Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, den 197 Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages mit einem abstrakten Normenkontrollverfahren verbunden hatten. In der Hauptsache wenden sich die Antragsteller gegen die rückwirkende Änderung des Haushaltsgesetzes 2021 und des Bundeshaushaltsplans 2021 durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 vom 18. Februar 2022. Mit diesem Gesetz wurde eine im Bundeshaushalt 2021 ursprünglich als Reaktion auf die Corona-Pandemie vorgesehene, jedoch nicht benötigte Kreditermächtigung von 60 Milliarden Euro rückwirkend auf den sogenannten „Energie- und Klimafonds“ (EKF), ein unselbständiges Sondervermögen des Bundes, übertragen. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung soll der Normenkontrollantrag gesichert werden.

In der Hauptsache ist der Antrag zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die hier gebotene Folgenabwägung ergibt jedoch, dass die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Normenkontrollantrag in der Hauptsache der Erfolg aber zu versagen wäre, die Nachteile, die zu befürchten sind, wenn der Erlass einer einstweiligen Anordnung unterbliebe, der Normenkontrollantrag in der Hauptsache jedoch Erfolg hätte, erheblich überwiegen.

Sachverhalt:

Der Bundeshaushalt 2021 sah ursprünglich eine Kreditermächtigung in Höhe von etwa 180 Milliarden Euro vor. Mit dem Nachtragshaushaltsgesetz 2021 wurde die Kreditermächtigung als Reaktion auf die Corona-Pandemie für das Haushaltsjahr 2021 um weitere 60 Milliarden Euro auf insgesamt etwa 240 Milliarden Euro aufgestockt (Nachtragshaushaltsgesetz 2021). Ermöglicht wurde diese Kreditermächtigung durch einen Beschluss des Deutschen Bundestages vom 23. April 2021, mit dem das Bestehen einer außergewöhnlichen Notsituation gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG festgestellt wurde.

Im Verlauf des Haushaltsjahres 2021 zeigte sich, dass die im Nachtragshaushaltsgesetz vorgesehenen Aufstockungen nicht benötigt wurden. Vor diesem Hintergrund entstand im politischen Raum die Idee, die mit dem Nachtragshaushaltsgesetz 2021 eingeräumte Kreditermächtigung in der vollen Höhe von 60 Milliarden Euro auf den EKF zu übertragen.

Aufgrund von Art. 1 des Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021) wurden das Gesamtvolumen des Bundeshaushalts 2021 von etwa 547,7 Milliarden Euro auf etwa 572,7 Milliarden Euro und das Volumen des EKF von etwa 42,6 Milliarden Euro auf etwa102,6 Milliarden Euro erhöht. Insoweit wurde der Bundeshaushaltsplan 2021 entsprechend angepasst. Nach Art. 2 des Gesetzes trat die Änderung mit Wirkung vom 1. Januar 2021 und damit rückwirkend in Kraft. Nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten am 18. Februar 2022 wurde das Gesetz am 25. Februar 2022 im Bundesgesetzblatt verkündet.

Die Antragsteller, 197 Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, haben ein Normenkontrollverfahren eingeleitet und beantragen, festzustellen, dass Art. 1 und Art. 2 des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig sind. Sie machen geltend, die darin vorgesehene Zuführung der Kreditermächtigungen an den EKF verstoße gegen Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG. Zudem verfehle die Vorhaltung von Kreditermächtigungen im EKF die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung und den Einsatz von Sondervermögen. Die Ansätze einer globalen Mehreinnahme und einer globalen Minderausgabe seien zu hoch und verstießen gegen das parlamentarische Budgetrecht gemäß Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG. Schließlich trage die Verkündung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 erst nach Abschluss des Haushaltsjahres 2021 den verfassungsrechtlichen Haushaltsgrundsätzen nicht Rechnung.

