
Die sicherheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Sara Nanni, fordert von der Bundesregierung mehr Klarheit im Umgang mit US-Präsident Donald Trump. Statt „Beschwichtigungspolitik“ zu betreiben, müsse sie dessen Angriffe auf Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung klar adressieren, forderte sie im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 7. Juni 2025). Aus Nannis Sicht kann keine noch so zurückhaltende Politik die Volatilität in der aktuellen US-amerikanischen Politik beenden. „Wir haben keine Karotte, die wir Trump vor die Nase halten können, damit er immer in die gleiche Richtung läuft.“
Die Grünen-Politikerin sieht die Bundesregierung auch in der Sicherheitspolitik unzureichend aufgestellt. In ihrem jüngst vorgestellten Sofortprogramm sei davon keine Rede, das werde der aktuellen geopolitischen Umbruchsituation nicht gerecht. „Die Unsicherheiten in Bezug auf die USA sind eine Zäsur für Europa, da dürfen wir keine Zeit verlieren, sondern müssen jetzt alle Ressourcen mobilisieren – zu unserem Schutz und dem der Ukraine“, betonte Nanni.
Das Interview im Wortlaut:
Frage: In seiner zweiten Amtszeit geht US-Präsident Donald Trump noch stärker auf Konfrontationskurs mit Europa. Er stellt den militärischen Schutz des Kontinents infrage, betreibt eine aggressive Handelspolitik und nimmt im Ukraine-Krieg russische Positionen ein. Sind die transatlantischen Beziehungen noch zu retten?
Antwort: Schon, denn die transatlantischen Beziehungen betreffen ja nicht nur die Regierungen, sondern auch andere Kontakte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Und die sind sehr tragfähig. Aber natürlich werden die Beziehungen zur Regierung aktuell auf eine sehr harte Probe gestellt wegen der Art und Weise, wie Trump sein Amt ausfüllt. Zwar haben die USA schon immer in erster Linie ihre eigenen Interessen durchgesetzt, das ist nicht neu und wurde in Europa häufig etwas romantisch verklärt. Neu ist aber, dass es auf Seiten der US-Administration keine Verlässlichkeit mehr gibt, weder in der Handelspolitik noch in Fragen der europäischen Sicherheit.
Frage: Wie geht man mit einem solchen Partner am besten um? Ist es richtig, dass sich Bundeskanzler Friedrich Merz bei seinem Antrittsbesuch in Washington öffentlich zurückhielt mit Kritik, nichts sagte, etwa zu Trumps Einwanderungspolitik, dem Entzug von Fördergeldern für missliebige Universitäten oder den Angriffen der Regierung auf die Justiz?
Antwort: Ich halte nichts von dieser Beschwichtigungspolitik. Wir müssen – auch im eigenen Interesse – die Kräfte in den USA unterstützen, die sich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft einsetzen, und die Angriffe auf Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung klar adressieren. Abgesehen davon haben sich die US-Amerikaner noch nie um den Finger wickeln lassen, nur weil wir ihnen nach dem Mund reden.
Frage: Europa braucht die USA, als größten Handelspartner, Ukraine-Unterstützer und nicht zuletzt als Schutzmacht. Ist da nicht nachvollziehbar, dass niemand Trump, der bekanntermaßen sehr empfindlich auf Kritik reagiert, verprellen will?
Antwort: Ich denke, keine noch so zurückhaltende Politik kann die Volatilität in der aktuellen US-amerikanischen Politik beenden. Wir haben keine Karotte, die wir Trump vor die Nase halten können, damit er immer in die gleiche Richtung läuft. Wer in diesem Bild denkt, muss scheitern.
Frage: Unter Trump fahren die USA gerade ihre finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine zurück und blockieren neue Russland-Sanktionen. Dem Treffen der von ihr initiierten Ukraine-Kontaktgruppe, in der mehr als 50 Nationen über Militärhilfen beraten, blieben sie diese Woche erstmals fern. Ist das der Anfang des von Trump angedrohten Rückzugs aus Europa?
Antwort: Es gibt in den USA die klare Tendenz, die Ukraine im Zweifelsfall vor den Bus zu werfen. Trump bezieht sie erkennbar – und anders als sein Vorgänger Joe Biden – nicht mehr in das Sicherheitsversprechen der USA ein. Gleichzeitig gibt es hoffnungsvolle Signale aus Washington, dass sich die USA weiterhin zur europäischen Sicherheit bekennen. Trump hat ja nicht gesagt: Wir verteidigen Euch nicht, wenn Russland angreift. Er hat gesagt, dass wir mehr für unsere eigene Verteidigung tun müssen. Und das ist grundsätzlich eine richtige Analyse. Das Problem ist nur: Wir wissen in der Ära Trump nicht, wie sich die USA im Ernstfall verhalten werden. Das erfahren wir erst in der Sekunde, in der es passiert.
