
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die rechtsextremistische Kleinstpartei „Freie Sachsen“ hat, weil diese ihn in einem Demonstrationsaufruf namentlich genannt hatte. Die Äußerung sei mehrdeutig und erreiche nicht den für eine Geldentschädigung erforderlichen Erheblichkeitsgrad.
Der unter anderem für das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass dem Bundestagsabgeordneten für die Partei Die Linke, der in einem Demonstrationsaufruf der Partei Freie Sachsen namentlich genannt worden war, kein Schadensersatzanspruch wegen dieser Namensnennung zusteht.
Sachverhalt:
Der Kläger ist Bundestagsabgeordneter für die Partei Die Linke im Wahlkreis Leipzig-Süd. Die Beklagte ist eine Landespartei; sie wird vom Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz als „rechtsextremistische Kleinstpartei“ beschrieben.
Der Kläger hatte für den 5. September 2022, 19.00 Uhr unter dem Titel „Preise runter – Energie und Essen müssen bezahlbar sein“ eine Demonstration auf dem Leipziger Augustusplatz vor der Oper angemeldet. Hieran anknüpfend meldete auch die Beklagte für denselben Tag zur selben Uhrzeit auf demselben Platz vor dem Gewandhaus eine Demonstration unter dem Titel „Freie Sachsen unterstützen den Montagsprotest von S.[…] P.[…Name des Klägers] und Der Linken – gemeinsam gegen die da oben“ an. Am 31. August 2022 um 17.48 Uhr veröffentlichte die Beklagte über den von ihr betriebenen eigenen Telegram-Kanal „Freie Sachsen“ einen Beitrag mit der Überschrift „GETRENNT MARSCHIEREN, GEMEINSAM SCHLAGEN!“. Der Beitrag ist mit dem Motto „LIEBER DEMONSTRIEREN ALS ZU HAUSE FRIEREN!“ versehen und enthält die Unterüberschrift „Montag (5. September) großer Protest in Leipzig – quer durch alle politischen Lager der Opposition!“ Zwischen der Überschrift und der Unterüberschrift werden sechs Personen aufgelistet. An der ersten bis vierten Stelle werden u.a. dem Compact-Magazin, dem Demokratischen Widerstand und den Freien Sachsen zugeordnete Personen unter voller Namensnennung genannt. An fünfter und sechster Stelle werden ein langjähriger Spitzenpolitiker und der Kläger jeweils für die Partei Die Linke aufgeführt. Der Kläger erwirkte am 2. September 2022 eine Unterlassungsverfügung, woraufhin die Beklagte den Beitrag am 3. September 2022 löschte.
Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger die Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 15.000 €. Er macht geltend, sein guter Ruf und seine Glaubwürdigkeit als Politiker seien erheblich dadurch beeinträchtigt worden, dass in dem Beitrag zu Unrecht der Eindruck erweckt worden sei, er kooperiere mit einer „Rechtspartei“. Ergänzend hat der Kläger seinen Anspruch auf Art. 82 DSGVO gestützt.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die Beklagte wegen einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 10.000 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zwar verletze der Beitrag der Beklagten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. In ihm werde die unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt, der Kläger „paktiere“ mit der Beklagten. Die Persönlichkeitsrechtsverletzung erreiche aber nicht den Erheblichkeitsgrad, der für die Zubilligung einer Geldentschädigung erforderlich sei. Ein Anspruch aus Art. 82 DSGVO komme ebenfalls nicht in Betracht. Die Norm sei im Bereich der politischen Auseinandersetzung nicht einschlägig.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Die Revision hatte im Ergebnis keinen Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung zu.
Ein solcher Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Es fehlt an der für die Zuerkennung einer Geldentschädigung erforderlichen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Dem angegriffenen Beitrag ist die Aussage, der Kläger paktiere mit Kräften des äußersten rechten Spektrums, auf die der Kläger seinen Anspruch stützt, nicht eindeutig zu entnehmen. Der Beitrag weist vielmehr einen mehrdeutigen Aussagegehalt auf. Er lässt – am Maßstab des unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsrezipienten gemessen – mehrere Deutungsalternativen zu, die sich jeweils als nicht fernliegend erweisen. So wird ein Teil der Leser den Beitrag dahingehend verstehen, dass darin eine von einem gemeinschaftlichen Willen aller benannten Personen getragene einheitliche Demonstration angekündigt wird und dass diese Personen, mithin auch der Kläger, sich diesbezüglich abgesprochen bzw. zusammengewirkt haben. Demgegenüber wird ein anderer Teil der Leser dem angegriffenen Beitrag eine Kooperation des Klägers mit den benannten Vertretern der Beklagten nicht entnehmen. Ausgehend von der ins Auge fallenden Überschrift „GETRENNT MARSCHIEREN, GEMEINSAM SCHLAGEN!“ und dem im Plural gefassten Text im weiß umrandeten Kasten „ALLE KUNDGEBUNGEN SIND GENEHMIGT“ wird dieser Teil der Leser im nachfolgenden Text eine Beschreibung getrennter, unabhängig voneinander organisierter Protestmärsche erwarten. Dieser Teil der Leser wird das Wort „gemeinsam“ im Folgetext allein auf das mit dem Protest verfolgte Ziel beziehen. In der zuletzt genannten Deutungsvariante verletzt der angegriffene Beitrag das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht. Aus diesem Grund hat die Verhängung zivilrechtlicher Sanktionen nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung zu unterbleiben. Denn lassen die Formulierung oder die Umstände der Äußerung eine nicht das Persönlichkeitsrecht verletzende Deutung zu, so verstößt die Verurteilung zum Schadensersatz – anders als die Verurteilung zur Unterlassung – gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Der Kläger kann den von ihm geltend gemachten immateriellen Schadensersatzanspruch auch nicht auf Art. 82 Abs. 1 DSGVO stützen. Denn die Verbreitung des den Namen des Klägers nennenden Beitrags auf dem Telegram-Kanal der Beklagten fällt in den Geltungsbereich des Medienprivilegs (Art. 85 Abs. 2 DSGVO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV). § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV schützt die Datenverarbeitung aller Anbieter von Telemedien zu journalistischen Zwecken unabhängig von deren organisatorischer Selbstständigkeit. Die Beklagte hat die in ihrem Beitrag enthaltenen personenbezogenen Daten, so u.a. den Namen des Klägers, als Anbieterin eines Telemediums zu journalistischen Zwecken verarbeitet. Die Formulierung „zu journalistischen Zwecken“ im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 4 MStV ist weit zu verstehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erfolgt eine Verarbeitung personenbezogener Daten zu journalistischen Zwecken dann, wenn sie zum Zweck hat, Informationen, Meinungen oder Ideen mit welchem Übertragungsmittel auch immer, in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Dies ist hier der Fall. Der Beitrag diente dem Ziel, auf die öffentliche Meinungsbildung ein- und an der politischen Willensbildung mitzuwirken.
Urteil vom 29. Juli 2023 – VI ZR 426/24
Vorinstanzen:
Landgericht Leipzig – 8 O 852/23 – Entscheidung vom 19. Dezember 2023
Oberlandesgericht Dresden – 4 U 3/24 – Entscheidung vom 23. April 2024
BGH, 29.07.2025