
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine ärztliche Zwangsbehandlung mit einem nicht zugelassenen Verabreichungsweg eines Medikaments („Off-Label-Use“) nur dann zulässig ist, wenn eine medizinisch-wissenschaftlich anerkannte Grundlage besteht. Im konkreten Fall ging es um die intramuskuläre Gabe von Haloperidol gegen den Willen einer untergebrachten Betroffenen. Eine solche Maßnahme darf nur erfolgen, wenn Arzt und rechtlicher Betreuer gemeinsam entscheiden und sich dabei an fachlichen Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften orientieren.
Der unter anderem für das Betreuungs- und Unterbringungsrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, unter welchen Bedingungen die zulassungsüberschreitende Anwendung eines Fertigarzneimittels (sog. „Off-Label-Use“) im Wege der ärztlichen Zwangsmaßnahme gegen den Willen eines untergebrachten Betreuten zulässig ist. Eine dahingehende gemeinsame Entscheidung des Arztes und des Betreuers setzt eine medizinisch-wissenschaftlich konsentierte Grundlage voraus.
Sachverhalt und bisheriger Verfahrensverlauf:
Die Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer wahnhaften Störung. Auf Antrag der Betreuerin hat das Amtsgericht ihre weitere Unterbringung nebst medikamentöser Zwangsbehandlung genehmigt, darunter die intramuskuläre Verabreichung von Haloperidol bei Verweigerung der oralen Einnahme der zu verabreichenden Medikamente. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht die Entscheidung teilweise abgeändert und den Antrag der Betreuerin zurückgewiesen, soweit es die Genehmigung ihrer Einwilligung „in eine Behandlung mit Haloperidol in der Applikationsform ‚intramuskulär“ (Off-Label Gebrauch)“ betrifft. Hiergegen hat der Verfahrenspfleger die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung der Vorinstanz im Ergebnis bestätigt und dabei klargestellt, dass die zulassungsüberschreitende Anwendung eines Fertigarzneimittels – wie etwa hier die Medikamentengabe in einer nicht von der Zulassung erfassten Verabreichungsform (intramuskulär statt oral) – auch im Wege der ärztlichen Zwangsmaßnahme auf Grundlage einer gemeinsamen Entscheidungsfindung zwischen dem Arzt und dem für den Betroffenen handelnden Betreuer erfolgen kann. Diese gemeinsame Entscheidung gegen den Willen des Betroffenen setzt aber eine medizinisch-wissenschaftlich konsentierte Grundlage voraus, die sich unter Beachtung der von den führenden medizinischen Gesellschaften erstellten Leitlinien etwa aus Empfehlungen nationaler und internationaler medizinischer Fachgesellschaften ergeben kann. Nur mit einer solchen Grundlage ist die ärztliche Zwangsmaßnahme notwendig im Sinne von § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB.
Beschluss vom 7. Mai 2025 – XII ZB 361/24
Vorinstanzen:
AG Wedding – Beschluss vom 04.06.2024 – 508 XVII 1238/24
LG Berlin II – Beschluss vom 04.07.2027 – 87 T 215/24 und 87 T 216/24
BGH, 23.06.2025