Ob die Vorlage einer aus dem Internet ausgedruckten ärztlichen „Bescheinigung über die vorläufige Impfunfähigkeit“ durch einen Arbeitnehmer die fristlose Kündigung eines langjährigen Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeitgebers rechtfertigt, wird von den Arbeitsgerichten in Schleswig-Holstein unterschiedlich beurteilt.

Während das Arbeitsgericht Lübeck (5 Ca 189/22) eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist für rechtlich zulässig hielt, haben andere Kammern des Arbeitsgerichts Lübeck in vergleichbaren Konstellationen den Kündigungsschutzklagen in vollem Umfang stattgegeben (u.a. 4 Ca 188/22 und 3 Ca 187/22). Gegen die letztgenannte Entscheidung ist kein Rechtsmittel eingelegt worden.

Zwei Kammern des Landesarbeitsgerichts (5 Sa 82/22 und 4 Sa 139/22) haben über die beiden anderen erwähnten Entscheidungen des Arbeitsgerichts mit unterschiedlichem Ausgang entschieden: Die vierte Kammer hält in ihrer Entscheidung vom 24. November 2022 die fristlose Kündigung des langjährigen Arbeitsverhältnisses auch nach der Interessenabwägung im Einzelfall für gerechtfertigt. Die fünfte Kammer ist dagegen in der Entscheidung vom 7. Dezember 2022 der Auffassung, dass die Vorlage der aus dem Internet heruntergeladenen vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung schon keinen „an sich“ geeigneten Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellt. Beide Kammern haben die Revision zugelassen.

Die dortigen Klägerinnen sind bei der beklagten Klinik seit 1988 bzw. 2001 als Pflegeassistentin bzw. Krankenschwester beschäftigt und tariflich ordentlich unkündbar. Die Arbeitgeberin wollte die einrichtungsbezogene Impfpflicht umsetzen und wies ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, den Impf- bzw. Genesenenstatus nachzuweisen oder ein ärztliches Impfunfähigkeitszeugnis vorzulegen. Die Klägerinnen haben daraufhin jeweils ein Schriftstück vorgelegt, das eine sechsmonatige vorläufige Impfunfähigkeit bescheinigt und die Unterschrift einer Ärztin aus Süddeutschland ausweist. Die Bescheinigung wurde aus dem Internet ausgedruckt. Eine – sei es digitale – Besprechung mit der Ärztin fand nicht statt. Die Beklagte hat das Gesundheitsamt über die Vorgänge informiert und außerdem den Klägerinnen im Januar 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. August 2022/31. Juli 2022 gekündigt.

In ihren Kündigungsschutzklagen führen die Klägerinnen u.a. aus, dass die Vorlage einer solchen Bescheinigung nicht zu beanstanden sei und § 20a IFSG* weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen der Arbeitgeberin gegenüber ihren Beschäftigten ausschlösse. Allein das Gesundheitsamt könne in dieser Situation handeln und eine ärztliche Untersuchung der betroffenen Mitarbeiterin veranlassen.

Beide Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts halten zunächst fest, dass § 20a IFSG in der zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs geltenden Fassung arbeitsrechtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Vorlage unrichtiger Impfunfähigkeitsbescheinigungen nicht sperrt. § 20a IFSG regelt in Abs. 5 die Handlungsmöglichkeiten des Gesundheitsamts, nicht aber die des Arbeitgebers. Nach beiden Entscheidungen verstößt eine im Krankenhaus arbeitende Arbeitnehmerin mit der Vorlage einer aus dem Internet heruntergeladenen Bescheinigung über eine Corona-Impfunverträglichkeit, die weder auf einer ärztlichen Untersuchung noch wenigstens auf einer individuellen ärztlichen Anamnese beruht, gegen eine gesetzlich geregelte Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsvertrag. Die Kammern bewerten allerdings die Schwere dieses Pflichtenverstoßes unterschiedlich.

Die vierte Kammer argumentiert, dass mit der vorgelegten Impfunfähigkeitsbescheinigung bewusst ein falscher Eindruck erweckt werden sollte, und zwar das bezogen auf „diesen Patienten“ dessen individuelle Situation aufgrund ärztlicher Einschätzung nach individueller Kontaktierung bewertet wurde mit dem Ergebnis einer zeitlich begrenzten Impfunfähigkeit. Der Versuch der Klägerin, ihre gesetzlichen Nebenpflicht zur Vorlage einer Impfunfähigkeitsbescheinigung zu umgehen, wirkt sich besonders belastend auf das Arbeitsverhältnis und gravierend auf das Vertrauensverhältnis aus. Im Rahmen der Interessenabwägung im Einzelfall ist von entscheidender Bedeutung, dass die Klägerin ihre individuellen Vorbehalte gegen eine Impfung hätte direkt gegenüber der Beklagten äußern können und müssen. Die Verwendung der aus dem Internet heruntergeladenen Bescheinigung stellt sich als unrechtmäßiges Mittel dar, um sich vorübergehend der Verpflichtung nach § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IFSG zu entziehen. Diese Vorschrift sichert ein überragendes Gut, die öffentliche Gesundheit. Ein Arbeitgeber muss sich in diesem Zusammenhang nicht auf eine vorherige Abmahnung verweisen lassen. Schließlich ergeben sich im konkreten Fall auch keine individuellen gesundheitlichen Anhaltspunkte, aufgrund derer die Klägerin – möglicherweise auch durch Erkrankungen in der Vergangenheit begründet – befürchten muss, an Impfnebenfolgen leiden zu müssen.

Die fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts hält dagegen die Vorlage der „Fake-Impfunfähigkeitsbescheinigung“ für keine schwerwiegende, für eine fristlose Kündigung an sich geeignete Nebenpflichtverletzung. Eine solche ergibt sich auch nicht aus einem zu Lasten des Arbeitgebers begangenen Betrugsversuch. Es fehlt an einem Vermögensschaden und im Übrigen am Vorsatz der Klägerin, die an ihre Impfunfähigkeit glaubte. Auch die versuchte Täuschung, das vorgelegte Attest sei aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erstellt worden, reicht nicht aus. Das vorgelegte Schreiben bescheinigt keine diagnostizierte Impfunfähigkeit, sondern enthält nur die allgemeine Meinungsäußerung einer Ärztin. Es ist als Impfunfähigkeitsbescheinigung offensichtlich untauglich. Im Übrigen hätte es vor Ausspruch einer Kündigung jedenfalls einer Abmahnung bedurft.

Die Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig. Beim Bundesarbeitsgericht sind inzwischen Revisionen eingelegt worden unter den Aktenzeichen 2 AZR 55/23 (4 Sa 139/22) und 2 AZR 66/23 (5 Sa 82/22).

Quelle: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Pressemitteilung vom 23. Februar 2023

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