
Das Bundesverfassungsgericht hat eine verspätete Veröffentlichung von lebensmittelrechtlichen Verstößen im sogenannten „Lebensmittelpranger“ gestoppt. Nach Ansicht der Richter verletzte die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs die Berufsfreiheit des betroffenen Unternehmens, weil eine Publikation nach 17 Monaten weder aktuell noch verhältnismäßig war.
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, soweit sie sich gegen eine gerichtliche Eilentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zu einer beabsichtigten Veröffentlichung von Informationen über einen Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften („Lebensmittelpranger“) richtet.
Die Kammer stellt in ihrem Beschluss fest, dass der Verwaltungsgerichtshof bei seiner Auslegung und Anwendung von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB), wonach die Öffentlichkeit „unverzüglich“ über lebensmittelrechtliche Verstöße zu informieren ist, die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt hat. Die Kammer hat den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Sachverhalt:
Bei der Untersuchung einer der Betriebsstätten der Beschwerdeführerin stellte das zuständige Ordnungsamt zahlreiche Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften fest. Gegen die geplante Veröffentlichung der Feststellungen im Internet stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, welchen das Verwaltungsgericht ablehnte. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof – nachdem das Verfahren mehr als 14 Monate in der Beschwerdeinstanz anhängig war – zurück. Es führte unter anderem aus, dass die geplante Veröffentlichung noch „unverzüglich“ im Sinne der Regelung des LFGB sei, wenn die zeitliche Verzögerung maßgeblich auf der Zurückstellung der Veröffentlichung seitens der Behörde während eines laufenden gerichtlichen Eilverfahrens beruhe.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet, ist sie zulässig und begründet. Die Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals „unverzüglich“ durch den Verwaltungsgerichtshof werden der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht in jeder Hinsicht gerecht.
So kann eine – wie hier beabsichtigte – Veröffentlichung von Rechtsverstößen im Internet für betroffene Unternehmen von großem Gewicht sein. Eine derart weithin einsehbare und leicht zugängliche Veröffentlichung kann zu einem erheblichen Verlust des Ansehens und zu Umsatzeinbußen führen, was im Einzelfall bis hin zur Existenzvernichtung reichen kann.
Zwar ist bei der Beantwortung der Frage, ob eine Veröffentlichung noch unverzüglich erfolgt, die zeitliche Verzögerung, die maßgeblich auf der Zurückstellung der Veröffentlichung seitens der Behörde aufgrund eines laufenden gerichtlichen Eilverfahrens beruht, grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit gebietet es aber mit Blick auf die Gesamtdauer des Verfahrens mit einzubeziehen, ob und inwieweit sich in dem Verfahren eingetretene zeitliche Verzögerungen nach den Umständen des Einzelfalls noch als angemessen erweisen.
Eine diesen Anforderungen entsprechende einzelfallbezogene Abwägung lässt die angegriffene Entscheidung vermissen. So berücksichtigt der Verwaltungsgerichtshof schon nicht, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bereits rund 17 Monate seit der Feststellung des lebensmittelrechtlichen Verstoßes vergangen waren. Eine Veröffentlichung konnte daher schon wegen der langen zeitlichen Verzögerung ihren Zweck nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in einer Aktualität erreichen, der den Eingriff in das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen konnte. Je weiter der festgestellte Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Gebote zeitlich entfernt ist, desto geringer ist noch der objektive Informationswert seiner Verbreitung, weil sich vom Verstoß in der Vergangenheit objektiv immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmens schließen lässt. Gleichzeitig nimmt die Grundrechtsbelastung mit zunehmendem Abstand zwischen dem festgestellten Verstoß und der Veröffentlichung zu. Zwar kann die Durchführung eines gerichtlichen Eilverfahrens die Unverzüglichkeit einer Veröffentlichung grundsätzlich nicht in Frage stellen. Damit aber, ob und inwieweit dies auch dann gelten kann, wenn – wie hier – das gerichtliche Eilverfahren allein in der Beschwerdeinstanz mehr als 14 Monate dauert, setzt sich der Verwaltungsgerichtshof nicht auseinander. Dies hätte sich aber angesichts dieser Dauer aufdrängen müssen, zumal es weder ersichtlich ist, dass die zeitliche Verzögerung der Sphäre der Beschwerdeführerin zuzurechnen sein könnte, noch sachliche Gründe erkennbar sind, die die eingetretene zeitliche Verzögerung nach den Umständen des Einzelfalls noch als angemessen erscheinen lassen könnten.
Bundesverfassungsgericht, 19.08.2025