Die Antragsteller haben das Normenkontrollverfahren mit dem Antrag verbunden, im Wege der einstweiligen Anordnung zu regeln, dass die durch Art. 1 und Art. 2 des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 erhöhte Rücklage des Sondervermögens EKF bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nur in Anspruch genommen werden darf, wenn und soweit der Deutsche Bundestag entsprechende Ausgaben zur Finanzierung einer Zuführung zum Sondervermögen im Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2022 beschließt.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf Art. 1 und Art. 2 des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 ist unbegründet.

I. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt insbesondere, wenn die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt wird. Dabei bleiben die vorgetragenen Gründe für eine Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, ein dem Antrag entsprechendes Hauptsacheverfahren erweist sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Nur in besonderen Ausnahmefällen ist eine summarische Prüfung der Rechtslage geboten. Im Übrigen verbleibt es dabei, dass im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile des Erlasses oder Nichterlasses der begehrten Anordnung in Hinblick auf Erfolg oder Nichterfolg der Hauptsache gegeneinander abzuwägen sind.

II. Nach diesen für die Außervollzugsetzung eines Gesetzes geltenden, besonders strengen Maßgaben hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Fall keinen Erfolg.

1. Zwar ist der Antrag in der Hauptsache weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Offensichtliche Unbegründetheit ist schon deshalb zu verneinen, weil die Tatbestandsvoraussetzungen der maßgeblichen Verfassungsnormen in der Rechtsprechung des Senats bislang noch keine Konturierung erfahren haben.

a) Derzeit erscheint es jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die im Rahmen des angegriffenen Gesetzes vorgenommene Zuführung von Kreditermächtigungen an den mittlerweile in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) überführten EKF nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine notlagenbedingte Kreditaufnahme des Bundes entspricht. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf einen etwaigen Verstoß gegen die der sogenannten „Schuldenbremse“ möglicherweise immanenten Verfassungsgebote der Jährlichkeit und Jährigkeit.

aa) Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG sieht in Konkretisierung des – Bund und Länder adressierenden – allgemeinen Verbots der strukturellen Neuverschuldung aus Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG vor, dass im Rahmen der Haushaltswirtschaft des Bundes Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Nach Art. 109 Abs. 3 Satz 4, Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG ist diesem Gebot für den Bund Genüge getan, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG – im Rahmen einer sogenannten „Konjunkturkomponente“ – bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Die Einzelheiten der Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung regelt nach Art. 115 Abs. 2 Satz 5 GG ein Bundesgesetz.

Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Sätze 6 bis 8 GG gibt dem Bundestag das Recht, zu beschließen, dass die sich aus den dargestellten Maßgaben ergebenden Kreditobergrenzen im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, überschritten werden dürfen.

bb) (1) Der Senat wird im Verfahren über die Hauptsache zu klären haben, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die notlagenbedingte Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der strukturellen Neuverschuldung nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG im Grundsatz verfassungsgerichtlich voll überprüfbar sind. Einschränkungen der Kontrolldichte könnten allerdings für das in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vorgesehene Erfordernis einer erheblichen Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage gelten.

(2) Über die geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 bis Satz 8 GG hinaus wird sich die Frage stellen, ob ein sachlicher Veranlassungszusammenhang zwischen der Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation und der Überschreitung der Kreditobergrenzen erforderlich ist und, wenn ja, ob in diesem Fall eine solche verfassungsrechtliche Anforderung weitergehend Elemente der Verhältnismäßigkeit beinhaltet, insbesondere der Erforderlichkeit und Angemessenheit der notlagenbedingten Kreditaufnahme. Ferner werden Darlegungslasten des Gesetzgebers zu erwägen sein, um eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der gesetzgeberischen Entscheidungen über die Kreditaufnahme zu ermöglichen.

