Der Verfassungsschutzbericht Niedersachsen 2024 stellt eine Zunahme hybrider Bedrohungen, extremistischer Aktivitäten sowie antisemitischer Tendenzen fest – insbesondere im Kontext des Nahostkonflikts und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Rechtsextremismus gilt weiterhin als größte Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wobei der Einfluss extremistischer Kräfte innerhalb der AfD weiter zugenommen hat. Innenministerin Daniela Behrens fordert angesichts der komplexen Bedrohungslage eine konsequente Sicherheitsstrategie und verstärkte öffentliche Aufklärung.

Behrens: „Spionage, Sabotage und Cyberangriffe sowie unzulässige ausländische Einflussnahme haben weiter zugenommen. Extremisten unterschiedlicher Ausprägung attackieren unser friedliches Miteinander, unsere Gesellschaft und unsere Grundwerte. Die Arbeit des Verfassungsschutzes wird angesichts dieser Bedrohungen immer wichtiger“

Das Jahr 2024 war für die Sicherheitsbehörden in vielerlei Hinsicht fordernd. Dies hat sich in den Anforderungen und den Herausforderungen für den Niedersächsischen Verfassungsschutz erneut widergespiegelt. Ursächlich dafür waren und sind unter anderem:

–          der andauernde Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine,

–          der erneut eskalierte Nahostkonflikt,

–          die ungewisse Zukunft unserer Partnerschaft mit den USA,

–          Fragen zur Migration und Integration.

Diese Ereignisse und Themen polarisieren die Gesellschaft und wirken sich auf die Entwicklung des Extremismus in Deutschland und in Niedersachsen aus. Das Ziel aller extremistischen Gruppierungen ist es dabei, die Demokratie hierzulande zu unterwandern. Zudem ziehen die anhaltenden multiplen Krisensituationen vielfältige Bedrohungen durch ausländische Akteure nach sich.

Der Niedersächsische Verfassungsschutzbericht 2024 führt die Erkenntnisse und Analysen zu den Auswirkungen sowie die Entwicklung der unterschiedlichsten Gruppierungen auf. 

Dabei wurden in diesem Jahr mit einem Sonderkapitel die Auswirkungen des Krieges Russlands gegen die Ukraine aufgegriffen.

Vor dem Hintergrund des Nahost-Konfliktes kommen bei propalästinensischen Protesten Gruppierungen mit eigentlich unvereinbaren Positionen zusammen, deren offenkundiges ideologisches Bindeglied der Antisemitismus ist.

Niedersachsens Ministerin für Inneres, Sport und Digitalisierung, Daniela Behrens, sagt: „Die Bekämpfung des Antisemitismus stellt eine gesellschaftliche Herausforderung dar, der wir täglich auf unterschiedlichsten Ebenen begegnen müssen. Der Antisemitismus bildet zwar nach wie vor ein zentrales Ideologieelement rechtsextremistischer Weltanschauung. Allerdings müssen wir aktuell beobachten, dass antisemitische Haltungen und Narrative durch den Nahostkonflikt eine erschreckende Verstärkung erfahren. Islamisten, palästinensische Extremisten, türkische Rechtsextremisten sowie deutsche und türkische Linksextremisten eint der Hass auf Israel sowie Jüdinnen und Juden. Dies wird bei propalästinensischen Versammlungen oder durch das Verbreiten von Hass, Hetze, Propaganda oder Falschinformationen in sozialen Medien immer wieder deutlich. Unsere Sicherheitsbehörden werden gerade auch im Angesicht dieser Gemengelage weiterhin alles tun, was notwendig ist, um jüdisches Leben in Niedersachsen zu schützen!“

Rechtsextremismus

Das niedersächsische Personenpotenzial im Rechtsextremismus ist zuletzt deutlich gestiegen.

Dazu beigetragen hat insbesondere die Zunahme der Rechtsextremisten innerhalb der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) einschließlich deren Jugendorganisation „Junge Alternative“ von 600 auf 850 Mitglieder. Diese Entwicklung basiert auf dem generellen Mitgliederzuwachs der AfD Niedersachsen im vergangenen Jahr.
Auch die neonazistische Szene hat einen leichten Anstieg von 220 auf 270 Personen zu verzeichnen.


Die rechtsextremistischen Parteien und die subkulturelle Szene haben hingegen ihren Abwärtstrend fortgesetzt.

