Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts Hamburg zur tödlich verlaufenen Zahnsanierungs-Narkose teilweise aufgehoben: Bei dem verurteilten Anästhesisten Dr. A betrifft dies nur die Strafzumessung, beim freigesprochenen Zahnarzt Dr. M den gesamten Freispruch. Das Verfahren wird insoweit zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.

    Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat über Revisionen gegen ein Urteil des Landgerichts Hamburg entschieden, welches eine im Mai 2016 tödlich verlaufene Narkosebehandlung zum Gegenstand hatte. Der seinerzeit 18- jährige Geschädigte erlitt im Rahmen einer durch den Angeklagten Dr. A als Anästhesist betreuten Vollnarkose ein Lungenödem und verstarb hieran. Die Narkose war für Zwecke einer umfangreichen Zahnsanierung eingeleitet worden, die an diesem Tag durch die Angeklagte Dr. M ambulant in ihrer Zahnarztpraxis durchgeführt wurde. Das Landgericht hat den Angeklagten Dr. A wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Angeklagte Dr. M wurde vom gleichen Vorwurf freigesprochen. Soweit das Urteil den Angeklagten Dr. A betrifft, hat der Bundesgerichtshof es auf dessen Revision im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. Hinsichtlich des Freispruchs der Angeklagten Dr. M hat er es auf die Revision der Staatsanwaltschaft vollständig aufgehoben. 

    Nach den Feststellungen des Landgerichts sollte bei dem unter ständigen Schmerzen wegen stark kariöser Zähne leidenden Patienten, der sich aus Furcht jahrelang nicht hatte behandeln lassen, eine Zahnsanierung unter Vollnarkose stattfinden. Für die Durchführung der Betäubung, für die einschließlich Einleitungs- und Aufwachphase mit einer Dauer von acht Stunden gerechnet wurde, gewann die Angeklagte Dr. M den Angeklagten Dr. A. Dieser klärte den Patienten nicht darüber auf, dass seine apparative Ausstattung nicht den Mindestanforderungen der ärztlichen Leitlinien entsprach und diesen zuwider auch kein begleitendes Personal eingesetzt werden würde. Da sich der Umfang der morgens um 9:00 Uhr begonnenen Behandlung als größer erwies als gedacht, dauerte diese nach Ablauf der vorgesehenen Zeit weiter an. Gegen 17:30 Uhr stellte der Angeklagte Dr. A erstmals eine abfallende Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz des Patienten fest, dessen Werte sich bald weiter verschlechterten. Um 18:10 Uhr betätigte die Angeklagte Dr. M auf sein Geheiß den Notruf. Ein von den Sanitätern – erstmals – angeschlossenes EKG-Gerät zeigte eine Nulllinie an. Der Patient verstarb noch am Abend im Krankenhaus. 

    Der Tod beruhte auf der Narkose, während der es bedingt durch die Spontanatmung durch einen engen Beatmungstubus zu einem schweren Lungenödem gekommen war. Dem Angeklagten Dr. A war bewusst, dass seine Behandlung standardwidrig war und er hierüber nicht aufgeklärt hatte. Es war für ihn vorhersehbar, dass sich die typischen Risiken einer Vollnarkose erfüllen und zum Versterben des Patienten führen konnten. Er ging jedoch im Vertrauen in seine Fähigkeiten davon aus, dies vermeiden zu können. Die Angeklagte Dr. M. erkannte die Standardwidrigkeit nicht und vertraute darauf, dass der Angeklagte Dr. A die Anästhesie mit der gebotenen Sorgfalt ausführen werde. 

    Das Landgericht hat die Narkose durch den Angeklagten Dr. A als vorsätzliche Körperverletzung in Gestalt einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Mangels ausreichender Aufklärung habe der Geschädigte in den Eingriff nicht wirksam eingewilligt. Es hat außerdem den für den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt der Körperverletzung und der Todesfolge darin gesehen, dass der Auftritt eines Lungenödems eine spezifische Gefahr einer Vollnarkose darstelle. 

    Die Überprüfung des Urteils auf die Revision des Angeklagten Dr. A hat im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Der Strafausspruch unterlag dagegen der Aufhebung, weil das Landgericht einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB) des Angeklagten für möglich erachtet, jedoch die damit eröffnete Möglichkeit einer Strafmilderung nicht erörtert hat. Zudem hat der Angeklagte mit einer Verfahrensrüge erfolgreich geltend gemacht, dass die Frage, ob wegen einer möglichen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung eine Kompensation veranlasst sein könnte, nicht ausreichend geprüft wurde. 

    Auch den Freispruch der Angeklagten Dr. M hat der Senat aufgehoben. Bei seiner Wertung, dass sie auf eine ordnungsgemäße Durchführung der Anästhesie habe vertrauen dürfen, hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass die Narkose für eine außerordentlich lange Dauer geplant war und diese Planung zudem auf unsicherer Grundlage entstanden war, weil der Geschädigte eine vorherige Untersuchung seiner Zähne nur eingeschränkt zugelassen hatte. Ferner hat das Landgericht nicht untersucht, ob die Angeklagte Dr. M nach Überschreitung der ursprünglich vorgesehenen Behandlungsdauer dem Gebot gegenseitiger Information und Koordination gegenüber dem Anästhesisten gerecht geworden ist. 

    Gegen beide Angeklagte, bei Dr. A nur hinsichtlich der Strafzumessung und der Kompensationsfrage, muss durch das Landgericht daher erneut verhandelt und entschieden werden. 

    Vorinstanz: 

    Landgericht Hamburg – Urteil vom 12. Juli 2024 – 602 Ks 2/23

    BGH, 15.08.2025

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