Zur politischen Krise in Israel erklären Jürgen Trittin, Sprecher für Außenpolitik, und Lamya Kaddor, stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss:

Politischer Bankrott – das ist die Bilanz nach wenigen Monaten der ultrarechten Regierungskoalition in Israel. Die Regierungskoalition unter Benjamin Netanjahu hat die israelische Gesellschaft aufs Äußerste polarisiert und die Sicherheit des gesamten Landes in bisher nicht gekannter Weise gefährdet. Netanjahus Regierung setzt Israels Demokratie aufs Spiel. Das haben die Bürger*innen Israels mehrheitlich erkannt. Auf beeindruckende Weise haben sich große Teile der israelischen Bevölkerung, aber auch Reservist*innen im Militär, Funktionsträger*innen im Staatsapparat und in Gewerkschaften der geplanten Justizreform entgegengestellt. Die Zivilgesellschaft hat gezeigt: Die israelische Demokratie lebt und ist widerstandsfähig.

Dennoch gibt es weiter Anlass zur Sorge. Die angepeilte Justizreform, die die Besetzungen von Richterämtern politisieren und höchstrichterliche Entscheidungen einem Parlamentsvotum unterwerfen soll, muss gestoppt werden – und eben nicht bloß eingefroren oder abgewandelt werden. Die Regierung darf die Gewaltenteilung nicht angreifen. Zu Recht geht die Zivilgesellschaft dagegen auf die Straße. Die am 27. März von Polizeiminister Itamar Ben-Gvir angekündigte Verschiebung der Justizreform bis nach der Pause des Parlaments Ende Juli ist ein durchsichtiges Manöver, um Zeit zu gewinnen. Die generelle Kritik an der Reform bleibt, die auch das Aufschieben nicht entkräften wird. 

Die Justizreform ist aber nicht das einzige Vorhaben der rechten Regierungskoalition Netanjahus, das den israelischen Rechtsstaat aushöhlen soll. Das Vorhaben der Regierung Netanjahus, den Siedlungsbau drastisch ausweiten, heizt die Gewalt zwischen Israelis und Palästinenser weiter an. Außerdem wird die Arbeit von NGOs und besonders Menschenrechtsorganisationen erschwert. Außerdem soll eine Todesstrafe für palästinensische Terroristen eingeführt werden, die zudem nicht für andere Bevölkerungsgruppen gelten soll. 

Hassreden von rechtsextremen Ministern wie Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich haben die Stimmung zwischen Siedler*innen und den palästinensischen Bewohner*innen der besetzten Gebiete angeheizt und damit Terroranschlägen, Lynchjustiz, Rowdytum und erhoffter Straffreiheit Vorschub geleistet. Daran nimmt auch Israel zunehmend Schaden: Wirtschaftsunternehmen wandern ab, Israels freundschaftliche Beziehungen u.a. zu den USA haben gelitten, ebenso die noch frische Normalisierung mit arabischen Nachbarstaaten durch die Abraham-Abkommen.

Vermittlungsversuche von Seiten Jordaniens und Ägyptens gleichen momentan einem kurzfristigen Feuerlöscher, weniger einer grundlegenden politischen Perspektive für Israel und die Region. Daher muss diese existenzielle Staatskrise in Israel zu einem Neustart führen, mit dem die demokratische und rechtstaatliche Grundlage des Staates zweifelsfrei bewahrt wird sowie völkerrechtswidrige, einseitige Maßnahmen in den besetzten Gebieten langfristig unterbleiben. 

Die Sicherheit Israels steht auf dem Spiel wie lange nicht mehr. Die Sicherheit Israels ist für Deutschland eine politische Priorität. Eine Abkehr von politischen Vorhaben, die den Rechtsstaat gefährden, könnte eine externe Bedrohung Israels angesichts innerer Konfrontationen abwenden, die Selbstheilungskräfte der israelischen Gesellschaft unter Beweis stellen und eine Gewalteskalation in den besetzten Gebieten während des Ramadan in letzter Minute verhindern.

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