Zwischen Zustimmung und Skepsis lag die Bandbreite der Experten-Bewertungen, als es heute im Ausschuss für Inneres und Heimat bei einer Anhörung unter der Leitung von Lars Castellucci (SPD) um einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur „Beschleunigung von Asylverfahren“ (20/4327) ging.

Julius Becker vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein meinte, dem entscheidenden Grund für die Länge der Asylverfahren, nämlich der mangelhaften behördlichen Verfahrens- und Entscheidungspraxis, werde mit dem geplanten Gesetz nicht begegnet. Das Gesetz würde zu mehr statt weniger Verfahren führen. Die Rechte der Schutzsuchenden würden weiter eingeschränkt. Im vergangenen Jahr habe die Erfolgsquote für Asylklagen vor den Verwaltungsgerichten bei 36 Prozent gelegen. Auf der Verwaltungsebene bedürfe es daher einer deutlichen Qualitätsverbesserung.

Kerstin Becker vom Paritätische Gesamtverband hob hervor, je mehr Asylverfahren beschleunigt würden, desto wichtiger seien die Verfahrensrechte, die dem Asylsuchenden gewährt werden. Die Einführung einer behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung sei vor diesem Hintergrund außerordentlich zu begrüßen. Sie müsse ausreichend finanziert werden. Die Schutzsuchenden müssten Vertrauen in die Beratung haben.

Andreas Dietz (Verwaltungsgericht Augsburg, Vorsitzender Richter der 6. Kammer) begrüßte den Gesetzentwurf – mit Einschränkungen im Detail. So bezweifelte er angesichts der großen Zahl ausreisepflichtiger, aber nicht ausreisewilliger ehemaliger Asylbewerber, ob die vorgesehene kostspielige externe Asylverfahrensberatung die Verfahren effizienter gestalten und auch ein negatives Ergebnis für den Asylbewerber verständlicher machen helfe.

Yana Gospodinova (Deutscher Caritasverband) setzte wie Kerstin Becker einen Schwerpunkt auf die bundesfinanzierte und behördenunabhängige Asylverfahrensberatung. Sie solle flächendeckend durch die Wohlfahrtsverbände und andere freie gemeinnützige Träger angeboten werden, um die Niedrigschwelligkeit und die Effektivität der Beratung zu gewährleisten.

Winfried Kluth (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) äußerte vor allem Bedenken gegen die ins Auge gefasste Einführung einer „Tatsachenrevision“ zum Bundesverwaltungsgericht. Es soll bei divergierenden Urteilen unterer Instanzen über Tatsachenfragen entscheiden können. Er schlug einen anderen Weg zur Vereinheitlichung der Asyl-Rechtsprechung vor, nämlich eine unabhängige Fachstelle beim Bundesverwaltungsgericht, die bereits für die Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie der Verwaltungsgerichte eine transparent ermittelte Lageeinschätzung zur Verfügung stellt.

Berthold Münch vom Deutschen Anwaltverein legte dar, die das Asylgerichtsverfahren betreffenden Vorschriften dürften kein niedrigeres Schutzniveau vermitteln als die Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts. Diesem Anspruch genüge der Gesetzentwurf in zentralen Punkten nicht. Er kritisierte, dass die Sonderrechte im Asylprozessrecht sogar noch ausgebaut werden sollen. Das schaffe mehr Probleme als es sie löse.

Klaus Ritgen erklärte für den Deutschen Landkreistag, die vorgeschlagenen Regelungen seien geeignet, die Asyl- und Asylgerichtsverfahren zu beschleunigen. Dies könne aber nur ein erster Schritt sein. Sobald die Verfahren mit der Ablehnung eines Asylantrags enden, müsse dafür gesorgt werden, dass die Betreffenden baldmöglichst in ihre Herkunftsstaaten oder ein anderes aufnahmebereites Land zurückgeführt werden. Es sei dringend geboten, die im Koalitionsvertrag angekündigte Rückführungsinitiative in Angriff zu nehmen.

Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht, bescheinigte dem Gesetzentwurf, geeignet zu sein, Asylverfahren und Asylgerichtsverfahren zu beschleunigen. Teilweise wirkten aber die vorgeschlagenen Regelungen dem Beschleunigungsziel entgegen. Dies gelte unter anderem für die Regelung zur Asylverfahrensberatung, weil dort nicht sichergestellt werde, dass diese auch von qualifizierten Personen vorgenommen werde.

Hans-Eckhard Sommer, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), begrüßte unter anderem, dass für die Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitenden des Bundesamtes eine Rechtsgrundlage geschaffen werden soll. Die Gleichstellung mit Sicherheitsbehörden trage der Tatsache Rechnung, dass in dem Amt mit sensiblen Daten umgegangen werde. Die vom Gesetzentwurf bezweckte Beschleunigung der verwaltungsgerichtlichen Verfahren sei dringend nötig. Denn beim BAMF dauerten die Asylverfahren durchschnittlich 7,3 Monate, bei den Verwaltungsgerichten in der ersten Instanz 26,5 Monate. Diese lange Dauer verschärfe die Rückführungsproblematik.

Axel Ströhlein, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführungen, bescheinigte dem Gesetzentwurf einige sinnvolle Regelungen, um insbesondere das behördliche Asylverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu beschleunigen. Dennoch bestünden aus fachlicher Sicht Zweifel, ob das Beschleunigungsziel des Gesetzentwurfs mit den geplanten Änderungen erreicht werden könne.

Philipp Wittmann, Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, wies darauf hin, dass sich der Gesetzgeber bereits in der Vergangenheit bereits um eine Straffung der behördlichen und gerichtlichen Asylverfahren bemüht habe. Von erneuten Änderungen einzelner Verfahrensbestimmungen seien kaum grundlegende Beschleunigungseffekte zu erwarten. Es solle im Blick behalten werden, dass eine weitere Ausdifferenzierung des jeweiligen Sonderprozess- und Verfahrensrechts neue Fehlerquellen eröffne. Sollten neue rechtliche Zweifelsfragen aufgeworfen werden, könnten sie ihrerseits zu einer Steigerung der Arbeitsbelastung insbesondere bei den Verwaltungsgerichten führen.

Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr. 693 vom 28. November 2022

Cookie Consent mit Real Cookie Banner