformation und Radikalisierung im Netz voran. Mit unseren Maßnahmen im Medienbereich bauen wir etablierte Medienkompetenzprojekte wie den #DigitalcheckNRW und NewscheckNRW aus und gehen gleichzeitig neue Wege: So nutzen wir das Potenzial von Games, damit Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen souverän mit Risiken der digitalen Kommunikation umgehen können. Bei der Regulierung konzentrieren wir uns darauf, einen fairen Meinungsdiskurs zu sichern im Dialog mit und in der Mitverantwortung der Plattformen. Und bei der konsequenten Rechtsdurchsetzung setzen wir auf die neuen Chancen, die uns KI bietet.“
Bereich Sicherheit – Überarbeitung des Verfassungsschutzgesetzes, mehr Polizeipräsenz im digitalen Raum und mehr Künstliche Intelligenz in der Polizeiarbeit
Das Verfassungsschutzgesetz des Landes konnte als Teil des Sicherheitspakets schneller vollständig überarbeitet und modernisiert werden, auch um die rechtlichen Befugnisse des Verfassungsschutzes neu zu justieren und die Kontrolle zu stärken. Auf Initiative des Ministeriums des Innern wurde seit Anfang 2024 an dem neuen Regelwerk gearbeitet. Das Verfassungsschutzgesetz ist erstmalig seit mehr als 30 Jahren neu verfasst worden. Unter anderem erhält der Verfassungsschutz künftig die Legitimation, in sozialen Netzwerken oder auf sonstigen Kommunikationsplattformen im Internet verdeckt Informationen zu erheben.
Auch die Präsenz und Ermittlungen der Polizei Nordrhein-Westfalen im digitalen Raum sollen im Rahmen des Maßnahmenpakets erheblich gestärkt und mit moderner Technik unterstützt werden. Hierzu werden in den Polizeipräsidien Bielefeld, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Köln und Münster sowie dem Landeskriminalamt neue Dienststellen bzw. Arbeitsraten mit innovativen und vielfältigen Aufgaben im Rahmen der Früherkennung Politisch motivierter Kriminalität sowie zur Terrorismusbekämpfung eingerichtet. In diesen neuen Staatsschutzdienststellen sollen hochqualifizierte und bestmöglich ausgestattete Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte virtuell im digitalen Raum präsent sein und ermitteln. Hierbei beschränkt sich die Tätigkeit nicht ausschließlich auf soziale Medien. Voraussichtlich Anfang September 2025 wird das Digitale Streifegehen in den nordrhein-westfälischen Polizeibehörden erfolgen. Derzeit laufen schon Fortbildungen dazu.
Die Förderung des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz zur Identifizierung rechtswidriger Inhalte in den sozialen Medien wurde ebenfalls ausgeweitet; unter anderem durch die Verbesserung der technischen Infrastruktur.
Um Künstliche Intelligenz in der Arbeit der Polizei fest zu verankern, baut die Polizei Nordrhein-Westfalen zudem eine eigene KI-Umgebung auf. Die Technik befindet sich bereits in der Fertigung und wird voraussichtlich im Sommer 2025 in Form eines Containers an einen Standort im Großraum Köln geliefert. Noch in diesem Jahr sollen erste KI-Anwendungen für die Analyse von Massendaten, insbesondere im Bereich Text und Sprache oder für die Übersetzung von Fremdsprachen in dieser Infrastruktur laufen und einem breiten Kreis an Polizistinnen und Polizisten zur Verfügung stehen.
Außerdem führt die Polizei Nordrhein-Westfalen landesweit eine neue Datei ein, in der islamistische Prediger und Influencer erfasst werden. Diese Sammlung wird Ende des Jahres in VIVA, dem Vorgangsverarbeitungssystem der Polizei, implementiert.