(3) Der Senat wird ferner zu prüfen haben, ob Art. 109 Abs. 3, Art. 115 GG die Prinzipien der Jährlichkeit und Jährigkeit zu entnehmen sind und ob diese dem grundsätzlichen Verbot der strukturellen Neuverschuldung zugrunde liegen. Fraglich ist zudem, ob diese Prinzipien auch für die Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen gelten und ob sie – ihre Geltung unterstellt – durch den Einsatz von Sondervermögen umgangen werden können. Des Weiteren wird zu klären sein, ob die Einhaltung der Prinzipien der Jährlichkeit und Jährigkeiteiner strikten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt.

b) Von verfassungsrechtlicher Bedeutung könnte schließlich auch sein, dass die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 erst im Jahr 2022 erfolgte.

aa) Der Haushaltsplan ist aufgrund des Gebots der Vorherigkeit gemäß Art. 110 Abs. 2 GG grundsätzlich vor Beginn des Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festzustellen. Ob darüber hinaus Art. 110 Abs. 2 GG ein Verfassungsgebot rechtzeitiger, nicht willkürlich verzögerter Korrektur oder Anpassung ursprünglich oder nachträglich realitätsfremder Haushaltsansätze auch für Nachtragshaushalte entnommen werden kann, die wesensgemäß erst während des laufenden Haushaltsjahres eingebracht werden können, hat der Senat bisher offen gelassen. Im Hinblick auf den Schutzzweck des Vorherigkeitsgebots, das im Zusammenspiel mit den Grundsätzen der Vollständigkeit und Wahrheit des Haushalts auf die Gewährleistung der Lenkungs- und Kontrollfunktionen des Haushaltsgesetzes und damit auf die Wirksamkeit der Budgethoheit des Parlaments zielt, ist eine entsprechende Anwendung auf die Einbringung eines Nachtragshaushalts nicht von vornherein ausgeschlossen.

bb) Es ist vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, dass der Zeitpunkt der Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes gegen den verfassungsrechtlich in Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG wurzelnden Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit verstoßen könnte.

2. Die danach anzustellende Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Normenkontrollantrag in der Hauptsache der Erfolg aber zu versagen wäre, die Nachteile, die zu befürchten sind, wenn der Erlass einer einstweiligen Anordnung unterbliebe, der Normenkontrollantrag in der Hauptsache jedoch Erfolg hätte, erheblich überwiegen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war mithin abzulehnen.

a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, käme dies faktisch einer Außervollzugsetzung des angegriffenen Gesetzes gleich.

aa) Zwar haben die Antragsteller ausdrücklich nicht die Außervollzugsetzung des Gesetzes beantragt, sondern begehren eine Anordnung mit dem Inhalt, dass die durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 aufgestockte Rücklage des Sondervermögens KTF bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nur in Anspruch genommen werden darf, „wenn und soweit der Deutsche Bundestag entsprechende Ausgaben zur Finanzierung einer Zuführung zum Sondervermögen im Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2022 beschließt“. Erginge die einstweilige Anordnung, so hätte die ursprüngliche gesetzliche Zuführung aber jedenfalls vorläufig keine realisierbare Aufstockung des KTF bewirkt. Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung käme deshalb der (faktischen) Außervollzugsetzung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 gleich.

bb) Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, mit welchen Haushaltsmitteln aus dem laufenden Bundeshaushalt 2022 der Bundestag eine (erneute) Zuführung an den KTF bestreiten könnte. Eine Aufstockung der Mittel des KTF im Rahmen eines Nachtragshaushaltsgesetzes für das Jahr 2022 wäre erwartbar nur unter Aufnahme zusätzlicher Kredite möglich. Diese Kredite unterlägen wiederum den Grenzen zulässiger Neuverschuldung aus Art. 115 Abs. 2 GG.

cc) Ein Rückgriff auf Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG, um dadurch erneut eine Zuführung von Kreditermächtigungen in Höhe von bis zu 60 Milliarden Euro an den KTF zu ermöglichen, wäre nicht frei von verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn diese erneute Zuführung diente nicht der Krisenbewältigung im eigentlichen Sinne, sondern der „Absicherung“ der bereits zur Krisenbewältigung durch das angegriffene Gesetz bereitgestellten Kreditermächtigungen.