Niedersachsens Verfassungsschutzpräsident, Dirk Pejril, sieht dabei insbesondere ein besorgniserregendes neues Phänomen: „Es kristallisiert sich ein aktionsorientiertes Personenpotenzial an der Schnittstelle zwischen Neonazismus und subkultureller Szene heraus. Diese sich zunächst bundesweit im virtuellen Raum gebildeten Personenzusammenschlüsse wie ‚Jung & Stark‘ oder ‚Deutsche Jugend voran‘ richten sich ausdrücklich an eine junge, teilweise minderjährige aktions- und zum Teil auch gewaltorientierte Zielgruppe. In Niedersachsen lassen sich erste Vernetzungsbestrebungen zu den Jungen Nationalisten beobachten. Wir sehen die Gefahr, dass sich dieses Personenpotenzial verfestigt und damit jüngere Menschen an die neonazistische Szene bindet.“

Innenministerin Behrens betont: „Die größte Gefahr für unsere Gesellschaft geht weiterhin vom Rechtsextremismus aus. Diese Ideologie macht sich die Unsicherheit und Sorgen der Menschen zu eigen, verstärkt damit Zukunftsängste, Ablehnung und Hass. Und hat dabei keine Antworten!“

Die Zahl der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ in Niedersachsen ist um 100 auf etwa 1.180 Personen gestiegen. Die Anzahl der zugleich der rechtsextremistischen Szene zuzuordnenden Personen stagniert bei 40 Personen.

Personen aus dem verfassungsschutzrelevanten Bereich der Querdenkerszene sind in Niedersachsen nicht mehr mit eigenen Aktionen in Erscheinung getreten. Eine Ausweitung auf neue Themenfelder war 2024 nicht mehr festzustellen. Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat daher die Beobachtung der sogenannten Delegitimierer beendet.

AfD

Den extremistischen Kräften innerhalb der AfD ist es gelungen, ihre Machtstellung und damit ihren Einfluss auf die Ausrichtung der Partei weiter auszubauen. Ganz deutlich zu Tage getreten ist dies, bei der Forderung der Parteispitze nach „Remigration“.

Die AfD macht sich damit einen Kampfbegriff der Neuen Rechten zu eigen. Das bedeutet: Sie befürwortet die millionenfache Abschiebung von Menschen, die nach den Wertmaßstäben dieser Partei nicht dem deutschen Volke zuzurechnen sind.

Bei der AfD Niedersachsen und ihren Untergliederungen kann keine Distanzierung von radikalen oder gar extremistischen Positionen und Akteuren festgestellt werden. Besonders klar wird dies immer wieder durch Äußerungen ihrer Mitglieder in den sozialen Medien.

Ministerin Behrens: „Es gilt die weitere Entwicklung der Partei zu beobachten und fortlaufend zu bewerten. Für den Niedersächsischen Verfassungsschutz bietet deshalb die derzeitige Einstufung der AfD als Verdachtsobjekt einen angemessenen Status.

Bei der Innenministerkonferenz haben wir uns mit den anderen Ländern und dem Bund darauf verständigt, die Auswirkungen des AfD-Gutachtens des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf den öffentlichen Dienst und das Dienstrecht sowie auf die Themen Waffenbesitz und Sicherheitsüberprüfungen intensiv zu prüfen. Sollte das Gericht die Einstufung bestätigen, müssen die Antworten auf diese Fragen aus unserer Sicht bereits auf dem Tisch liegen. Niedersachsen geht daher fest davon aus, dass die entsprechende Bund-Länder-Arbeitsgruppe nun zeitnah eingesetzt wird und ihre Arbeit aufnimmt und nicht erst dann, wenn das Gericht entschieden hat. Alles andere wäre den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu vermitteln.“

Hybride Bedrohungen

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ergeben sich immer wieder Hinweise auf hybride Bedrohungen wie Spionage oder Sabotage. Sie richten sich gegen Wirtschaftsunternehmen, gegen Behörden, Kommunen sowie Einrichtungen, die der Kritischen Infrastruktur zuzuordnen sind. Hinzu kommen nahezu täglich nicht genehmigte Drohnenüberflüge auch im Bereich von Objekten der Kritischen Infrastruktur oder militärischer Anlagen. Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass Russland in einer Vielzahl der Fälle verantwortlich für die Drohnenflüge ist, auch wenn sich das nicht eindeutig zuschreiben lässt.

Eine wichtige Strategie zum angemessenen Risikomanagement und zur Abwehr hybrider Bedrohungen liegt für die Sicherheitsbehörden – und damit auch für den Niedersächsischen Verfassungsschutz – in der Prävention durch Informationsbeschaffung, den Austausch relevanter Informationen über Behördengrenzen hinweg und ein vernetztes Agieren. Der Verfassungsschutz informiert im Rahmen des präventiven Wirtschaftsschutzes über vorliegende Erkenntnisse und Analysen. 