Bereich Migration – Personelle Verstärkung für die Verwaltungsgerichte und Zentralen Ausländerbehörden
Um die Dauer von Asylverfahren nachhaltig zu verkürzen, wurden im Rahmen des Maßnahmenpaktes die Verwaltungsgerichte gezielt personell gestärkt: Es wurden neun zusätzliche Stellen für Richterinnen und Richter und sechs Stellen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf den Geschäftsstellen geschaffen, was die Einrichtung von drei neuen, ausschließlich für das Asylrecht zuständigen Kammern an den Verwaltungsgerichten Köln, Gelsenkirchen und Minden ermöglicht hat. Alle Asylkammern haben zum Jahresbeginn 2025 ihre Arbeit aufgenommen. Darüber hinaus und unabhängig davon ist an den Verwaltungsgerichten Düsseldorf, Köln und Münster jeweils ein weiterer Asylspruchkörper eingerichtet worden.
Zudem stärkt die Landesregierung auch die Zentralen Ausländerbehörden personell. Ziel ist es, die Zuständigkeit der Ausländerbehörden bei der praktischen Durchführung von Rückführungen schrittweise zu erweitern – bis hin zu einer kompletten Übernahme dieser Prozesse. Damit sollen Kommunen deutlich entlastet und zugleich Rückführungsprozesse zentralisiert werden, um diese mit eigens hierfür geschultem und routiniertem Personal durchzuführen. Dieser Ausbau der Zuständigkeiten wird derzeit rechtlich, technisch und organisatorisch vorbereitet. Eine Pilotierung ist für 2026 vorgesehen.
Neben der personellen Stärkung wurde den Zentralen Ausländerbehörden außerdem Zugriff auf die elektronischen An- und Abwesenheitssysteme der Unterbringungseinrichtungen im Land ermöglicht. So können abwesende ausreisepflichtige Personen frühzeitig identifizieren werden.
Um die Mitteilungspflichten der Justiz und der Polizei an die Ausländerbehörden besser erfüllen zu können, wird zudem die Einführung einer zentralen Übersicht abzuschiebender Personen geprüft und vorbereitet. Ziel ist es, zwischen den beteiligten Akteuren einen nach Möglichkeit automatisierten bzw. elektronischen Datenaustausch herbeizuführen.
Im Zuge des Maßnahmenpakets soll außerdem eine weitere Abschiebehaftanstalt so rasch wie möglich in Betrieb genommen werden. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren für die Errichtung der zweiten Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in Mönchengladbach werden aktuell mit Hochdruck vorbereitet.
Bereich Prävention – Einsatz Künstlicher Intelligenz und Ausweitung des #DigitalcheckNRW
Die Landesregierung hat nach dem Terroranschlag von Solingen auf den generell gestiegenen Bedarf zum Thema Extremismus-Prävention reagiert. Gewaltschutzkoordinatorinnen und -koordinatoren werden aktuell sukzessive in allen Landesaufnahmeeinrichtungen neu etabliert. Sie agieren in jeder Einrichtung als Teil des Betreuungsteams und fungieren nach innen als geschulte Kontaktperson für Mitarbeitende sowie Bewohnerinnen und Bewohner. Nach außen sind sie die Netzwerkpersonen für Beratungsstellen sowie für Sicherheitsbehörden.
Das Thema der Prävention darf gleichsam nicht nur bei einzelnen Personen in den Einrichtungen liegen. Daher wird in die Fortbildung und Sensibilisierung aller Mitarbeitenden in den Landeseinrichtungen intensiviert – unter anderem mit offenen Informationsveranstaltungen zum Thema für Beschäftigte von Gemeinschaftsunterkünften an.
Weitere Haushaltsmittel stehen für die Förderung von Radikalisierungspräventionsprojekten in Landesaufnahmeeinrichtungen zur Verfügung. Darunter auch das bereits in der Vergangenheit geförderte Projekt des IFAK e.V., welches Sprechstunden, Fortbildungen und Einzelfallberatungen in den Landesaufnahmeeinrichtungen anbietet. Aber auch neue Projektideen zur Sensibilisierung, Fortbildung, Beratung und Unterstützung in Landesunterkünften wurden auf den Förderaufruf des Landes von engagierten Trägern eingebracht und werden aktuell seitens der Bewilligungsbehörde geprüft.