dd) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass eine Notlagensituation vom Deutschen Bundestag am 3. Juni 2022 für das Haushaltsjahr 2022 bereits beschlossen wurde. Vielmehr stellen sich in diesem Zusammenhang dieselben verfassungsrechtlichen Fragen.

ee) Bei Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung stünden der Bundesregierung die vom Bundestag mit dem Zweiten Nachtragshaushalt 2021 zur Überwindung der Corona-Pandemie bereit gestellten Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro im KTF nicht (mehr) zur Verfügung. Dies zöge erhebliche Folgen für die von ihr geplanten kurz- und mittelfristigen Programme und Maßnahmen nach sich.

(1) So beabsichtigt die Bundesregierung, hierdurch insbesondere Planungssicherheit für private Investitionen zu gewährleisten, die von der rechtssicheren Verfügbarkeit öffentlicher Fördergelder abhingen. Diese Rechtssicherheit fiele bei Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung weg, mit entsprechenden Folgen für das Ausbleiben privater Investitionen.

(2) Ohne die hier zur Überprüfung gestellte Zuweisung in Höhe von 60 Milliarden Euro müsste die Finanzplanung für den KTF überarbeitet werden, was die Verhängung entsprechender Haushaltssperren durch das Bundesministerium der Finanzen nach sich ziehen könnte. Als Folge stünden erheblich weniger Haushaltsmittel zur Verfügung. Hiervon betroffen wären die Programme Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) und Förderung des Absatzes von elektrisch betriebenen Fahrzeugen (Umweltbonus).

(3) Nach nicht zu widerlegender Einschätzung der Bundesregierung dürfte darüber hinaus das Programm „Dekarbonisierung der Industrie“ in seiner Umsetzbarkeit gefährdet sein. In dessen Rahmen sollen Projekte zur Vermeidung prozessbedingter Emissionen in der energieintensiven Industrie gefördert werden. Investitionen könnten hierdurch nur verzögert angestoßen werden oder ganz ausfallen, was einen Wettbewerbsnachteil der Industrie mit sich bringen könnte.

(4) Zudem wird die sogenannte EEG-Umlage seit dem 1. Juli 2022 mittels der Zuführungen des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 aus dem KTF finanziert. Stünden diese Mittel in Folge der einstweiligen Anordnung nicht mehr zur Verfügung, wäre dies – würde die Abschaffung der EEG-Umlage infolgedessen rückgängig gemacht – mit einer Strompreiserhöhung und damit einer erheblichen Mehrbelastung für Verbraucher und Unternehmen verbunden.

(5) Die – auch nur vorübergehende – Einengung des finanziellen Spielraums des Sondervermögens brächte in Folge der Neustrukturierung Kürzungen und Streichungen von anderen Programmen innerhalb des KTF mit sich, was ein Verfehlen von CO2-Minderungszielen nach sich ziehen könnte. Wegen der Verpflichtungen aus dem Klimaschutzgesetz müsste hier über alternative Programme nachgesteuert werden, was neuerliche Haushaltsbelastungen mit sich bringen könnte.

ff) Zu einem anderen Ergebnis gelangte man auch dann nicht, wenn – anstelle der von den Antragstellern konkret beantragten Anordnung – im Wege der einstweiligen Anordnung die förmliche Außervollzugsetzung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes, soweit damit die erhöhte Rücklage des Sondervermögens EKF geschaffen worden ist, angeordnet würde. Stattete der Haushaltsgesetzgeber 2022 in diesem Fall in einem Nachtragshaushaltsgesetz zum Haushalt 2022 die Rücklage des EKF unter erneuter Inanspruchnahme von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG mit den bereits durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 bereitgestellten – aber vorläufig außer Vollzug gesetzten – Kreditermächtigungen aus, so läge darin – anders als in der Konstellation der von den Antragstellern ausdrücklich beantragten Anordnung – keine „doppelte“ Ermöglichung einer Kreditaufnahme für denselben Zweck.

