Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass ein afghanischer Asylbewerber trotz eines vom BAMF angeordneten Leistungsausschlusses vorläufig weiterhin Sozialleistungen erhält. Eine tatsächliche und rechtliche Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise bestehe im konkreten Fall nicht, weshalb der Ausschluss gegen verfassungs- und europarechtliche Vorgaben verstoßen könne. Das Gericht sieht ein erhebliches Klärungsbedürfnis zur Auslegung der EU-Aufnahmerichtlinie und hält eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof für möglich.

Das  Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass ein  Leistungsausschluss für Asylbewerber aufgrund verfassungs- und  europarechtlicher Vorgaben vorläufig nicht zum Tragen kommt.

Zugrunde  lag ein Eilverfahren eines Afghanen (geb. 1996), der im April 2024 mit einem  polnischen Schengen-Visum nach Deutschland eingereist war und einen Asylantrag  gestellt hatte. Nach Zuweisung in eine niedersächsische Gemeinde wurde er in  einer Unterkunft untergebracht. Das BAMF lehnte den Asylantrag als unzulässig  ab und ordnete die Abschiebung nach Polen an. Die polnischen Behörden hatten  der Rückübernahme zuvor zugestimmt. Zwei geplante Überstellungen scheiterten, weil  der Antragsteller nicht angetroffen wurde. Berichte über seinen gewöhnlichen Aufenthalt  in der Unterkunft widersprachen sich. Das BAMF verlängerte die  Überstellungsfrist daher bis Dezember 2025.

Bis  November 2024 erhielt der Mann Leistungen nach dem AsylbLG. Danach wurden die  Leistungen eingestellt, lediglich Unterkunft und punktuelle Sachleistungen zur  Ausreise wurden gewährt.

Hiergegen  wandte sich der Antragsteller mit einem Eilantrag. Er argumentierte, der  pauschale Leistungsausschluss sei verfassungsrechtlich bedenklich und auch  europarechtlich bestünden Zweifel an der Zulässigkeit. Ihm sei eine freiwillige  Ausreise im Dublin-Verfahren faktisch nicht möglich, weshalb der Leistungsausschluss gegen die Menschenwürde verstoße. Der BAMF-Bescheid  enthalte keine Feststellung zur tatsächlichen und rechtlichen  Ausreisemöglichkeit. Polen nehme aktuell keine Rückführungen mehr an.

Das  LSG hat den Träger vorläufig zur Leistung verpflichtet. Zur Begründung führte  es aus, dass zwar die asylrechtliche Entscheidung und Abschiebungsanordnung des  BAMF bindend seien. Allerdings müsse nach der in Rechtsprechung wie Literatur  noch nicht geklärten Rechtslage die freiwillige Ausreise tatsächlich und rechtlich möglich sein. Diese Möglichkeit müsse im Lichte der Grundrechte und  unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände eigenständig geprüft werden.  Eine freiwillige Ausreise sei dem Antragsteller im konkreten Fall nicht möglich.  Sie sei in Dublin-III-Verfahren regelhaft nicht als Überstellungsart vorgesehen, da hier fast ausschließlich eine Abschiebung zum Tragen komme. Wegen der  Vorgaben für eine menschenwürdige Mindestsicherung des Lebensunterhalts nach  der für Asylbewerber geltenden Aufnahmerichtlinie bestehe zudem ein erhebliches  unionsrechtliches Klärungsbedürfnis. Eine spätere Vorlage an den Europäischen  Gerichtshof erscheine nicht ausgeschlossen.

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. Juni 2025, L 8 SO 12/25 B ER ,Vorinstanz:  SG Stade

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