Frage: Die Nato-Staaten stellen sich offenbar auf das Worst-Case-Szenario ein. Sie wollen auf ihrem Gipfel übernächste Woche in Den Haag ein beispielloses Aufrüstungs- und Abschreckungsprogramm mit deutlich höheren Verteidigungsausgaben beschließen. Die Forderung von Trump, die nationalen Etats von zwei auf fünf Prozent des jeweiligen Bruttosozialprodukts zu erhöhen – im Bündnis noch vor wenigen Monaten als „irre“ abgetan – wird plötzlich ernsthaft diskutiert, auch von der Bundesregierung. Ist das der Preis, den Europa zahlen muss?
Antwort: Die Mitglieder der Allianz haben den militärischen Teil der Nato, der zuständig ist für die kollektive Sicherheit, schon kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 beauftragt, einen Plan für die Verteidigung der europäischen Ostflanke vorzulegen. Der ist nun da und es kommt ein Preisschild dran. Die fünf Prozent sind erst mal nur eine politische Zahl, die Trump in den Raum geworfen hat. Ich denke eher, dass sich die Staaten auf drei bis vier Prozent einigen werden. Denn die Quote sollte sich auf konkrete Planungen und notwendige Fähigkeiten stützen, nicht auf Symbolik. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich dafür in Den Haag einsetzt.
Frage: Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat als Kompromiss vorgeschlagen, 3,5 Prozent für Verteidigung im engen Sinne auszugeben und 1,5 Prozent für weitere sicherheitsrelevante Maßnahmen, etwa für militärische Mobilität, den Schutz der kritischen Infrastruktur und Cybersicherheit.
Antwort: Das wäre neu für die Nato, denn bisher haben sich die Bündnispartner selbst um die letztgenannten Themen gekümmert und die Nato hat dazu keine Vorgaben gemacht. Die Richtung aber stimmt. Dem Gipfel ging ein strukturierter Abstimmungsprozess voraus, der sich an der konkreten Bedrohungslage im Osten orientiert hat. Wenn wir einen russischen Angriff nicht ausschließen können, müssen wir uns darauf vorbereiten.
Frage: Deutschland soll auch seine Truppen aufstocken. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) geht von 50.000 bis 60.000 zusätzlichen Soldatinnen und Soldaten aus. Kann die Bundeswehr das ohne Wiederauflage der Wehrpflicht stemmen?
Antwort: Ein verpflichtender Wehrdienst würde nicht zu einem schnellen Aufwuchs beitragen. Denn bis die Soldatinnen und Soldaten nach dem Grundwehrdienst so ausgebildet sind, dass sie in den hochtechnologisierten und -spezialisierten Streitkräften dienen können, dauert es fünf bis zehn Jahre. Ich fürchte, dass wir diese Zeit nicht haben. Deswegen müssen wir schon vorhandenes Personal in der Truppe halten, neues gezielt anwerben und ehemalige Kräfte über die Reserve zurückholen. Ich bin überzeugt, dass dafür im Verteidigungsministerium noch nicht alle Register gezogen wurden.
Frage: Tut die Bundesregierung insgesamt genug, um Deutschland auf die neuen sicherheitspolitischen Anforderungen vorzubereiten?
Antwort: Nein. In ihrem Ende Mai vorgestellten „Sofortprogramm“ kommt das Wort Bundeswehr nur einmal vor, von Sicherheitspolitik oder höheren Investitionen in die europäische Rüstungsindustrie ist keine Rede. Wichtige Gesetze zur Planung von Personal und Fähigkeiten bei der Bundeswehr hat die Koalition bisher ebenso wenig vorgelegt wie ein Konzept zur zivilen Verteidigung, etwa im Fall eines Angriffs auf unser Stromnetz. Die von Merz noch vor der Wahl geforderte Lieferung von reichweitenstarken Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ist auch kein Thema mehr. Damit wird die Regierung der großen geopolitischen Umbruchsituation nicht gerecht. Die Unsicherheiten in Bezug auf die USA sind eine Zäsur für Europa, da dürfen wir keine Zeit verlieren, sondern müssen jetzt alle Ressourcen mobilisieren – zu unserem Schutz und dem der Ukraine.
Deutscher Bundestag, 06.06.2025