Es bliebe jedoch im Fall einer förmlichen Außervollzugsetzung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 dabei, dass mit ihr ein erheblicher Eingriff in den Gestaltungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers verbunden wäre. Er könnte auch bei Eingreifen des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG von dieser Ausnahme rechtlich und politisch nur begrenzt Gebrauch machen.

b) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiesen sich die Regeln des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes aber später als verfassungswidrig, könnten die bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht in Anspruch genommenen Kreditermächtigungen zurückgenommen werden oder durch – gegebenenfalls kreditfinanzierte – Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt ersetzt werden.

Es bestünde allerdings die Gefahr, dass zwischenzeitlich unter Inanspruchnahme der dann verfassungswidrig erhöhten Rücklage des KTF Kredite im Umfang von bis zu 60 Milliarden Euro aufgenommen oder jedenfalls entsprechende Verpflichtungsermächtigungen ausgebracht würden. Diese Gefahr erscheint auch nicht ganz fernliegend, weil die bestehende Rücklage des Sondervermögens KTF sich ohne Berücksichtigung des Zweiten Nachtragshaushalts 2021 zum Stand 31. Dezember 2021 auf rund 25,4 Milliarden Euro belief und der Wirtschaftsplan des KTF nach dem beschlossenen Bundeshaushalt des Jahres 2022 Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von insgesamt 67,4 Milliarden Euro vorsieht. Der Bundeshaushalt würde im Umfang von maximal 60 Milliarden Euro aufgrund einer verfassungswidrigen Zuführung belastet, jedenfalls soweit die übrigen Mittel des Sondervermögens KTF nicht ausreichten, um sämtlichen bis dahin bereits verbindlich eingegangenen Verpflichtungen und Verpflichtungsermächtigungen nachzukommen. Künftige Bundestage verlören entgegen der Zielsetzung der Art. 109 Abs. 3 und Art. 115 Abs. 2 GG dadurch zudem in Höhe der durch die Kreditaufnahme ausgelösten Belastungen den zur Bewältigung dann anstehender Probleme benötigten Handlungsspielraum.

c) Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie, wird die Außervollzugsetzung eines Gesetzes begehrt, darüber hinaus besonderes Gewicht haben. Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder nur sehr erschwert revidierbar sind, um das Aussetzungsinteresse durchschlagen zu lassen.

Vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe führt die Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass die Nachteile bei Erlass einer einstweiligen Anordnung und späterem Misserfolg des Antrags die Nachteile überwiegen, die bei einem Unterlassen der einstweiligen Anordnung und späterem Erfolg des Antrags in der Hauptsache einträten.

Im Falle des Nichterlasses bestünden für diesen Fall zwar – verfassungswidrig zustande gekommene – Verpflichtungen des Bundeshaushalts in Höhe von bis zu maximal 60 Milliarden Euro. Gleichwohl ist derzeit davon auszugehen, dass die Kreditermächtigungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht in voller Höhe aufgebraucht sein werden. Im Übrigen stehen dem Gesetzgeber unterschiedliche Möglichkeiten der Bewältigung der finanziellen Folgen für den Bundeshaushalt zur Verfügung.

Der Erlass der einstweiligen Anordnung kann hingegen zu einer Situation führen, in welcher die von der Bundesregierung aufgelegten Programme zur Bewältigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht weiter finanziert werden könnten. Damit bestünde die erhebliche Gefahr, dass der angeführte Zweck hinter dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz – die Überwindung der Corona-Pandemie in ökonomischer Hinsicht – jedenfalls mittelfristig nicht mehr ohne Weiteres erreicht werden könnte. Die hiermit verbundenen wirtschaftlichen Folgen träfen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen unmittelbar.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung vom 8. Dezember 2022

Cookie Consent mit Real Cookie Banner