Dafür sind im Verfassungsschutz die Arbeitsbereiche Wirtschaftsschutz und Spionage-Sabotageabwehr unter dem Dach eines Arbeitsbereiches zusammengeführt und ergänzend der Single Point of Contact (SPoC) hybride Bedrohungen eingerichtet worden. Dieser soll für einen intensivierten und vernetzten Informationsaustausch und eine Kommunikation im Verbund, auf Landesebene und auf kommunaler Ebene sorgen.

Ministerin Behrens sagt: „Hybride Bedrohungen stellen für alle westlichen Demokratien, insbesondere aber für Deutschland, eine ernstzunehmende Realität dar. Die Auswirkungen von Spionage, Sabotage und Desinformation auf unsere Gesellschaft sind vielschichtig und komplex. Sie verfolgen das Ziel, Menschen zu verunsichern und demokratische Gesellschaften zu destabilisieren. Diese Bedrohungen gilt es, konsequent und aktiv zu bekämpfen. Ein wichtiges Element in diesem Kampf ist auch, die Öffentlichkeit noch umfassender über die Mechanismen und Inhalte dieser Taktiken und Instrumente aufzuklären. Damit schaffen wir ein Bewusstsein für die Bedrohung und stärken gleichzeitig die Resilienzkräfte in unserem Land.“

Linksextremismus

Die Zahl der Autonomen und sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten sowie Anarchisten ist in Niedersachsen leicht von 820 auf 840 Personen gestiegen.

Im Hauptaktionsfeld – dem Antifaschismus – waren Veranstaltungen der Partei und das Eigentum von AfD-Angehörigen Ziel von linksextremistischen Aktionen. Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und den neu eskalierten Nahost-Konflikt ist das Aktionsfeld „Antimilitarismus“ wieder deutlich stärker in den Fokus von Linksextremisten gerückt. Dies drückt sich in Protesten auch gewalttätiger Linksextremisten vor allem gegen Rüstungsunternehmen aus.

Extremismus mit Auslandsbezug

Das Personenpotenzial im Phänomenbereich Extremismus / Terrorismus mit Auslandsbezug stagniert in Niedersachsen weiterhin bei geschätzten 2.500 Personen. 

Dabei spielte in Niedersachsen der Nahostkonflikt im vergangenen Jahr eine zentrale Rolle. Als Reaktion auf die Kriegshandlungen Israels im Gazastreifen und im Libanon haben 2024 zahlreiche Demonstrationen vor allem in den größeren Städten Niedersachsens stattgefunden. 

Islamismus

Weiter gesunken ist das Personenpotenzial im besonders radikalen Teil der islamistischen Bewegung, dem Salafismus: Derzeit werden 650 Personen der Szene zugerechnet, 50 weniger als im Jahr zuvor.

Dazu der niedersächsische Verfassungsschutzpräsident: „Grund zur Entwarnung bietet diese Zahl nicht! Vom internationalen islamistischen Terrorismus geht weiterhin eine nicht zu unterschätzende hohe Gefahr aus! 

Das ist durch den Messerangriff in Mannheim und das Attentat in Solingen erschütternd vor Augen geführt worden. Aber auch zahlreiche Anschlagsplanungen, die frühzeitig aufgedeckt werden konnten, sind ein deutlicher Beleg für das bestehende Risiko.“

Der Niedersächsische Verfassungsschutz geht davon aus, dass sich in den sozialen Medien eine sehr hohe Dunkelziffer vor allem junger Salafisten bewegt. Durch die Möglichkeiten im virtuellen Raum anonym zu bleiben, ist es für die Sicherheitsbehörden schwierig, diese dort zu erfassen. Dennoch ist eine Verjüngung der Szene anhand des erfassten Personenpotenzials festzustellen. Auch werden gezielt durch Inhalte und Formate der islamistischen Propaganda junge Menschen angesprochen.


Zudem ist für den Verfassungsschutz zu beobachten, dass die Kommunikation und der Diskurs in Sozialen Medien stark von einer visuellen Darstellung der Inhalte geprägt sind und verstärkt wurden. Dadurch wurde die Reichweite der Beiträge erhöht. So wirken islamistische Akteure wie „Influencer“ und versuchen über ihre Kanäle insbesondere auf Jugendliche und junge Erwachsene Einfluss zu nehmen.

Weitergehende Informationen bietet die Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes. Dort kann der Niedersächsische Verfassungsschutzbericht 2024 in Gänze heruntergeladen und die Präsentation zu dessen Vorstellung nachvollzogen werden.

IM Niedersachsen, 19.06.2025

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