Im Mittelpunkt des Pressegesprächs beim Landgericht Stuttgart stand eine Reihe von Tötungsdelikten von Männern gegen ihre aktuelle oder frühere Partnerin.

Femizide wiederholen sich in erschreckender Regelmäßigkeit
Früher wurden vorsätzliche Tötungen von Frauen durch ihren Ehemann, Lebensgefährten oder Ex-Partner häufig mit Begriffen wie „Beziehungstat“ oder „Familientragödie“ verharmlost. Tatsächlich handelt es sich um Mord oder Totschlag, der sich systematisch gegen Frauen richtet. Inzwischen wird ein stärkeres Augenmerk darauf gerichtet, was hinter diesen Taten steht: Nach Erhebungen des Bundeskriminalamtes (BKA) kommt es deutschlandweit etwa an jedem dritten Tag zu einem Tötungsdelikt, bei dem eine Frau durch ihren (ehemaligen) Ehemann oder Partner umgebracht wird. Häufig will der (Ex-)Partner eine Trennungsabsicht oder bereits erfolgte Trennung aus Hass, Herrschafts- und Besitzdenken oder auch archaischen „Ehrvorstellungen“ heraus nicht akzeptieren.


Auch beim Landgericht Stuttgart stehen mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit immer wieder derartige Fälle zur Verurteilung an: Allein im ersten Halbjahr 2022 wurden bereits drei Urteile wegen Mordes an der (ehemaligen) Partnerin verhängt.


Am 18. Februar 2022 verurteilte die 1. Schwurgerichtskammer einen 50-jährigen Mann wegen Mordes an seiner getrenntlebenden Ehefrau zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (1 Ks 117 Js 86459/21). Der zuletzt in Sindelfingen wohnhafte Angeklagte hatte am 27.08.2021 seine Ehefrau mit bloßen Händen erwürgt. Das Tatopfer hatte bereits im Vorfeld gegenüber Dritten Todesangst geäußert und ihren neuen Aufenthaltsort nach der Trennung zunächst geheim gehalten, jedoch ist die neue Adresse in der Folge dem An-geklagten bekannt geworden. Die Tat ereignete sich in der neuen Wohnung der Ehefrau, wo der Angeklagte sie aufgesucht und sie ihn eingelassen hatte, wobei die genauen Um-stände dieses Treffens nicht aufgeklärt werden konnten. Noch nach der Tat äußerte sich der Angeklagte abschätzig über seine von ihm ermordete Ehefrau.


Am 8. April 2022 verurteilte die 19. Schwurgerichtskammer einen 30 Jahre alten Mann wegen Mordes an seiner Partnerin, mit welcher er nach islamischem Recht verheiratet war, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (19 Ks 116 Js 45116/21). Zwischen dem An-geklagten und dem späteren Tatopfer war es im Vorfeld mehrfach zu Beziehungsstreitigkeiten gekommen, im Rahmen derer sie den Behörden offenbart hatte, dass der Ange-klagte sich unter einer falschen Identität in Deutschland aufhielt. Am 04.05.2021 erwarb der Angeklagte, nachdem es erneut zum Streit mit seiner Partnerin gekommen war, in einem Verbrauchermarkt ein Ausbeinmesser, mit welchem er sie in der gemeinsamen Wohnung in Backnang durch wuchtige Stiche tötete.


Am 16. Mai 2022 verurteilte die 19. Schwurgerichtskammer einen 55 Jahre alten Ange-klagten wegen Mordes an seiner Ehefrau zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (19 Ks 111 Js 78692/21). Der zuletzt in Ostfildern wohnhafte Angeklagte hatte am 07.08.2021 seiner Ehefrau, die sich von ihm scheiden lassen und mit den Kindern aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen wollte, zweimal in den Brustkorb geschossen, woran sie kurze Zeit später verstarb. Nach tätlichen Übergriffen des Angeklagten auf seine Ehefrau Ende 2020 war ihm bereits ein Platzverweis für die gemeinsame Wohnung erteilt worden, die Polizei hatte ihm gegenüber eine Gefährderansprache gehalten. Die Geschädigte hatte in der Folgezeit erfolglos versucht, eine neue Wohnung für sich und die Kinder zu finden, weshalb das Ehepaar vor der Tat räumlich getrennt in der gemeinsamen Wohnung gelebt hatte.

Häufig steht häusliche Gewalt im Vorfeld der Taten
„Alle drei Täter wurden vom Landgericht Stuttgart wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Doch die strafrechtliche Aufarbeitung, so wichtig sie auch ist, kommt in diesen Fällen zu spät“, stellte Landgerichtspräsident Dr. Singer klar: „Einem Tötungsdelikt gegenüber der eigenen Ehefrau bzw. Partnerin gehen häufig Beziehungsstreitigkeiten einschließlich häuslicher Gewalt und Stalking voraus. Die polizeiliche und gerichtliche Erfahrung zeigt, dass solche Vorzeichen sehr ernst genommen werden müs-sen.“


Möglichkeiten der Prävention
Entscheidend ist eine enge Zusammenarbeit von Polizei, Justiz, Sozialämtern, Frauenhäusern und Beratungsstellen und ein entschlossenes Einschreiten schon bei ersten Anzeichen von Gewalt. Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz sowie familienrechtliche Anordnungen müssen konsequenter eingesetzt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Opfer zum Teil in prekären Verhältnissen leben und auch wegen sprachlicher Barrieren nicht immer von bestehenden Hilfsangeboten erfahren oder sich von bürokratischen Hürden abschrecken lassen. Sie sind ganz besonders auf niederschwellige Angebote angewiesen.
Gerade auch die in diesem Jahr beim Landgericht Stuttgart entschiedenen Femizide zeigen Möglichkeiten der Prävention auf, wie Landgerichtspräsident Dr. Singer berichtete:


– So hatte in dem zuletzt verurteilten Femizid das spätere Mordopfer zwar einen Platzverweis gegen ihren gewalttätigen Ehemann erwirkt, ihr gelang es jedoch nicht, eine geeignete Unterkunft für sich und ihre Kinder zu finden, weshalb sie notgedrungen weiter gemeinsam mit dem späteren Täter in der Wohnung lebte. Durch ein kurzfristiges Angebot einer geschützten Wohnung hätte die Tat möglich-erweise vermieden werden können.
– In dem zuerst verurteilten Femizid hatte das spätere Opfer sich zwar eine neue Unterkunft besorgt. Der Täter erlangte aber Kenntnis von der neuen Adresse. Hier hätten möglicherweise strengere Vertraulichkeit und höhere Schutzmaßnahmen entscheidend sein können.

Zur Verhinderung von Femiziden seien alle Verantwortlichen gefordert, niederschwellige Hilfs- und Schutzangebote auszubauen und bestehende Angebote durch Öffentlichkeitsarbeit noch stärker in das Bewusstsein der betroffenen Frauen zu bringen, betonte der Landgerichtspräsident.

Soforthilfe erhalten Frauen bundesweit über die kostenfreie Telefonnummer 0800 0116016 und auf der Internetseite www.hilfetelefon.de sowie bei jeder Polizeidienststelle.

Quelle: Landgericht Stuttgart, Pressemitteilung vom 29. Juli 2022

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