Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt auch gegenüber dem neuen Träger einer öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute in zwei Verfahren aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt entschieden.

Die Klägerin des Verfahrens 9 C 9.20 ist Eigentümerin eines bereits am 3. Oktober 1990 an die damalige Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossenen Grundstücks in Seddiner See (Brandenburg). Anfang der 1990er Jahre ersetzten die Gemeinde Seddiner See und die Vorgängergemeinden der heutigen Stadt Beelitz ihre Kläranlagen durch eine gemeinsam betriebene zentrale Kläranlage. Die erste Beitragssatzung der Gemeinde Seddiner See wurde 1994 bekannt gemacht. Beiträge wurden für das Grundstück der Klägerin nicht erhoben. Zum 1. Januar 2006 gründeten die Gemeinde Seddiner See und die Stadt Beelitz den Wasser- und Abwasserzweckverband „Nieplitz“, der die Schmutzwasserbeseitigungsanlage im Wesentlichen unverändert fortführte.

2013 setzte der beklagte Wasserverband für das Grundstück der Klägerin einen Anschlussbeitrag fest. Das Verwaltungsgericht hob den Beitragsbescheid mit der Begründung auf, es verstoße gegen den Gleichheitssatz, dass der Beklagte gezahlte, nicht aber – wie im Falle der Klägerin – hypothetisch festsetzungsverjährte Herstellungsbeiträge für die früheren gemeindlichen Einrichtungen auf den Anschlussbeitrag anrechne. Im Berufungsverfahren änderte das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil und wies die Klage ab. Es ging davon aus, dass hypothetisch festsetzungsverjährte Beiträge weder aus Gleichheits- noch aus Vertrauensschutzgründen anzurechnen seien.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Berufungsentscheidung wegen einer Verletzung des bundesverfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes und des Gleichheitssatzes aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt auch bei einem Wechsel des Einrichtungsträgers. Eine Beitragserhebung durch den neuen Einrichtungsträger ist mit diesem Grundsatz nicht vereinbar, soweit sie sich auf Herstellungsaufwand bezieht, für den der Beitragspflichtige durch den früheren Einrichtungsträger nach der in Brandenburg bis zum 31. Januar 2004 geltenden Rechtslage wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht mehr zu Beiträgen hätte herangezogen werden können. Soweit der Beklagte gezahlte, nicht aber hypothetisch festsetzungsverjährte Beiträge für die frühere Einrichtung angerechnet hat, verstößt dies außerdem gegen den Gleichheitssatz. Ein die Ungleichbehandlung rechtfertigender sachlicher Grund liegt weder in der Vermeidung einer Doppelbelastung noch in der Wahrung der Beitragsgerechtigkeit oder des Haushaltsinteresses des früheren oder jetzigen Einrichtungsträgers.

Auch im Verfahren 9 C 10.20 aus Sachsen-Anhalt, bei dem es um eine „normale“ und nicht um eine hypothetische Festsetzungsverjährung geht, hat das Bundesverwaltungsgericht die Berufungsentscheidung aus den vorgenannten Gründen aufgehoben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

BVerwG 9 C 9.20 – Urteil vom 06. Oktober 2021

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 9 B 15.17 – Beschluss vom 23. Oktober 2019 –

VG Potsdam, 8 K 149/14 – Beschluss vom 22. Februar 2017 –

BVerwG 9 C 10.20 – Urteil vom 06. Oktober 2021

Vorinstanzen:

OVG Magdeburg, 4 L 134/17 – Urteil vom 20. August 2019 –

VG Magdeburg, 9 A 37/15 MD – Urteil vom 13. Juni 2017 –

Quelle: Bundesverwaltungsgericht Pressemitteilung Nr. 64 vom 06.10.2021

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