Zudem stärkt die Landesregierung die Sozialberatung in den Landesunterbringungseinrichtungen sowie der Psychosozialen Zentren insbesondere für Menschen in vulnerablen Situationen, die häufig gezielt angesprochen und angeworben werden. In 2025 können zusätzliche Beratungsstellen gefördert werden, die besondere Angebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene machen oder das Ziel der Radikalisierungsprävention in den Blick nehmen.
Zur Präventionsarbeit gegen islamistische Radikalisierung fördert die Landesregierung außerdem das Projekt „Plan P. – Jugend stark machen gegen islamistische Radikalisierung“, das seit 2016 ein Netzwerk aus Fachkräften der Jugendhilfe etabliert hat. Im Zuge des Maßnahmenpakets wurde das Projekt inhaltlich stärker auf das Thema digitale Ansprachen islamistischer Akteurinnen und Akteure ausgerichtet und die Netzwerkarbeit entsprechend fokussiert. So wurde eine netzwerkinterne digitale Wissens- und Vernetzungsplattform geschaffen.
Als weitere Maßnahme wurden die Mittel der Film- und Medienstiftung NRW für die Förderung von Serious Games erheblich aufgestockt. Erste Förderaufrufe sind veröffentlicht, weitere werden folgen. Daneben werden zusätzliche Mittel für die Entwicklung präventiv wirkender Computerspiele vergeben. Im Rahmen einer Ausschreibung wurde ein Spiel zur Islamismus-Prävention und Förderung kritischer Medienkompetenz bzw. Prävention gegen Desinformation, beauftragt. Der Release eines Trailers und eines ersten spielbaren Prototypen soll zur Gamescom in Köln fertiggestellt sein.
Im Rahmen des Maßnahmenpakets kommt seit Ende 2024 zudem verstärkt Werbung für den #DigitalcheckNRW hinzu sowie inhaltliche Schwerpunkte zu den Themen Radikalisierungsprävention, Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit und Desinformation. Der #DigitalCheckNRW ist ein einfach zugänglicher und kostenloser Selbsttest, der im ersten Schritt dabei hilft, eigenes Wissen und vorhandene Fähigkeiten rund um digitale Medien zu verorten.
Bundesratsinitiativen: Stärkung der Terrorismusbekämpfung und verbesserte Steuerung der Migration
Neben den im Land Nordrhein-Westfalen selbst aufgegriffenen Maßnahmen gibt es zahlreiche Handlungsansätze in den Bereichen der Sicherheits- und Migrationspolitik, die nicht isoliert auf der Landesebene umgesetzt werden können, weil sie ein bundesweites Vorgehen oder die Änderung von bundesrechtlichen Vorgaben voraussetzen. Die Landesregierung hat die hierzu im Maßnahmenpaket aufgeführten konkreten Einzelvorschläge in zwei Bundesratsinitiativen zusammengeführt. Mit den beiden Entschließungsanträgen wird die Bundesregierung zur Stärkung der Terrorismusbekämpfung und Verbesserungen bei der Steuerung und Ordnung der Migration aufgefordert. Zu den Kernforderungen zählen mehr Befugnisse der Sicherheitsbehörden, insbesondere bei der Speicherung von Verkehrsdaten, und gesetzliche Änderungen für eine bessere Terrorbekämpfung sowie eine bundesweite Zentralisierung des Dublin-Überstellungen beim Bund. Nordrhein-Westfalen hat diese Initiativen in der ersten Plenarsitzung, die auf das Attentat folgte, in den Bundesrat eingebracht und vorgestellt. Die Länder Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein sind ihr als Mitantragsteller beigetreten.
JM NRW, 24.06.2025